LG Hanau, Urteil as of 6/3/2020
Aktenzeichen 5 KLs 1125 Js 16429/16 7 ER 33/17 GenStA Ffm

Key issues

Sehr umfangreiche Entscheidung in Strafverfahren wegen Menschenhandels zum Nachteil thailändischer Transsexueller; großes Täter*innennetzwerk; Ausführungen zu den Voraussetzungen für Menschenhandel/Zwangsprostitution; bei Beurteilung einer Zwangslage sei auf subjektive Perspektive der Betroffenen abzustellen; Vermögensabschöpfung in Höhe von mehr als 1 Mio. €

Summary

Das Landgericht (LG) verurteilt die Hauptangeklagte D wegen Menschenhandels, Einschleusung, Zwangsprostitution, Ausbeutung und Steuerhinterziehung zu
8 Jahre und 9 Monate Freiheitsstrafe, ihren Partner C zu 4 Jahren und 6 Monaten und drei weitere Angeklagte zu Strafen zwischen 3 Jahren und 2 Jahren auf Bewährung.
Das Gericht stellt außerdem einen Anspruch der Adhäsionsklägerin dem Grunde nach auf Schadenersatz und angemessenes Schmerzensgeld fest und zieht Vermögen in Höhe von rund 1,1 Mio. € ein.
Die D hatte zusammen mit C und später auch mit den Angeklagten A und B über Jahre thailändische Frauen und Transsexuelle mit durch falsche Angaben erschlichenen Visa nach Deutschland gebracht und hier in ihren eigenen Bordellen oder im Rahmen eines bundesweit operierenden Netzwerkes arbeiten lassen.
Die Angeklagte E leistete hierbei Beihilfe (s.u.).

 

Zur Vorgehensweise (Seite 9ff)
In enger Kooperation mit Mitgliedern des Netzwerkes in Thailand erfolgte dort die Anwerbung der Betroffenen überwiegend über das Internet. Die Frauen und Transsexuellen wurden für die Prostitution angeworben und hatten zum Teil bereits in Thailand in der Prostitution gearbeitet. Sie wussten außerdem, dass sie für die Organisation und Abwicklung der Einreise Geldbeträge zwischen 15.000 € und 20.000 € zu zahlen hätten.
Die Frauen reisten mittels Schengen-Visa ein, die mit der unwahren Behauptung eines beabsichtigten Touristen-Aufenthalts erschlichen wurden. Nach ihrer Ankunft in Deutschland wurden die Prostituierten zu ihrem jeweils vorgesehenen Einsatzort gebracht. Dort mussten sie zunächst ihre Schulden für die Einschleusung abarbeiten. Ein Teil des Geldes floss wieder nach Thailand zurück für die Tätigkeit des dortigen Netzwerkes.
Bis sie ihre Einreiseschulden beglichen hatten, mussten die Prostituierten ihre gesamten Einnahmen abgeben, wobei nach einem 50:50 Modell vorgegangen wurde, nach dem die eine Hälfte zur Begleichung der Schulden, die andere für Unterkunft und Verpflegung gerechnet wurde.
Die D trat dabei als Haupttäterin auf, indem sie die wesentlichen Punkte wie Art und Weise der Prostitutionsausübung, Einsatzorte, Preise etc. vorgab und aufgrund ihrer Sprachkenntnisse als Thailänderin auch den Kontakt zu den Prostituierten und zum thailändischen Teil des Netzwerkes hielt.
Ihr deutscher Ehemann C war über alles informiert und ebenso in die Organisation eingebunden, indem er sich aufgrund seiner Sprachkenntnisse um Behördenkontakte, Anzeigenschaltung zur Internetwerbung und Ähnliches kümmerte, aber auch um tägliche Arbeiten wie Wäsche waschen und Einkaufen etc..

Die Angeklagten A und B hatten selber als Prostituierte gearbeitet und betrieben dann eigene Bordelle und arbeiteten spätestens ab 2016 mit D zusammen indem sie eine Art Rotationsprinzip vereinbarten, nach dem die Prostituierten an verschiedenen Standorten in Deutschland in Bordellen des Netzwerkes zum Einsatz kamen, ohne dass sie jedoch hierbei selbst Mitspracherecht hatten (Seite 14ff).
 

Die Angeklagte E war Hausdame in mehreren Bordellen und mit der Überwachung und Beaufsichtigung der Prostituierten, Abwicklung der Kundenkontakte, Übergabe der Tageseinnahmen an die Angeklagte D oder Abholung von neu eingereisten Prostituierten betraut (Seite 14f).

 

Zur finanziellen Situation der Prostituierten (Seite 17ff)
Solange die Prostituierten noch Schleusungsschulden hatten, wurden ihnen ihre gesamten Einnahmen weggenommen und an D abgeführt. Dass sie so bis zur Abzahlung ihrer Schulden mittellos sein würden, wussten sie vorher nicht.
Ihnen wurden zudem 20 € pro Tag für vermeintliche Steuerzahlungen abgenommen, die tatsächlich jedoch nicht abgeführt wurden. Auf diese Weise wurden sie länger in Schulden gehalten. Die Prostituierten wohnten auch in den Zimmern, in denen sie arbeiteten und mussten sich teils 24 Stunden rund um die Uhr zur Verfügung halten. Dinge des täglichen Bedarfs konnten sie im Bordell zu überhöhten Preisen kaufen.

Insbesondere die D übte psychischen Druck aus und führte ein strenges Regiment mit Einschüchterungen und Strafen, wie z.B. Essensentzug. Sie hatte im Milieu großen Einfluss und Prostituierte, die mit ihr Schwierigkeiten hatten, fanden auch nach Schuldenfreiheit in anderen von Thailändern geführten Bordellen keine Arbeit mehr. Außerdem wurde auch Einfluss in Thailand auf die Familie der Betroffenen genommen (S. 18,153).
Das Gericht beschreibt, dass aus Sicht der Prostituierten die Einschränkung ihrer Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit, ihre Mittellosigkeit, Angst vor Strafverfolgung und Abschiebung sowie um die Familie in Thailand  zu einer Zwangslage führte, die von D ausgenutzt wurde, um die Frauen zur Fortsetzung der Prostitution anzuhalten.
 

Darstellung der Einzelfälle (S 21ff)

Das Gericht führt in 28 Einzelfällendas Vorgehen der Täter*innen aus.

 

Zum Sozialversicherungs- und Steuerbetrug (S. 35 ff, 137 ff)

Die Kammer stellt fest, dass die Haupttäterin D mit ihrem Partner C als Arbeitgeber*in auftraten, als sie im Zeitraum von 2012 bis 2018 in ihren Bordellen Prostituierte beschäftigten, da sie diese nach ihren strengen Vorgaben arbeiten ließen und eng in die Betriebsabläufe einbanden. Als Arbeitgeber*in wären die D und der C zur Abführung entsprechender Sozialversicherungsabgaben verpflichtet gewesen. Dies taten sie jedoch nicht, sondern gaben gegenüber dem Finanzamt vor, nur an selbständig arbeitende Prostituierte Zimmer zu vermieten.

Da sich hinsichtlich der Lohnzahlungen und Umsätze keine konkreten Feststellungen in der Hauptverhandlung treffen ließen, macht das LG diesbezüglich Schätzungen, deren Berechnungsgrundlage es ausführlich darlegt und dabei im Wesentlichen auf Erkenntnisse polizeilicher Ermittlungen zurückgreift (S. 35, 137ff).

Es kommt im Ergebnis zu einem Gesamtumsatz der D und C in ihren drei Bordellen von rund 2 Mio. €

In einem Gebäude von D und C stellte die Polizei rund 200.000 € Bargeld sicher.

 

Ebenso schätzt das Gericht die Umsätze der Bordellbetriebe von A und B, die ebenfalls als Arbeitgeberinnen der bei ihnen arbeitenden Prostituierten anzusehen seien, da diese nach deren strikten Vorgaben arbeiteten. Auch A und B führten keinerlei Sozialabgaben ab.

Für A und B errechnet das Gericht rund 150.000 € Umsatz für 2016 bis 2018.

 

Beweiswürdigung (S. 48ff)

Im Rahmen der Beweiswürdigung setzt das LG sich mit den Einlassungen der Angeklagten auseinander. Die Angeklagten A, B und E hatten sich im Wesentlichen geständig eingelassen.

Die D, die bereits einschlägig vorbestraft war, wandte sich gegen den Menschenhandelsvorwurf, indem sie angab, sie habe keinen Druck auf die Prostituierten ausgeübt (S. 51).

 

Das Gericht hält die Einlassungen der Angeklagten für weitgehend glaubhaft, es führt jedoch aus, warum es eine Zwangslage der Frauen gegeben sieht, auch wenn die D und die anderen Angeklagten keine körperliche Gewalt anwandten, die Frauen sowohl über Mobiltelefone und Internetzugang verfügten, die Bordelle auch verlassen konnten und die Pässe nicht bei allen einbehalten wurden (S.136f und an anderen Orten).

Das LG legt dar, auf welche Weise die Angeklagten gleichwohl eine Drohkulisse aufgebaut hätten, durch die sie die Frauen in der Prostitution hielten. Abzustellen sei hierbei auf deren subjektive Lage und nach der habe eine Zwangslage bestanden, da sie aufgrund fehlender Sprachkenntnisse, ihres illegalen Status´ Entdeckung und Abschiebung und Repressalien für ihre Familien wegen noch nicht bezahlter Schulden fürchteten. Diese Situation nutzten die D und der C, um die Frauen zur Fortsetzung der Prostitution zu bringen. Darüber hinaus gehende Gewalt oder Täuschung sei nicht erforderlich (S. 154).

 

Zur Strafbarkeit (S. 151ff):

Im Rahmen der Erörterung der Strafbarkeit der Angeklagten stellt das Gericht erneut klar, dass die D als Hauptverantwortliche der Organisation anzusehen sei. Es macht längere Ausführungen dazu, warum der C sich nicht lediglich der Beihilfe strafbar gemacht hat, sondern als Mittäter zu sehen sei. (S.152f).

Das LG führt weiter umfassend aus, dass alle Angeklagten jeweils als Mitglied einer Bande im Sinne des § 97 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz bzw. § 232 Abs. 2 Nr. 3 Strafgesetzbuch handelten, legt für jede/n Angeklagte/n die Tatbeiträge dar und stellt fest, dass die Unterschiedlichkeit der Tatbeiträge nicht gegen das Vorliegen einer Bande spräche, sondern gerade erst im bandenmäßigen Zusammenwirken die Begehung von Taten im vorliegenden Ausmaß ermögliche (S. 162f).

 

Strafzumessung (S. 166ff)

Das Gericht kommt nach jeweils umfassender Abwägung für die D zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren und 9 Monaten, den C 4 Jahren und 6 Monate, A und B 3 Jahren und E 2 Jahre auf Bewährung.

 

Vermögensabschöpfung (S.181ff)

Das LG ordnet im Rahmen der Vermögensabschöpfung auf Grundlage der zuvor gemachten Berechnungen (s.o.) bei D und C die Einziehung von rund 1.2 Mio. € und bei

A und B von rund 50.000 € an.

 

Adhäsionsantrag (S. 182f)

Eine der Geschädigten hatte als Nebenklägerin einen Adhäsionsantrag auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gestellt. Das Gericht spricht einen solchen dem Grunde nach zu, sieht aber hinsichtlich der Höhe von einer Entscheidung ab, da diese das Verfahren verzögern würde, was den sich seit mehr als 2 Jahren in Untersuchungshaft befindenden Angeklagten nicht zumutbar sei.

 

Eine Revision der Angeklagten wurde vom BGH mit Beschluss vom 21.04.2021  weitestgehend abgelehnt. Lediglich einige der einbezogenen Fälle von Steuerhinterziehung waren nach Ansicht des BGH schon verjährt gewesen, so dass diesbezüglich zur Neuentscheidung zurückverwiesen wurde.

Entscheidung im Volltext:

lg_hanau_03_06_2020_kl (PDF, 7.5 MB, nicht barrierefrei)

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