BGH, Beschluss vom 8.10.2014
Aktenzeichen 2 StR 137/14, 337/14

Stichpunkte

Bemerkenswerter Vorlagebeschluss des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs; Senat kündigt an, frühere Rechtsprechung aufzugeben, nach der bei der Bemessung von Entschädigungssummen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Tatbeteiligten berücksichtigt werden müssen; umfangreiche Darstellung der bisherigen Rechtsprechung der Zivil- und Strafsenate zu dem Thema; ausführliche Erörterung der Bedeutung von Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion der Entschädigung

Zusammenfassung

Der 2. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) erklärt zu beabsichtigen, die bisherige Rechtsprechung aufzugeben, nach der bei der Bemessung von Entschädigungssummen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Tatbeteiligten zu berücksichtigen sind. Er fragt daher mit vorliegendem Beschluss beim Großen Senat für Zivilsachen und den anderen Strafsenaten des BGH an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird. Dem Beschluss liegen zwei Revisionsverfahren zugrunde, in denen es um Adhäsionsansprüche wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern geht. In einem der Verfahren waren die wirtschaftlichen Verhältnisse der Tatbeteiligten bei der Bemessung der Entschädigung berücksichtigt worden, in dem anderen nicht. Der 2. Senat ist der Auffassung, dass die finanzielle Situation der Beteiligten auf die Entschädigungshöhe keinerlei Einfluss haben darf. Er legt zunächst ausführlichst die bisherige Rechtsprechung sowohl der Straf- aber auch der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs zu dem Thema dar. Danach dürfen nach einer Grundsatzentscheidung des Großen Zivilsenats von 1955 bei der Festsetzung einer `billigen Entschädigung in Geld´ grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles einschließlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten berücksichtigt werden. In der Folge hatten die Zivilsenate des Bundesgerichtshofs diese regelmäßig im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung erörtert.  Auch die Strafsenate des Bundesgerichtshofs folgten dem und hielten die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten für zentrale Umstände bei der Bemessung des Schmerzensgeldes. Dies hatte zur Folge, dass eine fehlende Erörterung in den Urteilsgründen als Rechtsfehler gesehen wurde, der zur Aufhebung des Urteils führen konnte (so z.B. BGH 5.3.2014, 2 StR 503/13). Der 2. Senat führt aus, dass es bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auf die Vermögenslage des oder der Geschädigten nicht ankommen darf. Verfassungsrechtlich sei eine unterschiedliche Bewertung seelischer oder körperlicher Leiden je nach den  Vermögensverhältnissen des oder der Betroffenen nicht vertretbar. Aus diesem Grunde dürfte aber auch die finanzielle Situation des Schädigers oder der Schädigerin hier nicht zu unterschiedlichen Bewertungen führen. Der Schmerzensgeldanspruch sei vom Gesetzgeber zudem gerade nicht als Strafe, sondern als Schadensersatzanspruch ausgestaltet worden. Gemäß dem allgemeinen Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung bei der Bemessung der Entschädigung müsse die wirtschaftliche Lage des Schädigers unberücksichtigt bleiben. Vor diesem Hintergrund hält der Senat eine Anfrage beim Großen Senat für Zivilsachen und den anderen Strafsenaten des BGH für erforderlich. (s. Antwortsbeschluss des BGH vom 05.03.2015, 3 Ars 29/14

Entscheidung im Volltext:

Bgh_08_10_2014 (PDF, 63 KB, nicht barrierefrei)

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