BAG, Urteil vom 22.8.2012
Aktenzeichen 5 AZR 949/11

Stichpunkte

Vorangegangenes Urteil: LAG Berlin-Brandenburg vom 09.11.2011, Aktenzeichen 17 Sa 1468/11. Entscheidungen im Arbeitsgerichtsverfahren wegen Lohnforderungen und Schmerzensgeld einer Hausangestellten gegen einen Diplomaten; Landesarbeitsgericht weist Klage unter Verweis auf die diplomatische Immunität als unzulässig ab, diese gelte auch bei schweren Rechtsverletzungen, da Beeinträchtigungen der Immunität die diplomatischen Beziehungen Deutschlands gefährdeten; dadurch fehlende Klagemöglichkeit stelle keinen Eingriff in grundgesetzlich geschütztes Eigentum beziehungsweise das Rechtsstaatsprinzip dar; nach zwischenzeitlicher Ausreise des Diplomaten Aufhebung der Urteile durch Bundesarbeitsgericht wegen Wegfalls der Immunität.

Zusammenfassung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin und erklärte die Klage gegen einen Diplomaten für unzulässig.

Eine Hausangestellte hatte ihrem Arbeitgeber ein ausbeuterisches Arbeitsverhältnis vorgeworfen. Sie habe an sieben Tagen die Woche bis zu 20 Stunden täglich arbeiten müssen, ohne den vereinbarten Lohn sowie angemessene Unterkunft und Verpflegung erhalten zu haben. Sie sei zudem körperlich und seelisch misshandelt worden. Da sie in ihr Heimatland zurück reisen wollte, hatte sie ihren Anspruch an eine Klägerin abgetreten. Diese hatte daraufhin den Diplomaten vor dem Arbeitsgericht Berlin unter anderem auf Zahlung von Lohn und Schmerzensgeld in Höhe von circa 70.000 Euro verklagt.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage als unzulässig abgewiesen, da der Arbeitgeber als Diplomat Immunität genieße und daher gemäß § 18 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) vor deutschen Gerichten nicht in Anspruch genommen werden könne.
Das Landesarbeitsgericht bestätigte dies. Selbst bei schweren Rechtsverletzungen wie der hier behaupteten Arbeitsausbeutung habe die Immunität des Diplomaten Vorrang, da sie für die Pflege und Sicherung der zwischenstaatlichen Beziehungen unabdingbar sei. Hieran bestehe ein überragendes Interesse der Allgemeinheit, hinter dem das Interesse des bzw. der Einzelnen auf gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen zurücktreten müsse. Dies stelle weder einen Eingriff in das grundgesetzlich geschützte Eigentum noch einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip dar. Ein Anspruch gegen den Diplomaten gehe nicht verloren, da er entweder im Heimatland des Diplomaten geltend gemacht werden könne oder nach Ende der Immunität. Auf einen möglichen Missbrauch der Immunität könne nur mit diplomatischen Mitteln reagiert werden.
Das LAG sah daher, anders als die Klägerin, keinen Grund, die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 18 GVG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
Auf die Revision der Klägerin hebt das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Urteile auf. Da der Diplomat während des Verfahrens ausgereist war und dadurch seine Immunität verloren hatte, war die Klage jetzt zulässig und wurde zur Verhandlung an das Arbeitsgericht zurückverwiesen. Insbesondere zur Rechtsfrage, ob die Immunität bei schweren Rechtsverletzungen eingeschränkt ist, äußerte sich das BAG aber nicht.

Entscheidungen im Volltext:

LAG_Berlin_Brandenburg_09_11_2011 (PDF, 113 KB, nicht barrierefrei)

BAG_22_08_2012 (PDF, 68 KB, nicht barrierefrei)