BGH, Beschluss vom 7.3.2019
Aktenzeichen 3 StR 192/18

Stichpunkte

Bemerkenswerte höchstrichterliche Entscheidung im Revisionsverfahren gegen eine im Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz angeordnete Vermögenseinziehung; Senat hält rückwirkende Anwendung der seit Mitte 2017 geltenden Neuregelungen zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung für Straftaten, die vor Inkrafttreten der Reform verjährt waren, für verfassungswidrig; umfassende Ausführungen zu Gesetzen mit echter und solchen mit unechter Rückwirkung; Aussetzung des Verfahrens zur Vorlage an das Bundesverfassungsgericht

Zusammenfassung

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) erklärt die rückwirkende Regelung des Art. 316h S.1 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch (EGStGB)für verfassungswidrig und setzt das Revisionsverfahren aus, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hierzu einzuholen.

Das Landgericht Oldenburg hat mit Urteil vom 17.10.2017zwei Angeklagte vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) freigesprochen. Sie hatten als Geschäftsführer eines fleischverarbeitenden Betriebes bzw. einer Personalvermittlungsfirma über gut zwei Jahre über 900 Bulgaren illegal beschäftigt, indem sie in der Übergangszeit nach dem EU-Beitritt Bulgariens, in der eine abhängige Beschäftigung noch genehmigungspflichtig war, die Arbeiter*innen formal im Rahmen von Werkverträgen einsetzten. Tatsächlich arbeiteten diese aber weisungsgebunden wie die im Unternehmen eingesetzten Leiharbeiter*innen. Da die Taten jedoch nach § 78c Abs. 3 Satz 2 Strafgesetzbuch (StGB) verjährt waren, wurden sie freigesprochen. Eine Verjährung wäre noch nicht eingetreten und eine Verurteilung noch möglich gewesen, wenn die Angeklagten aus grobem Eigennutz gehandelt und damit die schwerere Form des Qualifikationstatbestandes des § 11 Absatz 2 SchwarzArbG verwirklicht hätten. Ein grober Eigennutz setze besonders anstößiges und skrupelloses Streben nach eigenem Vorteil voraus. Ein solches sei den Angeklagten nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht nachzuweisen. (Hiergegen erhob die Staatsanwaltschaft Revision, hierzu auch Urteil des BGH vom 07.03.2019)

Das LG ordnete aber gegen die beiden von den Angeklagten geleiteten Unternehmen die Einziehung des Wertes der Taterträge von mehr als 10 Mio. Euro an.

Dabei stellte das LG fest, dass die Einziehung nach den neuen Regelungen für Vermögensabschöpfung nach Art. 316h S. 1 EGStGB nicht verjährt sei. Dies gelte auch für vor dem Inkrafttreten der Reform am 01.07.2017 begangenen Taten.

Der BGH stellt auf die Revision der beiden betroffenen Unternehmen fest, dass er an der Neuregelung keine grundsätzlichen Zweifel habe. Jedoch sehe er in der Regelung, dass Vermögen aus Straftaten eingezogen werden können, die bei Inkrafttreten der Reform bereits verjährt waren, einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs.3 des Grundgesetzes und den in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Der Senat macht umfassende Ausführungen zu Gesetzen mit echter und solchen mit unechter Rückwirkung. Erstere seien grundsätzlich grundrechtswidrig und nur in Ausnahmefällen zulässig. Der Art. 316h S. 1 EGStGB stelle ein solches Gesetz mit echter Rückwirkung dar und der Senat führt umfassend aus, warum die nachträgliche Bewirkung der Zulässigkeit der Abschöpfung von Vermögen, das aus Taten erlangt wurde, die schon vor dem Inkrafttreten der Neuregelung verjährt waren, nach seiner Auffassung auch nicht ausnahmsweise zulässig sei.

Daher setzt er das Verfahren aus, um das Bundesverfassungsgericht über die Frage der Vereinbarkeit der Neuregelung mit den Grundrechten entscheiden zu lassen.

 

Entscheidung im Volltext:

bgh_beschluss_07_03_2019 (PDF, 260 KB, nicht barrierefrei)

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