Handlungshinweise - Empfehlungen des KOK

Empfehlungen des KOK für den Umgang mit Opferzeug*innen in Ermittlungs- und Strafverfahren

Die Aussage als Zeug*in im Ermittlungs- und Strafverfahren ist für die Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung eine große Belastung, die auch retraumatisierend wirken kann. Im Folgenden sollen daher einige Aspekte erwähnt werden, deren Berücksichtigung aus Sicht des KOK im Umgang mit den Betroffenen notwendig ist. Wesentliche Voraussetzung für eine Stabilisierung von Zeug*innen in Ermittlungs- und Strafverfahren ist ein sensibler Umgang mit ihnen durch Polizei, Justiz und sämtliche weitere Beteiligte.

Kontakt zu einer spezialisierten Fachberatungsstelle

  • Informieren Sie bitte in jedem Fall die betroffene Person über die Möglichkeit, sich von einer Fachberatungsstelle unterstützen zu lassen. Nehmen Sie dazu bitte im Vorwege Kontakt zu der Fachberatungsstelle in Ihrer Nähe auf - diese kann Ihnen wichtige Materialien (wie muttersprachliche Faltblätter) zuleiten und Sie über das Beratungsangebot informieren. Auf diese Weise können auch Absprachen für die Organisation des ersten Beratungskontakts getroffen werden für den Fall, dass die betroffene Person Beratung wünscht. (Beratungen durch Fachberatungsstellen sind grundsätzlich auf Freiwilligkeit ausgerichtet!)

Vernehmungen

  • Vernehmungstermine sollten der zuständigen Fachberatungsstelle rechtzeitig bekanntgegeben werden, damit diese den Termin mit der/dem Betroffenen koordinieren und sie/ihn psychosozial darauf vorbereiten sowie ggf. Begleitung einplanen kann
  • Die Vernehmungen sollten zeitlich überschaubar bleiben und die psychische oder gesundheitliche Situation der/des Betroffenen beachten, Pausen einplanen

Verfahrensverlauf

  • regelmäßiger Kontakt zur Fachberatungsstelle
  • Mitteilung darüber, ob die Eröffnung eines Strafverfahrens in Betracht kommt
  • Verfahrensstand im Verlauf erneut bekanntgeben (z.B. bei angestrebter richterlicher Vernehmung, bei Einstellung etc.)

Berücksichtigung der Gefährdung der Zeugin

  • Einrichtung von Auskunftssperren
  • Einrichtung der Ladungsadresse z.B. über die Fachberatungsstelle bzw. Rechtsanwältin
  • der Unterbringungsort muss im Notfall in Absprache mit der zuständigen Fachberatungsstelle schnell gewechselt werden können 
  • Einschätzung gegenüber der Fachberatungsstelle in Bezug auf die Täter*innen: sind sie in Haft?, halten sie sich in Deutschland auf?
  • Nachfrage, ob die Gefährdungssituation durch die zuständige Polizeidienststelle ggf. schriftlich eingeschätzt werden muss

Ladung der Zeug*innen

Zeug*innen sollten so geladen werden, dass Belastungen durch Wartezeiten vermieden werden. In der Praxis werden häufig mehrere Zeug*innen zeitgleich geladen, was zur Folge hat, dass während der Wartezeit die Aufregung der Zeug*innen enorm steigt und die Aussagefähigkeit unnötig beeinträchtigt wird.

Zeugenzimmer

  • Vor der Zeug*innenaussage sollte das Vorhandensein eines Zeugenzimmers geklärt werden, in dem sich der/die Zeug*in mit ihrer Begleitperson bis zur Aussage aufhalten kann
  • Eine Konfrontation mit den Angeklagten oder deren Angehörigen auf den Gerichtsfluren sollte vermieden werden
  • Wünschenswert wäre, wenn schon in der Ladung auf einen entsprechenden Raum hingewiesen würde

Begleitung durch eine Vertrauensperson

  • Die Anwesenheit einer Vertrauensperson während der Aussage hat sich in der Vergangenheit für die Stabilisierung des/der Zeug*in als sehr positiv erwiesen
  • Während der Vernehmung der Zeugin sollte diese am Zeugentisch neben ihr  sitzen können
  • Die Anwesenheit der Vertrauensperson sollte auch bei Ausschluss der Öffentlichkeit gestattet werden (§ 175 Abs. 2 GVG)

Fahrten zum Gericht

  • Die Zeug*innen sind aus Gefährdungsgründen oft vom Gerichtsort entfernt untergebracht. Ihr sicherer Transport zu den Verhandlungen muss gewährleistet sein.

Ausschluss des Angeklagten während der Vernehmung und Ausschluss der Öffentlichkeit zum Schutz der Privatsphäre

  • Häufig haben die Zeug*innen große Angst vor einer Aussage in Anwesenheit der Öffentlichkeit und des/der Angeklagten. Ob entsprechende Ausschlussanträge gestellt werden, sollte im Vorfeld über den/die Nebenklagevertreter*in in Erfahrung gebracht werden.
  • Diesbezügliche Beschlüsse sollten zur Vermeidung unnötiger Beunruhigung in Abwesenheit des/der Zeug*in getroffen werden.
  • Sollte dem Antrag auf Ausschluss des/der Angeklagten nicht entsprochen werden, so ist durch das Gericht zu prüfen, ob nicht ein Sichtschutz gestellt werden könnte. Dies ist eine Maßnahme, die ebenfalls entlastend auf den/die Zeug*in wirkt. 
  • Ferner könnte eine Videovernehmung beantragt werden, der/die Zeug*in wird dann in einem Nebenraum vernommen und per Video in den Verhandlungssaal übertragen. Jedoch setzt diese Verfahrensweise voraus, dass eine „dringende Gefahr von Nachteilen“ besteht und diese nicht auf andere Weise wie vorgenannt abgewendet werden kann.

Dolmetscher*innen

  • Da die Zeug*innen ggf. über wenig bis gar keine Deutschkenntnisse verfügen, ist der Einsatz von Dolmetscher*innen notwendig. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass es hier zu einer Vielzahl von Problemen kommen kann. Während der Vernehmung ist der/die Dolmetscher*in die erste Ansprechpartnerin für den/die Zeug*in.
  • Aufgrund der in der Regel sehr intimen Problematik ist es ratsam, für weibliche Betroffene eine Frau zu wählen.  
  • Das Dolmetschen erfordert die notwendige Zeit der Übersetzung. Nicht immer ist eine Simultanübersetzung möglich. Deshalb sollte darauf geachtet werden, dass dem/der Dolmetscher*in die benötigte Zeit eingeräumt wird, um zu übersetzen. 
  • In der Praxis zeigt sich, dass Verlesungen oder Fragestellungen durch Richter, Staatsanwaltschaft oder Rechtsanwält*innen oftmals zu schnell vorgenommen werden, so dass der/die Dolmetscher*in ihrem Übersetzungsauftrag nur schwer nachkommen kann. Dies verunsichert die betroffene Person und kann dazu führen, dass Unstimmigkeiten / Missverständnisse entstehen.