Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.5.2017
Aktenzeichen 2 StR 374/14

Stichpunkte

Interessante Entscheidung des Bundesgerichtshofs über Revision gegen Adhäsionsentscheidung; Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten stellt keinen Rechtsfehler dar; umfassende Ausführungen zur Funktion des Schmerzensgeldes und zur Vorgehensweise des Gerichts bei der Ermittlung einer angemessenen Entschädigungshöhe; wirtschaftliche Verhältnisse nur in Ausnahmefällen zu berücksichtigen und nur dann Feststellungen dazu im Urteil notwendig

Zusammenfassung

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) weist die Revision eines Angeklagten gegen eine Adhäsionsentscheidung zurück. Der Mann war vom Landgericht wegen Vergewaltigung und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe und im Adhäsionsverfahren zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 5000 Euro verurteilt worden. Der Senat hatte seine Entscheidung im Hinblick auf ein Vorlageverfahren bei den Vereinigten Großen Senaten (VGS) des BGH zur umstrittenen Frage der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Schmerzensgeldbemessung zunächst zurück gestellt. Mit Beschluss vom 16.09.2016 stellten die VGS fest, dass bei der Bemessung der Entschädigung alle Umstände des Einzelfalles einzubeziehen sind. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten seien bei der Bemessung nicht von vorneherein auszuschließen, aber auch nur bei besonderen Umständen zu berücksichtigen.

Der Senat macht in diesem Zusammenhang Ausführungen zur Doppelfunktion des Schmerzensgeldes. Neben der Ausgleichsfunktion, für erlittene Lebensbeeinträchtigungen komme ihm auch eine Genugtuungsfunktion zu. Grundsätzlich stehe der Ausgleichsgedanke im Vordergrund, so dass für die Bemessung vor allem auf Schwere und Dauer der Beeinträchtigung wie z.B. Schmerzen, Leiden und Entstellung abzustellen sei. Besonders bei vorsätzlichen Taten käme aber auch der Genugtuungsgedanke zum Tragen, um der durch die Schädigung entstandenen besonderen Beziehung zwischen den Beteiligten gerecht zu werden. Daher seien grundsätzlich alle Umstände zu berücksichtigen, die dem Einzelfall sein besonderes Gepräge geben. So könne auch ein besonderes „wirtschaftliches Gefälle“ zwischen den Beteiligten eine Rolle spielen.

Bei der Bemessung einer angemessenen Entschädigung habe der Tatrichter daher zunächst alle Einzelheiten der Tat zu sichten, besonders prägende Faktoren auszuwählen und zu gewichten und sofern erforderlich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zueinander ins Verhältnis zu setzen. Um eine Überprüfbarkeit durch die Revisionsinstanz zu gewährleisten, solle der Tatrichter die seiner Bemessung zugrunde liegenden Elemente, insbesondere das Ausmaß der Lebensbeeinträchtigung, benennen. Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnisse seien nur zu treffen, sofern sie der Tat ein besonderes Gepräge geben und bei der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt wurden. Ist dies nicht der Fall, muss der Tatrichter dies auch nicht erwähnen.

Berücksichtigt der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse, ohne dass diese der Tat ein besonderes Gepräge geben, liege ein Rechtsfehler vor und es sei zu prüfen, ob dies zum Nachteil des oder der Angeklagten sei, was bei der Berücksichtigung von schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen des Tatopfers nahe liege.

Entscheidung im Volltext:

Bgh_11_05_2017 (PDF, 104 KB, nicht barrierefrei)

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