EuGH, Urteil vom 12.3.2014
Aktenzeichen C-456/12

Stichpunkte

Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren zum Aufenthaltsrecht drittstaatsangehöriger Familienangehöriger von UnionsbürgerInnen in deren Heimatstaat; haben UnionsbürgerInnen in einem anderen EU-Staat über mindestens drei Monate mit drittstaatsangehörigen EhegattInnen zusammengelebt, haben diese bei einer gemeinsamen Rückkehr in den Heimatmitgliedstaat dort ein sich aus dem Unionsrecht ergebendes Aufenthaltsrecht; umfassende Ausführungen zur Auslegung der Freizügigkeitsrichtlinie in `Rückkehrerfällen´, diese vermittelt Drittstaatsangehörigen kein eigenes sondern nur ein von der Ausübung der Freizügigkeit durch den Unionsbürger abgeleitetes Aufenthaltsrecht; kein Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen bei Rückkehr nach kurzzeitigen Aufenthalten unter drei Monaten

Zusammenfassung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellt in zwei Vorabentscheidungsverfahren fest, dass für den Fall, dass ein Unionsbürger sich auf Grundlage seines Freizügigkeitsrechts eine gewisse Zeit lang in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten und dort ein Familienleben mit einem Drittstaatsangehörigen entwickelt und gefestigt hat, diesem bei der Rückkehr in den Herkunftsmitgliedstaat ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zuzuerkennen ist.

Der Entscheidung liegen zwei Verfahren von mit Niederländerinnen verheirateten Drittstaatsangehörigen zugrunde. Im ersten Verfahren ging es um einen Nigerianer, Herrn O., der 2006 eine Niederländerin heiratete. Herr O. hielt sich von 2007 bis 2010 in Spanien auf, wo seine Frau zwei Monate bei ihm wohnte und ihn danach regelmäßig besuchte.  2010 zog er wieder in die Niederlande zu seiner Frau. Ein Aufenthaltsdokument wurde ihm jedoch dort versagt.

Das zweite Verfahren betraf einen Marokkaner, Herrn B., der ab 2002 mit seiner niederländischen Lebensgefährtin in den Niederlanden gelebt hatte. 2005 wurde er wegen ausländerrechtlicher Verstöße verurteilt und ausgewiesen. Bis 2007 lebte er in Belgien, wo seine Lebensgefährtin ihn regelmäßig besuchte. 2007 musste er aufgrund der Verurteilung auch Belgien verlassen und kehrte nach Marokko zurück. Er heiratete seine Lebensgefährtin und lebt seit 2009 bei ihr in den Niederlanden. Auch ihm wurde dort ein Aufenthaltsdokument versagt.

Beide Verfahren legte das zuständige niederländische Gericht dem EuGH vor insbesondere mit der Frage, ob den beiden ein Aufenthaltsanspruch aus der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG) zustehe.

Der EuGH führt unter Verweis auf vorherige Rechtsprechung des Gerichtshofes zu den  sogenannten `Rückkehrerfällen´ aus, dass die Freizügigkeitsrichtlinie drittstaatsangehörigen Familienangehörigen von UnionsbürgerInnen grundsätzlich kein eigenes Aufenthaltsrecht einräume. Aus Gründen der praktischen Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts eines Unionsbürgers kann sich aber ein Aufenthaltsrecht aus der Ausübung der Freizügigkeit ergeben. Das bedeutet, wenn ein Unionsbürger sich in einem anderen Mitgliedstaat länger niedergelassen und dort mit einem Drittstaatsangehörigen zusammengelebt hat, kann sich dieser bei der gemeinsamen Rückkehr in den Heimatmitgliedsstaat auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht berufen.

Dieses Recht darf dann (durch das nationale Recht) nicht durch weitere Voraussetzungen als dem Nachweis der Identität und der Ehe eingeschränkt werden. 

Der Gerichtshof stellt fest, dass jedoch nur ein Aufenthalt von mehr als drei Monaten ein solches abgeleitetes Aufenthaltsrecht bei der Rückkehr begründen kann. Kurzaufenthalte wie Wochenenden oder Ferien in einem anderen Mitgliedstaat erfüllen diese Voraussetzung auch zusammengenommen nicht. Die vom EuGH dargelegten Voraussetzungen sind jetzt von den niederländischen Gerichten zu prüfen. Der EuGH weist darauf hin, dass Herr B. erst nach dem Aufenthalt seiner Lebensgefährtin in Belgien Familienangehöriger eines Unionsbürgers geworden ist. Ein Drittstaatsangehöriger, der nicht zumindest während eines Teils seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat Familienangehöriger eines Unionsbürgers gewesen ist, konnte dort aber kein abgeleitetes Aufenthaltsrecht auf der Grundlage der Richtlinie  haben. Daher kann er sich bei der Rückkehr des Unionsbürgers in den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, auch dort nicht auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen.

 

Entscheidung im Volltext

eugh_12_03_2014_C_456_12 (PDF, 111 KB, nicht barrierefrei)