LG Stuttgart, Urteil vom 27.2.2019
Aktenzeichen 7 KLs 200 Js 115430/13

Stichpunkte

Vielbeachtetes Urteil in bundesweit erstem großen Strafverfahren gegen Bordellbetreiber wegen Beihilfe zu schwerem Menschenhandel und Zuhälterei und Betrugs; Verurteilung der Bordellbetreiber aufgrund Kenntnis von Vorgehensweisen der Zuhälter wegen Beihilfe zu mehrjährigen Haftstrafen; umfassende Darstellung des Geschäftsmodells der Großbordelle

Zusammenfassung

Das Landgericht Stuttgart (LG) verurteilt nach über 50 Verhandlungstagen und einer Verfahrensabsprache einen Bordellbetreiber (A) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und seinen Marketing- und Pressechef (B) zu drei Jahren und drei Monaten Haftstrafe wegen der Beihilfe zu schwerem Menschenhandel und Zuhälterei sowie Betrugs. Ihr `Finanzberater´ (C) wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Für den A ordnet das Gericht außerdem die Einziehung von 1,3 Mio € an.

 

Tatkomplex Rotlicht (S. 29ff)

Der Angeklagte A hatte seit 2002 mehrere große Bordellbetriebe in Deutschland und Österreich aufgebaut und betrieben. Das LG schildert umfassend das Geschäftsmodell, das die Gründung verschiedener Gesellschaften vorsah (S. 25ff). So mietete eine Besitzgesellschaft Räumlichkeiten für ein Bordell nebst Wellnesseinrichtungen und Übernachtungsmöglichkeiten für die Frauen an. Die Räumlichkeiten wurden dann an eine Betriebsgesellschaft vermietet, die das eigentliche Prostitutionsgeschäft betrieb. Die Betriebsgesellschaft stellte den Prostituierten und Freiern gegen eine Tagespauschale von zwischen 59-79 € neben Wellness- und Gastronomieangeboten auch Räume zur Vornahme sexueller Handlungen zur Verfügung. Prostituierte von außerhalb konnten Mehrbettzimmer für 25 € als Ruheraum nutzen.

Der A legte dabei großen Wert darauf, es nach außen so darzustellen, dass in den Häusern ein sicheres Betätigungsfeld für die Prostituierten bestehe, die Einhaltung der Gesetze beachtet würden und den Behörden gegenüber äußerste Transparenz bestehe. Die Frauen hätten neben Zugang zu ärztlicher Behandlung und anderen Leistungen auch die Möglichkeit, sich nach dem `Düsseldorfer Modell´ zu versteuern. Die Betriebe sollten sich dadurch von den herkömmlichen Bordellbetrieben abheben. Der A agierte dabei als Chef und Hauptentscheider. Mangels Finanzierungsmöglichkeiten durch Banken warb er Gelder von privaten Investoren in Höhe von mehreren Mio. an (s.u. Tatkomplex Betrug).

Der Angeklagte B war an den Planungen der Betriebe beteiligt und trat als Pressesprecher und Marketingchef auf.

Der Angeklagte C war als eine Art Finanzberater für den A, insbesondere auch im Kontakt zu den Investoren, tätig.

Die Grundvoraussetzung für den Erfolg der Betriebe war eine stets ausreichende Anzahl immer wechselnder, attraktiver und junger Frauen. Ein Wirtschaftsgutachter hatte errechnet, dass zur Erwirtschaftung der Forderungen der Investoren, die Anwesenheit von 60 Frauen notwendig seien. Die Zahl der Frauen sank jedoch schnell und war nicht mehr ausreichend. Daher beschlossen A und B, sich der Hilfe der Rockervereinigung `Hells Angels´ und der Türstehervereinigung `United Tribuns´ zu bedienen, die bereits als Zuhälter tätig waren und deren Prostituierte schon in den Betrieben arbeiteten.

Die Zuhälter gingen überwiegend nach der Loverboy-Methode vor, machten die Frauen in sich verliebt und ließen sie dann für sich anschaffen. Die Frauen mussten sich die Namen ihrer jeweiligen Zuhälter auf den Körper tätowieren lassen. Um sie gefügig zu machen, wurden sie in vielen Fällen von ihren Zuhältern bedroht, geschlagen und erniedrigt. Sie kamen sowohl aus Deutschland und der Schweiz, als auch aus Bulgarien und Rumänien und stammten stets aus schwierigen Familienverhältnissen. Teilweise mussten sie bis zu 10 000 Euro pro Woche bei ihren Zuhältern abliefern. Da diese in den Betrieben teilweise auch als Türsteher tätig waren, konnten sie die Frauen permanent überwachen.

Das Gericht legt dar, dass die Angeklagten A und B um diese Vorgehensweisen gewusst, sie vielleicht nicht gewollt, aber zur Ermöglichung ihres eigenen Gewinnes jedenfalls billigend in Kauf genommen hätten (S. 38). Die Angeklagten haben dies darüber hinaus auch im Rahmen der Verfahrensabsprache eingeräumt (S.98f).

Das Gericht führt die Fälle von 17 Frauen aus, die von März 2008 bis Dezember 2014 der Prostitution ohne wesentlichen eigenen Verdienst nachgehen mussten (S. 46ff). Auch aus diesen Schilderungen geht hervor, dass die Angeklagten über die Vorgehensweisen der Zuhälter informiert waren.

 

Tatkomplex Betrug (S. 74ff)

Da die Finanzierung der Großbordelle nicht von Banken übernommen wurde, ist A an Privatinvestoren herangetreten, bei denen er unter Inaussichtstellung hoher Renditen Darlehen aufnahm, die er jedoch überwiegend nicht zurückzahlte sondern absprachewidrig zur Finanzierung seines aufwändigen Lebensstils verbrauchte.

Dabei entstand den Gläubigern ein Schaden von 2,4 Millionen Euro.

Das Gericht ordnet die Einziehung von rund 1,3 Mio € beim Angeklagten A an.

Inhaltsübersicht:

  1. Persönliche Verhältnisse und Vorstrafen der Angeklagten (S.7ff)

  2. A. Überblick (S. 24ff)

    B. Tatkomplex Rotlicht (S. 29ff)

    C. Tatkomplex Betrug (S. 74ff)

  3. Beweiswürdigung (S. 98ff)

  4. Rechtliche Würdigung (S.111ff)

  5. Strafzumessung (S. 117ff)

  6. Einziehung (S. 137)

     

Entscheidung im Volltext:

lg_stuttgart_27_02_2019 (PDF, 7,6 MB, nicht barrierefrei)