Detailansicht
LG Hamburg, Urteil vom 19.12.2023
Aktenzeichen 640 KLs 10/23
Stichpunkte
Entscheidung in einem Strafverfahren um ausbeuterische und dirigistische Zuhälterei und Zwangsprostitution; Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung; Ausbeuten im Sinne des § 181a Strafgesetzbuch (StGB); Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des § 181a StGB; Veranlassen im Sinne des § 232a StGB; Loverboy-Methode
Zusammenfassung
Das Landgericht (LG) verurteilt den Angeklagten wegen dirigistischer Zuhälterei, davon in einem Fall in Tateinheit mit ausbeuterischer Zuhälterei und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit versuchter schwerer Zwangsprostitution, sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Das LG verurteilt den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, ordnet zudem die Einziehung von Taterträgen in Höhe von 57.000 EUR an und erkennt den Adhäsionsanspruch einer Betroffenen dem Grunde nach an.
Der Angeklagte lernte die Zeuginnen Z und S über Dating-Apps kennen. Jeweils kurz nach einem ersten persönlichen Treffen überzeugte er die Zeuginnen davon, sich für ihn zu prostituieren. In der Folge übte die Zeugin Z von Juni 2021 bis Ende Mai 2022, die Zeugin S von September 2021 bis Dezember 2021 die Prostitution aus. Die Erträge traten beide an den Angeklagten ab.
Ab Juli 2021 schaltete die Zeugin Z Inserate im Internet, mit denen sie entgeltliche sexuelle Dienstleistungen anbot. Bis Dezember 2021 verblieb es bei einer hälftigen Einnahmenteilung zwischen ihr und dem Angeklagten. Allein dadurch erzielte der Angeklagte ca. 16.000 EUR. Die andere Hälfte ihrer Prostitutionseinnahmen übergab ihm die Zeugin Z im Dezember 2021 freiwillig. Ab Anfang 2022 musste die Zeugin Z ihre gesamten Einnahmen an den Angeklagten abführen. Sie konnte sich aufgrund emotionaler Abhängigkeit und Drohungen seinerseits nicht von ihm lösen, ohne dass dies eine besondere Härte für sie bedeutet hätte. In dieser Phase erhielt sie Vorgaben durch den Angeklagten, wie viel sie zu arbeiten hatte. Zudem forderte der Angeklagte von ihr eine Ablösezahlung in Höhe von 30.000 EUR, wenn sie aus der Prostitution aussteigen wolle. Die Zeugin Z prostituierte sich in diesem Zeitraum sowohl in Deutschland als auch im Ausland für den Angeklagten.
Die weitere Zeugin S geriet durch ein Darlehen und soziale Isolation in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Angeklagten. Sie wurde überwacht und sollte entgegen ihrem Willen in einem Laufhaus arbeiten, in dem der Angeklagte ein Zimmer gemietet hatte. Zuvor hatte der Angeklagte ihr in Aussicht gestellt, sich als Escortgirl in hochwertigen Etablissements mit hohen Stundentarifen zu prostituieren, zwang sie stattdessen jedoch zur Prostitution im Laufhaus und bei Kunden zuhause. Der Angeklagte überwachte sie, indem er sich ihre Umsätze zeigen und in Gänze auszahlen ließ. Er brachte sie dazu, ihren jeweiligen Standort über ihr Mobiltelefon mit ihm zu teilen, sodass er jederzeit wusste, wo sie sich aufhielt.
Das LG urteilt, dass sich der Angeklagte dadurch zu Lasten der Zeugin Z wegen ausbeuterischer und dirigistischer Zuhälterei (§ 181a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB)) strafbar gemacht hat. Das LG stellt fest, dass ein Ausbeuten im Sinne des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB über das schlichte Ausnutzen hinausgeht. Vielmehr verlange es ein planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle, durch das die wirtschaftliche Lage des Opfers tatsächlich spürbar beeinträchtigt sei. Dabei sei grundsätzlich die Verschlechterung zu prüfen, verglichen mit dem Fall, wenn das Opfer von seinen Einnahmen alleine profitieren könnte. Ob eine spürbare Beeinträchtigung der Vermögenslage in diesem Sinne vorliegt, ist danach nur auf der Grundlage einer hypothetischen Bilanzierung unter Einbeziehung der auch ohne den Täter erwachsenden Kosten (Anbahnung und Schutz des Geschäfts, Raummiete in entsprechender Lage etc.) festzustellen. Bei Abgaben im hälftigen Umfang der Einnahmen liege eine spürbare Verschlechterung in der Regel vor, so das LG. Das Ausbeuten lag in diesem Fall vor, da die Zeugin zunächst die Hälfte, später ihre gesamten Einnahmen an den Angeklagten abtreten musste. Tatbestandliche Voraussetzung des § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist zudem ein planmäßiges Ausnutzen eines irgendwie gearteten Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisses. Gewalt oder Zwang seien dafür nicht unbedingt erforderlich, auch emotionale Abhängigkeit könne ein Herrschaftsverhältnis begründen. Es kann auch dann vorliegen, wenn sich die ausgebeutete Person „freiwillig“ unterwirft, soweit der Täter seine überlegene Position als Mittel einsetzt, um wirtschaftliche Vorteile daraus zu ziehen. Das LG stellt fest, dass ab Januar 2022 auch eine dirigistische Zuhälterei gem. § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB vorlag. Das Verhalten des Angeklagten habe darauf abgezielt, die Zeugin Z in Abhängigkeit von ihm zu halten, ihre Selbstbestimmung zu beeinträchtigen und ihre Entscheidungsfreiheit nachhaltig zu beeinflussen. Die Zeugin Z konnte sich ihm aufgrund ihrer wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit nicht entziehen.
Das LG urteilt, dass sich der Angeklagte zu Lasten der Zeugin S zudem wegen versuchter schwerer Zwangsprostitution (§§ 232a Abs. 3, 22, 23 StGB) in Tateinheit mit dirigistischer Zuhälterei strafbar gemacht hat. Eine strafbare Veranlassung zur Fortsetzung der Prostitution könne bereits vorliegen, wenn die Betroffene entgegen ihrer ursprünglichen Entscheidung zu minderwertigerer Tätigkeit gedrängt werde. Das LG stellt fest, dass in dem vorliegenden Fall zwischen einer Prostitutionstätigkeit in einem laufhausartigen Etablissement und einem hochpreisigen Escortservice ein derartiger qualitativer Unterschied besteht, dass hierin eine strafbare Veranlassung zur Fortsetzung der bereits freiwillig zur Prostitution entschlossenen Prostituierten im Sinne des § 232a StGB liege. Das LG stellt fest, dass der Angeklagte der Zeugin mit einem empfindlichen Übel drohte, indem er ihr privates Mobiltelefon an sich genommen und angekündigt hat, sie werde es erst zurückerhalten, wenn sie sich in dem laufhausartigen Etablissement prostituiere. Damit, so das LG, habe er den Tatbestand der versuchten schweren Zwangsprostitution erfüllt. Es blieb beim Versuch, da sich die Zeugin nicht aufgrund dieser Nötigung prostituierte. Die fortgesetzte Ausübung der Prostitution an diesem Ort zu einem späteren Zeitpunkt stand in keinem Zusammenhang mit der Entwendung ihres Privathandys. Tateinheitlich war zu Lasten der Zeugin S auch eine dirigistische Zuhälterei gem. § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB gegeben. Der Angeklagte habe die Zeugin S durch emotionale Abhängigkeit und Kontrolle in der Prostitution gehalten. Er habe sie überwacht, zur Prostitution angehalten und von ihrem Umfeld isoliert.
Das LG ist der Ansicht, dass außerdem das frauenverachtende Verhalten des Angeklagten strafschärfend berücksichtigt werden darf, ohne gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB zu verstoßen. Denn eine Tatmotivation, die auf einer ablehnenden Einstellung des Täters zur Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Geschlechter beruht, gehe über die tatbestandliche Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung hinaus, da diese beispielsweise auch bei gleichgeschlechtlich verübten Taten verletzt werde.
Kernpunkte
Dirigistische Zuhälterei; Ausbeutung; Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnis
Entscheidung im Volltext: