SG Köln, Urteil as of 5/17/2022
Aktenzeichen S 15 AS 4356/19

Key issues

Positive Entscheidung im Sozialgerichtsverfahren um Erstattung der Kosten für Beschaffung von Ausweispapieren; macht Jobcenter Leistungen von Vorlage von Papieren abhängig, sind die Kosten für die Beschaffung als Zuschuss zu übernehmen; Regelbedarf erfasst nicht Papiere für unter 14-Jährige; tatsächliche Kosten für ausländische Papiere überschreiten Anteil für Papierbeschaffung im Regelsatz erheblich

Summary

Das Sozialgericht (SG) spricht dem 2018 geborenen Kläger einen Anspruch auf Erstattung von rund 250 € für die Beschaffung eines Ausweises zu. Der Kläger bezieht zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und hatte einen Antrag auf die Erstattung der Kosten gestellt, die durch die Beschaffung eines Passes sowie Ausweises bei der schwedischen Botschaft entstanden waren. Die Mutter hatte hierfür insgesamt ein Darlehen in Höhe von rund 420 € aufgenommen.

Sie war vom Jobcenter aufgefordert worden, für den Kläger einen Aufenthaltstitel sowie Pass vorzulegen. Hiervon war die Leistungsbewilligung abhängig gemacht worden. Erst im Juni 2019 bewilligte das Jobcenter Leistungen auch für den Kläger, nachdem die Mutter Widerspruch gegen deren Ablehnung eingelegt und einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt hatte. Das Jobcenter hatte zunächst weiter auf den Nachweis der Staatsangehörigkeit bestanden.

Die Mutter hatte daher im Juni 2019 bei der schwedischen Botschaft einen Pass und einen Ausweis für den Kläger beantragt und erhalten, wofür ihr Kosten von insgesamt 383 € entstanden (139 € Reisepass,136 € Ausweis,108 € Fahrtkosten). Die Erstattung dieser Kosten beantragte die Mutter beim Jobcenter als Zuschuss für die Beschaffung von Ausweispapieren. Das Jobcenter lehnte den Antrag ab, weil es sich nicht um einmalige Bedarfe nach § 24 SGB II handele, da sie vom Regelbedarf umfasst seien. Auch ein Darlehen komme nicht in Betracht, da die Kosten schon bezahlt worden seien.

Den Widerspruch, mit dem der Kläger auch die Fahrtkosten geltend machte, lehnte das Jobcenter auch ab, da sie ebenfalls zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits beglichen worden seien und ein Bedarf nicht mehr bestehe. Es handele sich auch nicht um einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II, da es nicht um einen laufenden Bedarf gehe. Hiergegen machte der Kläger in seiner Klage geltend, dass die Kosten für die Beschaffung von Ausweispapieren erst für Kinder ab 14 Jahren im Regelbedarf enthalten seien. Außerdem hätte das Jobcenter die Leistungen an den Kläger von der Vorlage der Papiere abhängig gemacht und habe so seine Aufklärungspflicht, dass Ausweispapiere nicht zwingend er­forderlich seien, verletzt.

Das SG spricht einen Anspruch auf die Erstattung der Kosten für die Beschaffung des Ausweises und der Fahrtkosten zu. Es sieht einen Anspruch des Klägers nach
§ 21 Abs. 6 SGB II als gegeben, wonach im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf bestehe und bei einmaligen Bedarfen ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 ausnahmsweise nicht zumutbar sei. Unabweisbar sei der Mehrbedarf, wenn er insbesondere weder durch die Zuwendungen Dritter oder durch Einsparungen der Leistungsberechtigten gedeckt werden könne und in der Höhe erheblich vom durch­schnittlichen Bedarf abweiche. Die Beschaffung von Papieren sei eine einmalige Aufwendung.

Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass einmalige Mehrbedarfe wie vorliegend zwar erst seit dem 01.01.2021 vom § 21 Abs. 6 SGB II erfasst würden, es aber auf die Gesetzeslage zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankomme.

Das Gericht erklärt, der Bedarf sei auch unabweisbar gewesen, da die Mutter den Betrag von über 400 € nicht in so kurzer Zeit hätte ansparen können, so dass ein besonderer Bedarf vorläge. Ausweispapiere für unter 14-Jährige seien vom Regelbedarf nicht erfasst. Zwar sähe der Regelbedarf einen Teil für die Beschaffung von Ausweispapieren vor, dieser entspräche aber bei weitem nicht den üblichen Kosten für die Beschaffung ausländischer Ausweispapiere, da die Kosten für die Beschaffung deutscher Papiere zugrunde gelegt worden seien.

Aufgrund des Verhaltens des Jobcenters sei vorliegend auch ein Darlehen nach
§ 24 Abs. 1 SGB II nicht zu­mutbar. Hiervon sei auszugehen, wenn unverschuldet ein hoher Bedarf entstanden sei. Vorliegend sieht das SG das Jobcenter insoweit in der Verantwortung, als es die Mutter fälschlich hat Glauben machen, Ausweispapiere seien Voraussetzung für den Leistungsbezug des Klägers. Das SG sieht daher einen Anspruch auf Übernahme eines Teils der Kosten als Zuschuss gegeben. Dies beträfe aber nur die Kosten für den Ausweis sowie der nachgewiesenen Fahrtkosten. Die Kosten für den Reisepass seien nicht zu erstatten, da das Interesse an Reisen in außereuropäische Länder nicht zum existenzrechtlich geschützten Bedarf zähle.

Entscheidung im Volltext:

Sg_koeln_17_05_2022 (PDF, 336 KB, nicht barrierefrei)

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