Umfangreiche Entscheidung im Strafverfahren wegen schwerer Zwangsprostitution nach Loverboy-Methode; mehrjährige Freiheitsstrafen; umfassende Darstellung zum Tätervorgehen; 25.000 EUR Schmerzensgeld für Nebenklägerin; Ausführungen zum Täter-Opfer-Ausgleich und zur Funktion und Bemessung des Schmerzensgelds
Das Landgericht (LG) verurteilt zwei Angeklagte wegen schwerer Zwangsprostitution in vier Fällen zu über 5 bzw. 4 Jahren Freiheitsstrafe. Im Adhäsionsverfahren werden beide verurteilt, als Gesamtschuldner an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 EUR zu zahlen und auch alle ihr zukünftig aus den Taten entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen.
Ebenso verpflichtet das Gericht die Angeklagten dazu, der Nebenklägerin die ihr durch die vorgerichtliche Rechtsverfolgung entstandenen Kosten zu ersetzen.
Die beiden Angeklagten hatten nach den Feststellungen des LG mindestens 4 Minderjährige dazu gebracht, sich für sie zu prostituieren, wobei sie die Unerfahrenheit und Naivität der Mädchen, aber auch die aufgrund der Corona-Pandemie stark eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten ausnutzten. Nach der Loverboy-Methode näherten sie sich den Mädchen an und luden sie zunächst zu gemeinsamen Abenden in die Wohnung eines der Angeklagten ein. Sie spielten ihnen Gefühle vor und gaben vor, in Geldnot zu sein. Später schlugen sie, wie zuvor geplant, den Mädchen vor, sich durch Prostitution Geld zu verdienen. Die Angeklagten boten dabei an, die Organisation zu übernehmen. Sie schalteten Werbung auf Online-Plattformen, auf denen sie sexuelle Dienstleistungen der Mädchen anboten und tätigten die Kommunikation mit den Freiern, wobei sie Wert darauf legten, dass bei diesen der Eindruck erweckt wurde, sie würden direkt mit den Frauen kommunizieren und dass es sich um volljährige Frauen handele, die selbständig der Prostitution nachgingen. Die Mädchen gingen überwiegend in der Wohnung eines der Angeklagten, vereinzelt aber auch in Autos der Prostitution nach. Meist erfuhren sie erst kurzfristig von ihren `Einsätzen´. Den Prostitutionserlös erhielten die Angeklagten und kamen so insgesamt auf rund 25.000 EUR. Mindestens eine der Betroffenen wollte mit der Prostitution aufhören, machte dann aber aus Liebe und auch, weil der Angeklagte ankündigte, ihren Eltern von ihrer Prostitutionstätigkeit zu erzählen, doch weiter. Teils brachten die jungen Frauen den Angeklagten auch noch weitere Minderjährige.
Das LG stellt die Vorgehensweise der Angeklagten und ihr Verhalten gegenüber den Mädchen bzw. jungen Frauen umfassend, auch im Rahmen der Auswertung der geständigen Einlassung der beiden Angeklagten sowie der Aussagen der Geschädigten und weiterer Zeug*innen, dar (S. 8 – S. 40). Sowohl die Geständnisse als auch die Zeug*innenaussagen hält die Kammer für glaubhaft.
Da die zur Prostitution veranlassten Mädchen überwiegend unter 18 Jahre alt waren und dies den Angeklagten bekannt war, sieht das LG eine Strafbarkeit gemäß § 232 Abs. 3 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) gegeben. Außerdem nahm es für einen der Angeklagten Gewerbsmäßigkeit gem. § 232 Abs. 3 Nr. 3 StGB an, da er sich aus der wiederholten Zwangsprostitution eine fortlaufende Haupt- oder Nebeneinnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen wollte.
Einer der beiden Angeklagten war auch wegen Körperverletzung und Vergewaltigung angeklagt, was ihm jedoch nicht hinreichend nachgewiesen werden konnte.
Das Gericht setzt sich im Rahmen der Strafzumessung (S. 63 ff) eingehend mit einer möglichen Schuldminderung der Angeklagten wegen Drogen- und Spielsucht und anderer Persönlichkeitsstörungen auseinander, kommt aber unter Bezug auf Sachverständigengutachten zu dem Schluss, eine solche läge nicht vor (S. 56).
Die Kammer nimmt und auch nur für eine der Geschädigten einen minderschweren Fall an. In den übrigen Fällen spräche Häufigkeit und Dauer der Prostitutionshandlungen der damals erst 15-jährigen Geschädigten und der Umstand, dass es bei allen drei Geschädigten auch zum Geschlechtsverkehr kam, gegen minderschwere Fälle.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen zum Täter-Opfer-Ausgleich (S. 64f).
Soweit sich einer der Angeklagten bei einer der Geschädigten im Rahmen der Hauptverhandlung entschuldigt und den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach anerkannt hat, reicht dies nach Ansicht des Gerichts für eine Strafmilderung gem. §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB nicht. Es macht umfassende Ausführungen zu den Voraussetzungen. Zu berücksichtigen sei das Verhalten des*der Täter*in nach der Tat und das Bemühen um wirklichen Ausgleich und Wiedergutmachung. Daneben sei aber auch ein kommunikativer Prozess der Beteiligten im Sinne eines umfassenden, friedensstiftenden Ausgleichs der durch die Straftaten verursachten Folgen erforderlich. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genüge nicht. Dabei müsse sich das Opfer freiwillig auf den Ausgleich einlassen und ihn als solchen akzeptieren. Die Geschädigte hatte aber vorliegend eine Versöhnung abgelehnt und das Schmerzensgeld durch einen Adhäsionsantrag in das Verfahren eingeführt. Auch eine außergerichtliche Zahlung sei nicht erfolgt.
Die Nebenklägerin hatte einen Adhäsionsantrag auf 25.000 EUR Entschädigung gestellt (S. 77ff). Einer der Angeklagten hatte im Rahmen des Verfahrens den Anspruch bereits anerkannt. Die Kammer macht Ausführungen unter anderem zur Funktion und Bemessung des Schmerzensgeldes und hält für die Nebenklägerin, die immer noch unter den Tatfolgen leide, den geforderten Betrag von 25.000 EUR für angemessen. Die Kammer verurteilt die Angeklagten insoweit als Gesamtschuldner und auch zum Ersatz von Folgeschäden, die der Nebenklägerin zukünftig noch aus den Taten entstehenden.
Zwangsprostitution nach Loverboy-Methode; Täter-Opfer-Ausgleich
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