Positive Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren um Dublin- Abschiebung nach Italien; allgemeine Garantieerklärung Italiens bei Überstellung einer Schwangeren unzureichend; Ausführungen zu Anspruch auf eine Entscheidung in angemessener Zeit und Selbsteintrittsrecht nach Dublin-III-VO
Das Verwaltungsgericht (VG) hebt den Abschiebebescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf. Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige und 2018 mit ihrem Lebensgefährten nach Deutschland eingereist. 2019 beantragte sie für sich und ihre zwischenzeitlich geborene Tochter Asyl. Hierzu gab sie an, Nigeria 2008 verlassen und ca. acht Jahre in Italien gelebt zu haben. Dort sei sie Opfer von Menschenhandel geworden und habe in der Prostitution arbeiten müssen. Als sie schwanger geworden sei, sei sie mit ihrem Partner nach Deutschland geflohen.
Da sie über Italien eingereist war, stellte das BAMF ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien, auf das nicht reagiert wurde. Daraufhin lehnte das BAMF den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab und ordnete ihre Abschiebung nach Italien an. Die humanitäre Situation in Italien spräche nicht gegen eine Abschiebung und auch wenn das Gericht den Angaben der Klägerin, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein glaube, gehöre sie jetzt als Mutter eines Kleinkindes nicht mehr zur Zielgruppe der Menschenhändler*innen.
Als solche gehöre sie zwar zu einer besonders schutzwürdigen Personengruppe. Aufgrund der allgemeinen Garantieerklärung Italiens sei dies aber unerheblich.
Das VG bestätigt, dass im Fall der Klägerin nach der Dublin III-Verordnung (Dublin-III-VO, Verordnung (EU) Nr. 604/2013) zwar eigentlich Italien für die Durchführung ihres Asylverfahrens zuständig sei. Es ist aber der Ansicht, dass sich eine Zuständigkeit Deutschlands durch das Selbsteintrittsrecht aus Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ergibt. Danach sei beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände eine Zuständigkeitsübernahme unter Berücksichtigung des Wertemaßstabes der Grundrechte geboten.
Zwar sehe die Rechtsprechung keine grundsätzlichen systemischen Mängel im italienischen Asylverfahren, aber die Klägerin gehöre als Mutter eines Kleinkindes zu einer besonders schutzwürdigen Gruppe. Für diese gäbe es nach der sog. Tarakhel-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 04.11.2014 besondere Vorgaben. Diese Entscheidung sei auch auf den vergleichbar gelagerten Fall der Klägerin anwendbar. Die allgemeine Garantieerklärung Italiens sei unzureichend, sondern erforderlich sei eine individuelle Zusage der italienischen Behörden, die Familie ihren Bedürfnissen entsprechend unterzubringen mit konkreten Angaben der vorgesehenen Unterbringung. Nur so sei die Einhaltung des Schutzes der Rechte aus Art. 4 der EU-Grundrechtecharta bzw. Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention überprüfbar.
Die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig widerspräche damit EU-Recht.
Die Klägerinnen hätten zudem einen Anspruch auf eine Entscheidung in angemessener Zeit aus Art 51 Abs 1 Satz 1,1. Alt und Art 47 Satz 2 Charta der Grundrechte der EU.
Dem widerspräche, wenn das BAMF sich für unzuständig erkläre, eine Überstellung nach Italien als zuständiges Land in absehbarer Zeit nicht möglich sei. Das BAMF habe daher von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und den Asylantrag zu prüfen.
Entscheidung im Volltext: