Bemerkenswerte höchstrichterliche Entscheidung u.a. im Strafverfahren wegen Zuhälterei; teilerfolgreiche Revision der Nebenklägerin wegen nicht erfolgter (Prüfung einer) Verurteilung wegen Zwangsprostitution; Senat bejaht Verstoß gegen sog. Kognitionspflicht; Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal `Veranlassen zur Fortsetzung der Prostitution´; 50.000 EUR Entschädigung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hebt auf die Revision der Nebenklägerin R. ein Urteil des Landgerichts (LG) teilweise auf und verweist zur Neuverhandlung zurück.
Der Angeklagte war unter anderem wegen Zuhälterei und Zwangsprostitution zum Nachteil mehrerer Frauen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von über 7 Jahren verurteilt worden. Das LG hatte festgestellt, dass der Angeklagte den Lebensunterhalt für sich und seine Familie dadurch bestritt, dass er die Frauen für sich der Prostitution nachgehen ließ, darunter auch die Nebenklägerin R. Diese war zu dem Zeitpunkt bereits mehrere Jahre für einen anderen Zuhälter tätig, von dem sie jedoch wegwollte, da er zum einen ihre ganzen Einnahmen für sich beanspruchte und auch gewalttätig war. Über B., die Lebensgefährtin des Angeklagten, kam sie in Kontakt zu diesem. Der Angeklagte sagte, er könne ihr mit dem Zuhälter helfen, dafür müsse sie aber 10.000 EUR zahlen. Die R. gab ihm daraufhin 3.000 EUR und sollte den Rest abarbeiten. Der Angeklagte erklärte ihr, da er sie von dem Zuhälter freigekauft habe, gehöre sie nun ihm. Er gab ihr ein Handy, über das er sie überwachte. Sie arbeitete 6 Tage in der Woche durchschnittlich von 11 bis 3 Uhr morgens, musste sich regelmäßig bei dem Angeklagten melden, ihm ihre Einnahmen mitteilen und an ihn abgeben. War der Angeklagte nicht da, übte die B. Druck auf die R. aus und überwachte sie. Es kam auch mehrmals zu körperlicher Gewalt durch den Angeklagten, z.B. als er mit den Einnahmen oder ihrem Drogenkonsum unzufrieden war oder als er mitbekam, dass die R. zu einem anderen Zuhälter wechseln wollte. Er erklärte ihr, gegen eine Abstandszahlung von 40.000 EUR könne sie gehen. Aus Angst vor dem Angeklagten flüchtete die R. zu ihrem Vater, der die Polizei verständigte. Von Februar bis November 2019 hatte sie wöchentlich rund 3.000 EUR an den Angeklagten bezahlt und nur selten davon etwas für nötige Anschaffungen bekommen.
In der Hauptverhandlung schlossen R. und der Angeklagte einen Vergleich, in dem der Angeklagte zusagte, 50.000 EUR Schadenersatz an die R. zu zahlen. Außerdem hatte er sich bei der Nebenklägerin entschuldigt.
Bezogen auf die Taten zum Nachteil der R. hatte das LG den Angeklagten zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe wegen Zuhälterei und Körperverletzung verurteilt. Hiergegen hatte die Nebenklägerin Revision eingelegt, da sie eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen Zwangsprostitution nach § 232a Abs. 3 StGB erreichen wollte.
Der BGH gibt ihr insoweit Recht, als er einen Verstoß des LG gegen die sog. Kognitionspflicht des Gerichts aus § 264 Strafprozessordnung (StPO) rügt. Diese verpflichtet das Gericht, das der Anklage zugrunde liegende Geschehen unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten umfassend rechtlich zu prüfen. Dies habe das LG nicht getan. Der Senat stimmt zwar der Annahme des LG zu, die R. habe nur den Zuhälter wechseln, nicht aber aus der Prostitution aussteigen wollen. Unter Hinweis auf einen Beschluss des BGH vom 04.08.2020 stellt der Senat klar, dass die Gewaltausübung des Angeklagten gegen die R. daher nicht als Veranlassung zur Fortsetzung der Prostitution zu werten sei. Da der Angeklagte aber die Nebenklägerin am 10.11.2019 auch wegen ihm nicht genügender Prostitutionseinnahmen geschlagen hatte, hätte das LG nach Ansicht des Senats auch eine Strafbarkeit wegen versuchter schwerer Zwangsprostitution gem. § 232a Abs. 3, §§ 22, 23 StGB in Betracht ziehen und prüfen müssen, ob der Angeklagte Gewalt anwandte, um die R. zur Fortsetzung der Prostitution zu bringen. Dies sei nämlich nicht nur dann der Fall, wenn das Tatopfer die Prostitution aufgeben wolle. Unter Verweis auf BGH-Beschlüsse vom 04.08.2020 und 15.03.2023 legt der Senat dar, ein Veranlassen könne bei einer grundsätzlich zur Prostitution bereiten Person auch gegeben sein, wenn diese zu einer intensiveren, von ihr nicht gewünschten Form der Prostitution gebracht oder von einer weniger intensiveren Form abgehalten wird. Das LG hätte sich nach Ansicht des Senats daher eingehender mit der Frage beschäftigen müssen, ob der Angeklagte die R. durch den Übergriff zu einer intensiveren Prostitutionstätigkeit veranlassen wollte.
Das dies nicht geschehen sei, sei ein Rechtsfehler, der zur Aufhebung des Schuldspruchs bezogen auf die Taten am 10.11.2019 führe.
Für die neue Hauptverhandlung gibt der Senat außerdem den Hinweis, dass der*die neue Tatrichter*in im Rahmen seiner*ihrer Kognitionspflicht auch zu prüfen habe, ob im Zusammenhang mit der Bemerkung des Angeklagten zu einer möglichen `Ablösezahlung´ von 40.000 EUR durch die Nebenklägerin eine versuchte Erpressung gegeben sei.
Zu dem Verfahren siehe auch BGH-Entscheidung vom 16.08.2023 über die Revision des Angeklagten.
Kognitionspflicht des Gerichts; zum Tatbestandsmerkmal `Veranlassen zur Fortsetzung der Prostitution´
Entscheidung im Volltext: