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VG Köln, Urteil vom 27.3.2025
Aktenzeichen 8 k 11677723.A
Stichpunkte
Positive Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren um Flüchtlingsstatus einer Somalierin; Widerruf des abgeleiteten Flüchtlingsschutzes bei Kurzreise ins Herkunftsland oder bei Einbürgerung des*der Stammberechtigten; umfassende Ausführungen zur Situation der Frauen in Somalia, insbesondere im Hinblick auf Genitalverstümmelung
Zusammenfassung
Das Verwaltungsgericht (VG) gibt der Klage einer Somalierin gegen den Widerruf ihres Flüchtlingsstatus statt. Die Klägerin kam 2013 als Minderjährige im Rahmen des Familiennachzugs gemeinsam mit ihren Geschwistern zur Mutter nach Deutschland und beantragte Asyl. Ihre Mutter hatte bereits 2010 Flüchtlingsschutz erhalten, da sie in Somalia nach dem Tod ihres Ehemannes Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan und drohender Zwangsarbeit bedroht sei. Daraufhin erhielten auch die Klägerin und ihre Geschwister abgeleiteten Flüchtlingsschutz.
Im Jahr 2017 reiste die Familie für sechs Wochen nach Somalia, um einen erkrankten Familienangehörigen zu besuchen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) leitete daraufhin ein Widerrufsverfahren ein, das jedoch später für die Mutter und Geschwister wieder eingestellt wurde. Nach Eintritt der Volljährigkeit der Klägerin stellte das BAMF fest, dass mit der Volljährigkeit der abgeleitete Flüchtlingsschutz entfalle. Hinzu kam, dass die Mutter inzwischen eingebürgert worden war und somit keinen Flüchtlingsstatus mehr habe, was den abgeleiteten Schutzstatus der Klägerin zusätzlich beende. Das BAMF sah keine eigenen Fluchtgründe in der Person der Klägerin, die einen Schutzstatus rechtfertigen würden, auch wenn die Klägerin in ihrer Anhörung geltend machte, als Kind beschnitten worden zu sein und bei einer Rückkehr als alleinstehende Frau erneute Beschneidung, Zwangsverheiratung oder Vergewaltigung zu fürchten habe. Zudem habe sie keine Familie mehr in Somalia. Sie sei in Deutschland sozialisiert und könne mit ihrem kleinen Sohn alleine nicht in Somalia überleben. Das BAMF widerrief gleichwohl im Februar 2023 ihren Flüchtlingsstatus, stellte jedoch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) fest. Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben.
Das VG gibt ihr Recht. Zwar sei der Schutzstatus der Mutter durch Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft erloschen, der Klägerin stünde aber eigener Anspruch auf Flüchtlingsschutz aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) zu. Sie sei durch eine erneute Zwangsbeschneidung bedroht. Die Kammer macht umfassende Ausführungen zur Situation allein nach Somalia zurückkehrender Frauen ohne familiäre Anbindung im Land insbesondere unter dem Gesichtspunkt drohender weiblicher Genitalverstümmelung (FGM). Frauen und Mädchen seien Gefahren wie Verschleppung, Vergewaltigung, sexueller Versklavung, Zwangsverheiratung und häuslicher Gewalt ausgesetzt. Somalia sei das Land mit der höchsten Rate weiblicher Genitalverstümmelung. Gesetze dagegen seien lückenhaft; staatlicher Schutz sei oft nicht wirksam. Der Druck durch Gesellschaft und Familie sei groß, Wiederholung von Beschneidungen verbreitet. Oft würde auch nach Aufenthalten im Ausland erneut beschnitten, um gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Für die Klägerin, die allein mit ihrem kleinen Kind nach Somalia zurückkehren würde, bestünde ein besonderes Risiko, dass sie erneut zur Heirat gezwungen oder beschnitten werden könnten. Ohne familiäres Netz vor Ort sei sie schutzlos. Sie wäre gezwungen, durch Heirat soziale Absicherung zu suchen, womöglich unter Risiko einer erneuten Beschneidung.
Die Verfolgungshandlung (FGM) gelte als von nichtstaatlichen Akteuren verübt. Staatlicher Schutz hiergegen sei nicht zuverlässig gegeben.
Auch die kurzfristige Wiedereinreise nach Somalia 2017 stünde der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht entgegen, da die Klägerin damals minderjährig und von den Entscheidungen ihrer Mutter abhängig gewesen sei. Die Situation eines Kurzaufenthaltes sei nicht mit einer dauerhaften Rückkehrprognose gleichzusetzen.
Entscheidung im Volltext: