KOK-Fachkonferenz „Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland – wo stehen wir zwei Jahre nach Umsetzung der EU-Richtlinie?“ 25. – 26. Oktober 2018

  • Begrüßungsworte von Sophia Wirsching, Geschäftsführerin des KOK e.V.

  • Vortrag von Myria Vassiliadou, EU Koordinatorin gegen Menschenhandel

  • Vortrag von Petya Nestorova, Generalsekretärin der Europaratskonvention gegen Menschenhandel

  • Barbara Lochbihler, MEP, im Gespräch mit Sophia Wirsching, KOK

  • Dr. Claudia Neusüß, Moderatorin, begrüßt Andrea Hitzke, Vorstandsmitglied des KOK

  • Parosha Chandran, Petya Nestorova und Helga Gayer im Gespräch

  • Podium I v.l. Dr. Claudia Neusüß, Manfred Buchner, Beratungsstelle MenVia Wien, Debbie-Beadle, ECPAT UK

  • Podium I v.l. Debbie-Beadle, ECPAT UK, Eva Plank Sandhofer, BKA Österreich, Parosha Chandran, Menschenrechtsanwältin UK

  • Podium II v.l. Dr. Sylwia Timm, Faire Mobilität Berlin, Dr. Dorothea Czarnecki, Helga Gayer, BKA Deutschland

  • Podium III v.l. Doris Achelwilm, MdB DIE LINKE, Dr. Christoph Hoffmann, MdB FDP, Barbara Lochbihler, MEP Die Grünen, EFA

  • Diskussionsbeitrag von Christina Gavrilovic, Justice and Care

  • Diskussionsbeitrag von Gabriele Höbenreich Hajek, SOLWODI München

Fotos: ©Maurice Ressel

Am 25. und 26. Oktober 2018 fand im Festsaal der Berliner Stadtmission die KOK-Fachkonferenz „Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland – wo stehen wir zwei Jahre nach Umsetzung der EU-Richtlinie“ statt. Verschiedene nationale sowie internationale Expert*innen diskutierten zwei Jahre nach der Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU zur Bekämpfung des Menschenhandels in Deutschland, was seitdem erreicht wurde und wo noch Verbesserungspotential besteht. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den durch die Umsetzung der EU-Richtlinie neu erfassten Straftatbeständen des Menschenhandels zum Zwecke von erzwungenen Betteltätigkeiten und des Menschenhandels zum Zwecke der Ausnutzung strafbarer Handlungen. Es wurde von verschiedenen Seiten beleuchtet, ob und wie Betroffene dieser Ausbeutungsformen erkannt und unterstützt werden können. Der Blick nach Österreich, England und Belgien zeigte dabei, wie andere europäische Länder gegen Menschenhandel vorgehen und gab Impulse, einzelne dort erfolgreiche Maßnahmen auch in Deutschland einzusetzen. Des Weiteren wurde die Non-Punishment-Clause, die dem Schutz der Betroffenen dient, genauer betrachtet. Durch die Teilnahme von Myria Vassiliadou, der EU-Koordinatorin gegen Menschenhandel, und Petya Nestorova, der Generalsekretärin der Europarats-Konvention gegen Menschenhandel, berücksichtigte die Konferenz auch die europäische Perspektive auf die Entwicklungen in Deutschland. Eröffnet wurde die Tagung mit einem Grußwort der parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Caren Marks.

Dr. Claudia Neusüß übernahm die Gesamtmoderation der Fachtagung, deren gesamtes Programm hier zugänglich ist. Im Folgenden finden Sie kurze Zusammenfassungen sowie Tonaufnahmen der verschiedenen Vorträge und Podien. 

Die FAZ berichtete im Anschluß über die Konferenz.

Audiomitschnitt: Begrüßung Andrea Hitzke

Begrüßung durch Caren Marks, parlamentarische Staatssekretärin im BMFSFJ

Zu Beginn ihres Grußwortes hob Caren Marks hervor, wie aktuell und herausfordernd die Bekämpfung von Menschenhandel sei und wie vielseitig das Phänomen in seinen verschiedenen Formen sein könne. Die Bekämpfung von Menschenhandel sei, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, ein Ziel der Bundesregierung. Dabei müsse ein menschenrechtsbasierter und geschlechtsspezifischer Ansatz verfolgt werden, da Menschenhandel zu erheblichen Teilen Gewalt gegen Frauen und Mädchen beinhalte, deren Bekämpfung ebenfalls im Koalitionsvertrag erfasst sei. Zur Umsetzung dieser Ziele sei die Erarbeitung eines neuen Aktionsplanes zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vorgesehen, der auch Maßnahmen für Menschenhandelsbetroffene enthalten solle.

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Anschließend führte Marks verschiedene aus ihrer Sicht diesbezüglich erfolgreiche Entwicklungen der letzten Legislaturperiode an und ging dabei neben rechtlichen Verbesserungen im Aufenthaltsrecht, dem Prostituiertenschutzgesetz und der Neuregelung zur Vermögensabschöpfung in Strafverfahren vor allem auf die Umsetzung der EU-Richtlinie 2011/36 und die daraus resultierende Reform des Strafrechtes ein. Die damit zusammenhängenden Neuerungen waren aus Sicht Marks dringend notwendig, auch um die international gängigen Definitionen ins deutsche Recht zu übertragen. Bezüglich der Umsetzung der Neuregelungen sieht sie verschiedene Akteure wie Bund, Länder,  Behörden und Opferunterstützungseinrichtungen gemeinsam in der Pflicht und hält eine Überprüfung der Praxis durch all diese Akteure für eine wichtige Maßnahme. In diesem Zusammenhang sieht Marks auch den europäischen Austausch sowie das Monitoring durch GRETA als hilfreichen Input für Verbesserungen. Aber auch die innerdeutsche Vernetzung, koordiniertes Handeln und verlässliche Kooperation seien Schlüssel zur Bekämpfung des Menschenhandels. Sie bezog sich dabei auch auf die Bund-Länder-Arbeitsgruppe (BLAG) Menschenhandel, die BLAG Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung und die BLAG zur Bekämpfung von Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung.
Marks erwähnte weiterhin die wichtige Rolle von NGOs bei der Identifizierung, dem Schutz und der Unterstützung Betroffener, weswegen auch die Zusammenarbeit zwischen den Fachberatungsstellen, der Polizei, weiteren staatlichen Stellen und anderen neuen Akteuren auf eine verlässliche, strukturelle Basis gestellt werden müsse, zum Beispiel durch Modelle wie das Bundeskooperationskonzept Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern.
Abschließend plädierte Marks für eine Gesamtstrategie von Regierung, Zivilgesellschaft und Politik, um eine effektive Bekämpfung von Menschenhandel und Opferschutz sowie eine bessere Verzahnung der BLAGs zu gewährleisten. Sie berichtete außerdem, dass die Einrichtung einer nationalen Berichterstattungsstelle geprüft werde.

Audiomitschnitt

 Audiomitschnitt: Einführung Sophia Wirsching

Einführungsvortrag von Myria Vassiliadou, EU-Koordinatorin gegen Menschenhandel

Myria Vassiliadou betonte zu Beginn ihres Einführungsvortrages, dass die KOK-Fachtagung ein gutes Beispiel für den Einbezug der Zivilgesellschaft in die Umsetzung von EU-Recht auf nationalem Level sei. Menschenhandel sei ein äußerst gewinnbringendes Verbrechen. Um die hohen daraus resultierenden Profite besser zu verbildlichen, zog Vassiliadou eine Schätzung von Europol heran, die von 29 Milliarden Euro jährlichem Gewinn für Menschenhändler*innen ausgeht. Sie fügte hinzu, dass Menschenhandel jedoch nicht nur hohe Profite für die kriminellen Täter*innen bereithalte, sondern auch Gewinne für den legalen und illegalen Wirtschaftssektor generiere. Unter Bezugnahme auf einen Bericht von Europol zu Kinderhandel, veröffentlicht im Oktober 2018, betonte sie außerdem die hohen Erträge, die aus der Ausbeutung von Kindern hervorgehen.

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Vassiliadou ging anschließend beispielhaft auf die geschätzten Erträge ein, die Menschenhändler*innen 2016 durch den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung mit nigerianischen Frauen in Italien generieren konnten, die sich auf etwa eine halbe Milliarden Euro belaufen. Vassiliadou wies jedoch ausdrücklich darauf hin, dass sich dieser Beispielfall auf nur eine Ausbeutungsform und eine Nationalität beschränke sowie ausschließlich den Zeitraum von einem Jahr und nur ein bestimmtes Land in den Blick nehme. In diesem Zusammenhang erwähnte sie die Zunahme von Menschenhandel aus westafrikanischen Staaten nach Europa und nannte Deutschland als eines der Hauptzielländer, erinnerte aber auch daran, dass Menschenhandelsbetroffene zu großen Teilen aus Europa und Deutschland kommen und Menschenhandel nicht nur ein migrationsbezogenes Verbrechen sei. Sie betonte, dass nicht die Vulnerabilität von Betroffenen zu Menschenhandel führe, sondern die hohen Erträge dieses Verbrechens.

Es müsse zudem sichergestellt werden, dass Täter*innen bestraft werden, um einer „Kultur der Straflosigkeit“ entgegenzuwirken. Diesbezüglich hob Vassiliadou die Komplexität von Menschenhandelsketten hervor. Sie betonte, dass noch viel zu tun sei, so zeige ein Bericht der EU Kommission, dass nicht alle Mitgliedsstaaten Maßnahmen umgesetzt haben, um diejenigen, die Menschenhandelsbetroffene ausbeuten, zu bestrafen. Des Weiteren betone die Europäische Agentur für Grundrechte in ihrem SELEX II Bericht, dass Menschenhandelsbetroffene Enttäuschung über mangelnde Konsequenzen für Täter*innen äußerten.

Vassiliadou ging weiter auf die EU-Förderung von menschenhandelsbezogenen Projekten ein und betonte, dass im Zeitraum von 2004-2015 zu großen Teilen Projekte zu Arbeitsausbeutung gefördert wurden, wie eine Studie belege. Im Dezember 2017 seien die neuen politischen Prioritäten der EU kommuniziert worden, die unter anderem Prävention, die Unterstützung und den Schutz von Betroffenen, die Unterbrechung des kriminellen Geschäftsmodelles, die Sicherstellung von menschenhandelsfreien Produktionsketten sowie eine intensivere Koordination enthalten. Wichtig sei dabei grundsätzlich, dass Betroffene Rechteinhaber*innen seien und auch geschlechtsspezifische Maßnahmen angewandt werden.

Die EU-Kommission begleite die Umsetzung der EU-Richtlinie und könne trotz wesentlicher Fortschritte noch Missstände z.B. im Bereich des Kindesschutzes, der Entschädigung oder der Non-Punishment-Clause verzeichnen. Diesbezüglich werde die EU-Kommission weiterhin Unterstützung anbieten, aber auch Konsequenzen ziehen, falls das EU-Recht nicht ordnungsgemäß umgesetzt werde. Aus Sicht der EU-Kommission müsse die Umsetzung der innovativen existierenden Regelungen im Fokus stehen. Es gebe diesbezüglich einen Bedarf an zuverlässigen Daten, die hohen Erträge des Menschenhandels müssten verhindert werden und eine „Kultur der Straflosigkeit“ dürfe nicht akzeptiert werden.

Audiomitschnitt

Einführungsvortrag zu Podium I von Parosha Chandran „Erfahrungen mit Menschenhandelsverfahren, insbesondere zur Anwendung der Non-Punishment-Clause“

Parosha Chandran begann ihren Einführungsvortrag mit einer kurzen Erläuterung der Non-Punishment-Clause. Staaten, die die EU-Richtlinie 2011/36 umgesetzt haben, sind verpflichtet, Menschenhandelsbetroffene vor Strafverfolgung und Strafe zu schützen, wenn die begangenen Straftaten eine direkte Folge des Menschenhandels seien. In ihrem ersten Präzedenzfall von 2008 bezüglich der Non-Punishment-Clause wurde eine menschenhandelsbetroffene Frau wegen eines Passvergehens zu acht Monaten Haft verurteilt. Chandran legte auf Grundlage des Artikels 26 der Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels Berufung ein und konnte, obwohl Großbritannien die Konvention zu diesem Zeitpunkt lediglich unterzeichnet hatte, sie aber noch nicht in Kraft getreten war, einen Erfolg erringen, der die Non-Punishment-Clause an Großbritanniens Gerichten durchsetzte.

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Da die EU-Richtlinie 2011/36 die im Palermo-Protokoll und der Europaratskonvention festgehaltenen Ausbeutungsformen ausdrücklich um die Ausbeutung erzwungener Straftaten erweitere, sei die Richtlinie heute bezüglich der Anwendung der Non-Punishment-Clause in diesen Fällen sehr hilfreich.

Es gebe jedoch einen Unterschied zwischen Fällen, in denen es um Passvergehen gehe und solchen, in denen Drogenvergehen verhandelt werden. Im Fall R v N wurde N, ein Junge, der im Cannabisanbau ausgebeutet wurde, zu neun Monaten Haft und anschließenden neun Monaten Sozialstunden verurteilt. Auch in diesem Fall legte Chandran Berufung ein, der aber nicht stattgegeben wurde. Ns Urteil wurde lediglich auf vier Monate verkürzt, weswegen Chandran den Fall 2012 beim EGMR vorlegte. 2018 wurde der Fall für zulässig erklärt.

Chandran betonte, dass sie trotz dieses Rückschlags nicht aufgeben wollte, und legte in einem weiteren Fall, auf Basis der EU-Richtlinie, Berufung ein. Im Fall R v L and others wurde L, eine Betroffene von sexueller Ausbeutung aus Uganda, für ein Passvergehen verurteilt. Chandran wurde in diesem Fall durch eine Publikation der OSZE zur Anwendung der Non-Punishment-Clause unterstützt. Die Verurteilungen Ls und der anderen Betroffenen wurden aufgehoben. Auch wenn damit ein Präzedenzfall zur Non-Punishment-Clause auf Grundlage der EU-Richtlinie geschaffen wurde, wenden die Gerichte dies aus Sicht Chandrans nicht immer an.

Laut Chandran gebe es weiterhin viele Herausforderungen bezüglich der Non-Punishment-Clause wie zum Beispiel die Identifizierung Betroffener. Betroffene von Menschenhandel würden häufig nicht als solche identifiziert, sondern als Täter*innen behandelt, was unter anderem mit fehlenden Schulungen zu tun haben könnte. Des Weiteren betonte sie die Verpflichtung von Staaten, Menschenhandel strafrechtlich zu verfolgen und die Wichtigkeit von klaren Regelungen und einer festgelegten Praxis.

Abschließend stellte Chandran ein Good-Practice Beispiel aus Großbritannien vor, in dessen Rahmen betroffene, als Drogenkurier missbrauchte Mädchen nicht verurteilt wurden. Stattdessen wurden Schutzmaßnahmen ergriffen, während die Täter hohe Haftstrafen verbüßen mussten.

Der Vortrag von Parosha Chandran ist hier einsehbar.

Audiomitschnitt

Podium I: „Umsetzung der Richtlinie – Beispiele aus anderen europäischen Ländern“

Das Podium I mit dem Titel „Umsetzung der Richtlinie – Beispiele aus anderen europäischen Ländern“ ging der Frage nach, wie die Situation nach der Umsetzung der Richtlinie in anderen EU-Mitgliedsstaaten aussieht. Die Podiumsgäste teilten dabei vor allem Erfahrungen zu Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung von Betteltätigkeiten, zur Unterstützung von männlichen sowie minderjährigen Betroffenen, zur Anwendung der Non-Punishment-Clause sowie zur Kooperation zwischen verschiedenen relevanten Akteuren. Im Folgenden werden die Hauptaussagen der Panelist*innen zusammengefasst wiedergegeben.

Manfred Buchner, Fachberatungsstelle MenVia Wien:

Buchner stellte zunächst die Einrichtung MenVia, eine Opferschutzeinrichtung in Wien, vor, die Unterstützung für menschenhandelsbetroffene Männer bereitstellt. MenVia biete nicht nur Beratung sondern auch Begleitung im Alltag und Schutzwohnungen, was besonders wichtig für Männer sei, die jahrelang am Rande der Gesellschaft gelebt haben. Die meisten Betroffenen, die bei MenVia Unterstützung suchen, seien Betroffene von Arbeitsausbeutung und Ausbeutung von Betteltätigkeiten. Buchner betonte die Wichtigkeit von Vernetzung, Schulungen und Kooperation vor allem mit anderen Berufsgruppen, die Zugang zu potentiellen Betroffenen haben könnten, mit Strafverfolgungsbehörden sowie mit weiteren NGOs. Buchner betonte weiterhin die Relevanz von psychosozialer Prozessbegleitung, die in Österreich bundesweit einheitlich festgelegt sei. Auf die Frage, was sich in Deutschland replizieren lassen könne, antwortete Buchner, dass empirische Studien vor Beginn der eigentlichen Arbeit wichtig seien und das Fachlichkeit ernst genommen werden müsse.

Debbie Beadle, ECPAT UK:

Zunächst stellte Beadle die beiden Jugendgruppen für menschenhandelsbetroffene Mädchen und Jungen vor, die ECPAT in London anbietet.

Sie betonte anschließend, dass die Gesetzgebung in Großbritannien ihrer Meinung nach nicht zufriedenstellend genutzt werde, um z.B. Ressourcen für die Identifizierung Betroffener bereitzustellen. Außerdem sei der nationale Verweismechanismus für Menschenhandelsbetroffene in Großbritannien laut ECPAT nicht für Kinder geeignet.

Des Weiteren seien viele „frontline responder“ wie Sozialarbeiter*innen oder die Polizei nicht ausreichend im Bereich Menschenhandel ausgebildet. Als praktischen Lösungsvorschlag gab sie daher an, dass finanzielle Mittel für „frontline responder“ verschiedener Berufsrichtungen bereitgestellt werden müssen. Jedoch gebe es auch Fortschritte. Die Polizei sei in Ermittlungen heute sensibler gegenüber Kindern. Außerdem habe sich die Kooperation zwischen NGOs und Polizei verbessert. Bezüglich der Situation in Deutschland schlug Beadle besseres Training für „frontline responder“ sowie einen funktionierenden Dialog und Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Akteuren vor.

Eva Plank-Sandhofer, Leiterin des Referats Menschenhandel des BKA Österreich:

In Österreich vereinfache die Existenz von nur einer für Menschenhandel zuständigen Polizei laut Plank-Sandhofer vieles. Außerdem gebe es eine spezielle Einheit mit Zentralstelle und Außenstellen in jedem Landeskriminalamt, die für Menschenhandel aller Ausbeutungsformen zuständig sei. Österreich habe die EU-Richtlinie 2013 in nationales Recht umgesetzt. De facto hatten die Strafverfolgungsbehörden jedoch schon vorher mit Fällen der erzwungenen Bettelei und erzwungenen Straftaten zu tun, die damals als spezielle Form der Arbeitsausbeutung ausgelegt wurden, wodurch Urteile erreicht werden konnten. Es gebe jedoch nach wie vor Herausforderungen. So seien die meisten Betroffenen von Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung von Bettelei Männer gehobeneren Alters aus Rumänien, Bulgarien und der Slowakei, die oft unter körperlichen Gebrechen oder Sucht leiden, was Polizei und Opferschutzeinrichtungen vor Herausforderungen stelle. Des Weiteren halten sich Täter*innen, die junge Frauen zu Wohnungseinbrüchen oder Diebstählen zwingen, oft im Ausland auf. Obwohl die Non-Punishment-Clause für gewöhnlich funktioniere, treten hier Schwierigkeiten auf. Zwar seien die Gerichte oft gnädig, die Non-Punishment-Clause werde jedoch nicht angewandt, da die Ausbeuter*innen nicht unmittelbar vor Ort seien und daher laut den Gerichten keine akute Bedrohungssituation für die Betroffenen bestehe.

Seit 2003 gebe es einmal im Jahr ein gemeinsames Treffen der Beamt*innen in Österreich, die mit Menschenhandel zu tun haben, um rechtliche Entwicklungen zu besprechen und Erfahrungen auszutauschen. Weiterhin werde in Schulungen, z.B. in Asylbehörden, von Ärzt*innen, Arbeitsinspektor*innen oder öffentlichen Verkehrsmittelanbietern, investiert. Außerdem sei Menschenhandel ein fester Bestandteil der Ausbildung aller Polizeibeamt*innen. Einmal jährlich gebe es zudem einen runden Tisch mit Justiz, Vertreter*innen von NGOs und der Polizei, bei dem vergangene Fälle besprochen und Verbesserungen diskutiert werden.

Parosha Chandran, Rechtsanwältin UK:

Auf die Frage, was sich an der internationalen Zusammenarbeit verbessern lasse, führte Chandran einen Fall aus Großbritannien an, bei dem Roma-Kinder wegen Diebstahls verhaftet wurden. Ein Mädchen musste mehrfach verurteilt werden, bevor Ermittlungen wegen Menschenhandels zur Ausbeutung erzwungener Straftaten eingeleitet wurden, welche zur Verurteilung mehrerer Täter führten. Chandran bezog diesen Fall auf eine Aussage des ehemaligen französischen Präsidenten Sarkozy, der während seiner Amtszeit forderte, dass Roma-Kinder in Paris nach Rumänien abgeschoben werden sollten. Ihrer Ansicht nach könnten diese Kinder jedoch Betroffene von Menschenhandel gewesen sein. Eine bessere internationale Vernetzung und Aufklärung könne hier Abhilfe schaffen. Chandran betonte außerdem, dass Menschenrechte bei der Bekämpfung von Menschenhandel im Mittelpunkt stehen müssen.

Audiomitschnitt: Podium I

Einführungsvortrag zu Podium II von Helga Gayer „Erfahrungen zu den neuen Straftatbeständen und zur Ausnutzung der Bettelei und erzwungener Straftaten“

Helga Gayer stellte zunächst fest, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie in Deutschland lange gedauert habe, damit ein für die Praxis besser handhabbares Gesetz gestaltet werden könne. Eine Evaluierung des Gesetzes von staatlicher Seite sei erst nach 4 Jahren vorgesehen, da die Umsetzung von Gesetzen in der Praxis Zeit brauche, trotzdem gab Gayer erste Einblicke in die Umsetzung aus Sicht der Polizei. Das Bundeslagebild Menschenhandel verzeichne laut Gayer einen Rückgang von Ermittlungsverfahren, was jedoch kein Indiz für einen Rückgang des Menschenhandels sei, sondern nur aussage, wie viele Ermittlungsverfahren die Polizei an die Staatsanwaltschaft abgegeben habe. Der Rückgang könne unter anderem auch eine Änderung der Rahmenbedingungen bei der Polizeiarbeit bedeuten. Gayer stellte anschließend Daten aus dem Bundeslagebild Menschenhandel 2017 des BKA vor und erläuterte die zwei Ermittlungsverfahren, die es im Bereich Ausbeutung von Bettelei gab. Bei Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung von erzwungenen Straftaten gebe es keine Verfahren zu verzeichnen, jedoch sei polizeilich bekannt, dass Verbrecherbanden vermehrt Minderjährige einsetzen, bei denen die Polizei vermutet, dass sie Opfer von Menschenhandel seien.

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Herausforderungen bei der Identifizierung seien jedoch die hohe Mobilität und familiäre Gebundenheit der Betroffenen. Auch bei illegalem Organhandel seien keine Fälle zu verzeichnen. Aus Sicht Gayers habe der Gesetzgebungsprozess dennoch zu einem verstärkten Bewusstsein bei Polizei und anderen Akteuren geführt und gerade im Bereich Arbeitsausbeutung haben sich die Unterstützungsstrukturen deutlich verbessert. Anschließend stellte Gayer Umsetzungsmaßnahmen von Seiten der Polizei dar und nannte zum Beispiel die Erweiterung des Bundeslagebildes, verschiedene Tagungen und Schulungen der Polizei und weiteren Kooperationspartnern, das Projekt EMPACT THB sowie ein Forschungsprojekt zur Ausbeutung Minderjähriger in Deutschland, Rumänien und Bulgarien. Auch in den Bundesländern wurden laut Gayer verschiedene Maßnahmen umgesetzt, so wurde beispielsweise in Bayern nach intensiver Zusammenarbeit mit Österreich ein Leitfaden zur Bekämpfung der organisierten Bettelei und erzwungenen Straftaten erstellt. Nichtsdestoweniger gebe es nach wie vor viele Herausforderungen, bei denen zuallererst die fehlende Opferidentifizierung zu erwähnen sei. Dafür brauche es eine gute Polizeiarbeit sowie gute Kooperationsnetzwerke. Ein weiterer Anreiz für Opferaussagen sei die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, die für einen besseren Opferschutz und einfachere Entschädigung sorgen könne. Zusammenfassend führe die Umsetzung der EU-Richtlinie aus Sicht der Polizei zu besseren Rahmenbedingungen und es seien zahlreiche Maßnahmen ergriffen worden, um das Gesetz auf polizeilicher Ebene umzusetzen.

Audiomitschnitt

Podium II „ Reformierte Straftatbestände in Deutschland – erste Erfahrungen der Strafverfolgung und Unterstützung Betroffener“

Das Podium II mit dem Titel „Reformierte Straftatbestände in Deutschland – Erste Erfahrungen der Strafverfolgung und Unterstützung Betroffener“ beschäftigte sich mit der Situation in Deutschland nach der Umsetzung der EU-Richtlinie 2011/36. Im Folgenden werden die Hauptaussagen der Panelist*innen zusammengefasst wiedergegeben.

Doris Köhncke, Leiterin des Fraueninformationszentrums FIZ, Stuttgart:

Aus Sicht Köhnckes kommen die neuen Ausbeutungsformen noch nicht in der Praxis an, obwohl sie vermutet, dass es in Stuttgart sowohl Menschenhandelsfälle zur Ausbeutung von Betteltätigkeiten als auch zur Ausbeutung von erzwungenen Straftaten gebe. Auch Fälle von Arbeitsausbeutung gebe es viele, ob allerdings zusätzlich Menschenhandel dahinterstehe, wisse man häufig nicht. Anhand eines Beispielfalles sprach Köhncke des Weiteren die Problematik der Betroffenenidentifizierung an. Wenn Personen offiziell als Betroffene von Menschenhandel identifiziert seien, haben sie auch bestimmte Rechte. Um aber tatsächlich das Vorliegen von Menschenhandel zu ermitteln und festzustellen, brauche es  Zeit, Informationen und auch die Betroffenen mit ihrer Aussage. Da jedoch Personen, die noch nicht offiziell identifiziert und als Betroffene von Menschenhandel anerkannt wurden, keinen Anspruch auf Unterstützung z.B. in Form von Finanzierung einer Unterbringung haben, sei es schwer sie unterzubringen und zu beraten, bis die Dinge (z.B. Ermittlungen) ins Laufen kämen. Dementsprechend betonte sie die Notwendigkeit von finanziellen Ressourcen, auch für die Betroffenen, bspw. für die sichere Unterbringung. Sie erwähnte außerdem, dass in Baden-Württemberg, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, ein Runder Tisch zum Thema Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung eingeführt werden solle. Ein erstes Treffen habe stattgefunden und ein Kooperationsleitfaden zu Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung solle entwickelt werden. Köhncke hofft, dass es zur Umsetzung komme, jedoch sei auch hier die Frage der Finanzierung ungeklärt. Sie betonte anschließend, dass man Ausbeutung und Menschenhandel auch mit einem bewussten Konsumverhalten entgegensteuern könne. Als Appell an die Politik formulierte Köhncke, dass die Erfahrungen mit Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung genutzt werden müssen, um den Umgang mit den neuen Straftatbeständen zu vereinfachen.

Dr. Sylwia Timm, Beratungsstelle Faire Mobilität, Berlin:

Timm berichtete zunächst aus ihrem Alltag in der Beratung polnischer Pflegekräfte. Sie habe tagtäglich mit Frauen zu tun, die ausgebeutet werden. Jedoch habe sie während der sieben Jahre, die sie in diesem Beruf arbeitet, keinen Fall von Strafverfolgung miterlebt, was mit der hohen Mobilität in der Branche sowie mit der möglichen Angst vor der Polizei zu tun habe. Timm bezeichnete das Pflegesystem als eine rechtmäßige Ausbeutung, es brauche daher politische Lösungsansätze. Von der Politik wünsche sie sich eine Ausbesserung des Pflegebereiches, da viel Pflege an Pflegevermittler übergeben werde, die keine Haftung für die Qualität der Pflege übernehmen und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse unterstützen.

Dr. Dorothea Czarnecki, Autorin der KOK-Studie „Unterbringung von Betroffenen des Menschenhandels in Deutschland – geSICHERt?“:

Czarnecki fasste zunächst die Ergebnisse der KOK-Studie zur Unterbringung verschiedener Betroffenengruppen von Menschenhandel zusammen. Laut der Studie sei die Unterbringung in Deutschland sehr lückenhaft und bestehende, nicht bundeseinheitlich geregelte Strukturen seien vor allem auf Frauen ausgerichtet. Häufig seien Frauenhäuser und Schutzeinrichtungen aber nicht speziell auf menschenhandelsbetroffene Frauen eingestellt. Die Unterbringung von betroffenen Kindern sei laut Czarnecki oft katastrophal. Auch bei Männern gebe es kein gutes Versorgungssystem. Wenn dazu noch andere Problematiken wie Suizid oder eine Behinderung kämen, bestünden keine adäquaten Möglichkeiten der Unterbringung. Ein weiteres Problem sei die Finanzierung der Unterbringung.

Anschließend brachte Czarnecki nochmals die Perspektive Minderjähriger ein und stellte fest, dass Kinder Hilfesysteme oft als Bestrafung wahrnehmen. Jugendämter seien diesbezüglich in einer zentralen Verpflichtung. Von der Politik forderte Czarnecki vor dem Hintergrund der Unterbringungsstudie, dass die Unterbringung auch bei Betroffenen der neuen Ausbeutungsformen gesichert und über einen Bundesfond für die Unterbringung nachgedacht werden müsse.

Helga Gayer, BKA Deutschland, Stellvertretende Leiterin Referat SO 13:

Gayer ging zunächst darauf ein, dass ein „Deal“ zwischen Strafverfolgung und Täter*innen zugunsten der Menschenhandelsbetroffenen in Strafverfahren manchmal sinnvoller als eine Verurteilung sein könne, da die Strafverfolgung oft nicht das primäre Interesse der Betroffenen sei. Trotzdem seien Verurteilungen wichtig,  da Täter*innen oft solange weiteragieren würden bis man sie stoppe. Auf Nachfrage von Dr. Timm bezüglich der Multinationalität der Teams beim BKA erläuterte Gayer, dass sie überwiegend mit nicht-deutsch-sprechenden Betroffenen zu tun haben und folglich Dolmetscher*innen beauftragt werden. Des Weiteren erwähnte sie, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) trotz des Zugangs zu Arbeitsstellen möglicher Ausbeutungsbetroffener keine ausdrückliche Zuständigkeit zur Bekämpfung des Menschenhandels habe.

Am Beispiel des Modern-Slavery-Act in Großbritannien würde deutlich, was mit politischem Willen möglich sei und wie die Fallzahlen bei der Polizei ansteigen könnten. Gayer appellierte an die Politik, ausreichend finanzielle Ressourcen und Personal bei allen Akteuren, insbesondere bei NGOs, zur Verfügung zu stellen. Des Weiteren müsse etwas gegen die häufig bestehende Perspektivlosigkeit Betroffener getan werden.

Audiomitschnitt: Podium II

Vortrag von Patricia LeCocq „Menschenhandel zur Ausbeutung der Bettelei – die Situation in Belgien“

Zunächst stellte LeCocq das Federal Migration Center Myria vor, das seit 2015 als unabhängige Berichterstattungsstelle in Belgien funktioniere und unter anderem den Auftrag habe, die Bekämpfung von Menschenhandel zu fördern. Die diesbezüglichen Hauptmaßnahmen seien unter anderem die Evaluierung der Umsetzung von Gesetzen in Form von Berichten und die Einleitung von Strafverfahren. Der Bericht 2016 setze dabei einen Schwerpunkt auf Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung von Bettelei.

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LeCocq gab anschließend einen Überblick zur rechtlichen Situation bezüglich des Menschenhandels zum Zwecke der Ausbeutung von Betteltätigkeiten in Belgien und ging dazu detailliert auf das belgische Strafrecht ein. Der Schutz und die Unterstützung von Betroffenen seien im Immigrationsgesetz festgehalten und fußen wie in Deutschland auf gewissen Voraussetzungen, wie dem Kontaktabbruch mit den Menschenhändler*innen und der Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden. Die Unterstützung der Betroffenen basiere in Belgien zudem auf einem multidisziplinären Ansatz mit geschulten „frontline responders“ aus Polizei, Justiz und Fachberatungsstellen.

2017 gab es laut LeCocq nur sehr wenige Strafverfahren zu Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung von Betteltätigkeiten, was jedoch nicht bedeute, dass nicht mehr Fälle existieren. In Belgien konnten hauptsächlich zwei Typen dieses Phänomens vermerkt werden. Zum einen traten Fälle von Menschenhandel zur Bettelei von erwachsenen männlichen Roma mit Behinderungen auf. In diesen Fällen waren die Täter*innen kleine Roma-Familiengruppen aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien. Beim zweiten Cluster handelte es sich um Fälle, bei denen Kinder von einer Vielzahl von verschiedenen Ausbeutungsformen betroffen waren. Bettelei sei hierbei die einzige sichtbare Form der Ausbeutung. Auch in diesen Fällen seien die Täter*innen oft Roma-Familien. Anschließend stellte LeCocq drei Beispielfälle detailliert vor und ging unter anderem auf die verschiedenen Ermittlungsmethoden ein. Sie betonte diesbezüglich die Wichtigkeit internationaler Zusammenarbeit.

LeCocq wies weiterhin auf mögliche positive Strategien zur Bekämpfung der Ausbeutung von Bettelei hin. Ihrer Ansicht nach sei Aufklärung und „awareness raising“ von hoher Bedeutung. Da viele Täter*innen in diesem Bereich Roma aus Osteuropa seien, müsse, um Stigmatisierung vorzubeugen, jedoch stets deutlich gemacht werden, dass nicht alle Roma in Verbindung zu kriminellen Netzwerken stehen. Viele Betroffene haben laut LeCocq häufig Angst vor der Polizei und seien folglich zurückhaltend hinsichtlich der Bereitschaft auszusagen. Daher sollten Betroffene als solche wahrgenommen und an spezialisierte Stellen weitergeleitet werden, die deren Vertrauen gewinnen können. In Bezug auf polizeiliche Ermittlungen müsse sichergestellt sein, dass Bettelei korrekt definiert wird, um dem Verlust von Informationen vorzubeugen. Spezielle Ermittlungstechniken sowie die Untersuchung von Geldströmen können laut LeCocq von großem Nutzen sein. Des Weiteren müsse sichergestellt werden, dass auch Gerichte über das Phänomen und diesbezüglich bestehende kulturelle Kontexte aufgeklärt und sensibilisiert seien.

Der Vortrag von Patricia Le Cocq ist hier einsehbar.

Audiomitschnitt

Podium III „Ansätze der Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels – Politiker*innen diskutieren“

Auf Podium III „Ansätze der Politik zur Bekämpfung des Menschenhandels – Politiker*innen diskutieren“ kamen Politiker*innen der Parteien Die Linke, Die Grünen/EFA und der FDP zusammen, um die während der Konferenz erarbeiteten Forderungen an die Politik zu diskutieren. Im Folgenden werden die Hauptaussagen der Podiumsgäste zusammengefasst wiedergegeben.

Doris Achelwilm, MdB, Die Linke:

Achelwilm stellte zunächst fest, dass die „Kultur der Straflosigkeit“ zu bekämpfen und Behörden oft nicht gut genug ausgestattet seien, in diesem Bereich müsse viel getan werden. Sie wies außerdem auf die geschlechtsspezifische Perspektive des Menschenhandels hin und stellte fest, dass Betroffene zu großen Teilen Frauen und Mädchen seien. Des Weiteren müsse auch ein Blick auf die Wirtschaft geworfen werden. Unternehmen seien oft besser geschützt als Menschenrechte, daher müsse die Entwicklung hin zu einem nachhaltigen und an Menschenrechten orientierten Wirtschaften gehen. Auch bei den Grauzonen zwischen legaler und illegaler Ausbeutung, „dem organisierten Sozialbetrug von Oben“, müsse nachgestellt werden. Weiterhin dürfe sich der gesellschaftliche Diskurs nicht gegen die Opfer richten. Abschiebungen werden aus Sicht Achelwilms zu schnell vollzogen, was unter anderem die Strafverfolgung erschwere. Sie plädierte für ein Bleiberecht für Betroffene aus Drittstaaten.  Außerdem sehe sie die Bekämpfung von Fluchtgründen als ein wichtiges Mittel um Menschenhandel zu entgegenzuwirken. Schließlich forderte Achelwilm ein Zeugnisverweigerungsrecht für Sozialarbeiter*innen und betonte die Wichtigkeit einer besseren Ausgabenpolitik.

Dr. Christoph Hoffmann, MdB, FDP:

Hoffmann betonte zunächst, dass genau evaluiert werden müsse, an welchen Stellen zwei Jahre nach der Umsetzung der EU-Richtlinie, vor allem im Bereich der neuen Ausbeutungsformen, Ressourcen und Kooperationen fehlen. Er nannte beispielhaft die Situation von Frauenhäusern in Deutschland. Die Politik müsse das Ehrenamt, soziale Dienste und Behörden stärken. Auf die Anmerkung aus dem Publikum, dass ein Bundestopf die Situation erleichtern könne, stimmte Hoffmann zu und stellte fest, dass Gelder besser koordiniert und aus einem Topf fließen müssten.

Aus Sicht Hoffmanns sei die Situation in Deutschland der letzte Ausläufer des internationalen Menschenhandels, weswegen er forderte, dass die EU-Außenpolitik aufgewertet werden müsse, um gegen „bad governance“ vorzugehen. Um Menschenhandel entgegenzutreten, müssen laut Hoffmann Perspektiven und ein gewisser Wohlstand auf globaler Ebene geschaffen werden, was nur durch effektivere Entwicklungszusammenarbeit und gute Regierungsführung erreicht werden könne.

In Bezug auf die Situation in Deutschland hält er die Koordination zwischen den Bundesländern für herausfordernd und forderte Verbesserungen. Des Weiteren müsse mehr Aufklärungsarbeit betrieben werden, um „frontline responders“ sowie die breitere Öffentlichkeit, insbesondere bezüglich der neuen Ausbeutungsformen, aufzuklären.

Barbara Lochbihler, MEP, außen- und menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen/EFA-Fraktion:

Lochbihler berichtete hauptsächlich von Entwicklungen auf EU-Ebene und äußerte sich unter anderem dazu, welche Möglichkeiten die EU in ihren Außenbeziehungen zur Bekämpfung des Menschenhandels habe. So unterstütze die EU z.B. die Sub-Mekong-Region finanziell in ihren Bemühungen Frauen- und Mädchenhandel entgegenzutreten. Des Weiteren habe Thailand aufgrund ökonomischen Drucks von Seiten der EU Gesetze erlassen, die die Situation von kambodschanischen Arbeiter*innen in der Fischwirtschaft verbessere. Jedoch treten auch auf EU-Ebene Schwierigkeiten auf. So sehe sich beispielsweise die Arbeitsgruppe zum „UN Legal Binding Treaty on Business and Human Rights“, die die Sicherstellung von Recht und Kompensation für Betroffene anstrebt, mit Widerstand, unter anderem auch durch das deutsche Wirtschaftsministerium, konfrontiert. Aus diesem Grunde dürfe die Lobbyarbeit in diesem Bereich nicht nachlassen.

Auch auf UN-Ebene berichtete Lochbihler von Fortschritten, indem sie die UN-Sanktionen gegen sechs Mitglieder der libyschen Küstenwache wegen Menschenhandels und -schmuggels erwähnte. Die Argumentation, dass die „Abschottungs- und Antiflüchtlingspolitik“ der EU den Schutz Menschenhandelsbetroffener zum Gegenstand habe, halte Lochbihler für vorgeschoben. Sie plädierte für mehr finanzielle Ressourcen für NGOs, eine gezieltere Durchsetzung von Opferschutzrechten sowie die Schwerpunktsetzung auf die Erträge des Menschenhandels in dessen Bekämpfung. Des Weiteren müsse man sich auf nationale Regelungen zur Bekämpfung des Menschenhandels konzentrieren.

Audiomitschnitt: Podium III

Abschlussvortrag von Petya Nestorova „Entwicklungen in Deutschland aus Sicht des Europarats“

Nestorova ging in ihrem Vortrag primär auf die Europaratskonvention zu Menschenhandel ein, die einige Jahre vor der EU-Richtlinie entstand und 2005 in Kraft trat. Die Konvention, die einen multidisziplinären Ansatz zur Bekämpfung von Menschenhandel und die vier Säulen, Prävention, Schutz, Strafverfolgung und Partnerschaft enthält, ist heute in 47 Ländern anwendbar. In Deutschland trat die Konvention im April 2013 in Kraft, woraufhin die Expert*innenkommission GRETA Deutschland 2014 zum ersten Mal evaluierte. Mittlerweile habe die zweite Evaluierungsrunde Deutschlands begonnen. Der zugehörige Bericht werde voraussichtlich Ende Mai 2019 veröffentlicht. Nestorova ging anschließend auf verschiedene Empfehlungen aus dem ersten GRETA-Bericht und deren Umsetzung in Deutschland ein. Eine erste Empfehlung GRETAs sei die Anpassung des deutschen Strafrechts an die internationale Definition gewesen, was mit der Strafrechtsreform 2016 schließlich umgesetzt wurde. Des Weiteren besage die Europaratskonvention in Artikel 10, dass die Identifikation Betroffener in Zusammenarbeit verschiedener Akteure, wie Behörden und NGOs, stattfinden soll.

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Viele Länder haben dazu laut Nestorova nationale Verweisungsverfahren implementiert, wie Großbritannien und die Niederlande. Deutschland dagegen hatte zum Zeitpunkt der ersten Evaluierungsrunde keinen solchen Mechanismus umgesetzt, was aufgrund der Wichtigkeit der Betroffenenidentifizierung jedoch entscheidend sei. Besonders solle Deutschland laut dem ersten GRETA-Bericht auch auf die Identifizierung von Betroffenen der Arbeitsausbeutung und unter Asylbewerber*innen achten. Bezogen auf Artikel 12 der Konvention, welcher besagt, dass Betroffenen Unterstützung zusteht, sieht GRETA laut Nestorova vor allem bei der Finanzierung von Unterstützungsmaßnahmen und Unterkünften für männliche Betroffene Probleme. Auch hinsichtlich der Situation betroffener Kinder, die der Fokus der zweiten Evaluierungsrunde ist, wurde Deutschland empfohlen spezifische Maßnahmen zu deren Identifizierung einzuführen. Die Einführung des Bundeskooperationskonzeptes Schutz und Hilfen bei Handel mit und Ausbeutung von Kindern sei dahingehend ein wichtiger Schritt. Nestorova ging weiterhin auf GRETA Empfehlungen und diesbezügliche Entwicklungen in Deutschland zur Bedenk- und Stabilisierungsfrist, dem Aufenthaltsstatus, zu Entschädigung und unbezahltem Lohn, der Non-Punishment-Clause sowie zu Prävention ein. Insgesamt kritisiere der erste GRETA-Bericht das Fehlen von Maßnahmen, um Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung vorzubeugen und zu bekämpfen. Obwohl seit der Veröffentlichung des Berichtes viel geschehen sei, fehle in Deutschland immer noch eine Behörde, die ein umfassendes Mandat für Arbeitsinspektionen habe, so habe die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zum Beispiel kein Mandat zur Ermittlung von Menschenhandelsbetroffenen und der Weiterleitung dieser an Unterstützungseinrichtungen. Des Weiteren empfahl GRETA Deutschland einen nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Menschenhandel einzuführen, der bis heute nicht bestehe. Nestorova betonte anschließend die wichtige Rolle von Anti-Menschenhandelskoordinator*innen und der nationalen Berichterstattungssstelle, die jedoch voneinander getrennt agieren müssten. Abschließend hielt Nestorova fest, dass Deutschland Fortschritte gemacht habe und diese im zweiten GRETA-Bericht ausführlich thematisiert werden.

Der Vortrag von Petya Nestorova ist hier einsehbar.

Audiomitschnitt

Abschluss

Die zwei informationsreichen Konferenztage mit circa 150 Teilnehmer*innen unter anderem aus Justiz, Polizei, Zivilgesellschaft und Wissenschaft boten nicht nur die Möglichkeit und den Raum für Erfahrungsaustausch, sondern ermöglichten den Anwesenden zwei Jahre nach Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU einen Einblick in verschiedene Arbeitsbereiche und Institutionen, die in der Bekämpfung von Menschenhandel und Unterstützung der Betroffenen in Deutschland tätig sind. So wurden beispielsweise verschiedene Umsetzungsmaßnahmen der EU-Richtlinie von Seiten der Polizei vorgestellt, insbesondere auch bezüglich der neuen Straftatbestände. Es stellte sich jedoch auch heraus, dass unter anderem in Bezug auf allgemeine Unterbringungsmöglichkeiten, Unterstützungsmaßnahmen für männliche und minderjährige Betroffene sowie die Finanzierung von Unterstützungsmaßnahmen noch große Missstände bestehen.

Durch die Teilnahme internationaler Expert*innen aus Belgien, Großbritannien und Österreich wurde die Fachkonferenz um eine internationale Perspektive und Good-Practice Beispiele hinsichtlich Unterstützungsmöglichkeiten für Männer und Minderjährige, der Non-Punishment-Clause sowie des neuen Straftatbestandes der Ausbeutung zum Zwecke von erzwungenen Betteltätigkeiten bereichert.

In ihren Abschlussworten betonte Andrea Hitzke, Vorstandsmitglied des KOK e.V., dass Deutschland aus diesen Positivbeispielen lernen könne. Der KOK e.V. werde die Situation weiterhin evaluieren und Berichte aus der Praxis an die Politik herantragen.
Wie aus den Redebeiträgen der beiden Vertreterinnen der Europäischen Union, Myria Vassiliadou, der EU-Koordinatorin gegen Menschenhandel, und Petya Nestorova, der Generalsekretärin der Europarats-Konvention gegen Menschenhandel, hervorging, werde auch die EU die Entwicklungen in Deutschland weiterhin begleiten.

Sophia Wirsching, Geschäftsführerin des KOK e.V., betonte zum Abschluss der Konferenz, dass Menschenhandelsbetroffene Träger*innen von Rechten seien und dass diese auf verschiedenen Ebenen immer wieder eingefordert werden müssen, was unter anderem Aufgabe der vielfältigen bei der Fachtagung anwesenden Akteur*innen sei.