BGH, Urteil vom 26.6.2014
Aktenzeichen V ZB 31/14

Stichpunkte

Bemerkenswerte Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit der Inhaftierung von Asylsuchenden zur Sicherung ihrer Überstellung in anderen Mitgliedstaat in Dublin-Verfahren; Inhaftierung nur bei konkret nachgewiesener erheblicher Fluchtgefahr zulässig; Dublin-III-Verordnung erfordert gesetzlich festgelegte objektive Kriterien zur Begründung einer Fluchtgefahr, die deutsche Gesetzeslage entspricht mit § 62 Absatz 3 Satz 1 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz diesen Vorgaben nicht; daher Inhaftierung zur Sicherung einer Überstellung mit der Begründung der Entziehungsabsicht oder Fluchtgefahr des oder der Betroffenen unzulässig

Zusammenfassung

Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt fest, dass der Kläger durch seine Inhaftierung zur Sicherung seiner Rücküberstellung im Dublin-Verfahren in seinen Rechten verletzt wurde. Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, war bei seiner Einreise nach Deutschland von der Polizei festgenommen worden. Da er bereits in Ungarn Asyl beantragt hatte, sollte er dorthin zurück geschoben werden. Zur Sicherung seiner Überstellung hatte das Amtsgericht Abschiebungshaft angeordnet. Die Beschwerde des Klägers dagegen wurde vom Landgericht abgewiesen. Auf seine Rechtsbeschwerde hebt der Bundesgerichtshof nun die Entscheidung des Landgerichts auf. Der BGH führt aus, dass sich mit Inkrafttreten der sogenannten Dublin-III-Verordnung (EU-VO Nr. 604/2013) zum 01.01.2014 die Rechtslage geändert hat. Da die vorher geltende Dublin-II-VO keine Regelungen zur Zulässigkeit der Inhaftierung zur Überstellung Asylsuchender hatte, wurde in Deutschland bislang Abschiebungshaft nach den Vorschriften zur Durchsetzung einer wegen illegaler Einreise vollziehbaren Ausreisepflicht angeordnet (§§ 57, 62 Absatz 3 Aufenthaltsgesetz). Die neue Dublin-III-Verordnung enthält aber nun in ihrem Artikel 28 selbst Regelungen zur Inhaftierung zur Sicherung der Überstellung. Darin heißt es insbesondere, dass eine Inhaftierung alleine zum Zwecke der Sicherung der Rücküberstellung ausgeschlossen beziehungsweise nur bei erheblicher Fluchtgefahr zulässig ist. Die Haft muss verhältnismäßig und weniger einschneidende Maßnahmen nicht verfügbar sein. In Artikel 2 n) definiert die Verordnung den Begriff `Fluchtgefahr´ mit im Einzelfall vorliegenden Gründen, die auf  gesetzlich festgelegten und objektiven Kriterien beruhen und darauf schließen lassen, dass der oder die Betroffene sich der Überstellung entziehen könnte. Der BGH führt aus, dass die deutsche Gesetzeslage diese Anforderungen nicht erfüllt, denn in § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG, der die Abschiebungshaft bei Verdacht auf Entziehungsabsicht regelt, ist die Fluchtgefahr lediglich generalklauselartig formuliert. Der Senat hält somit fest, dass eine Inhaftierung von Asylsuchenden zur Sicherstellung von Überstellungen in den sog. Dublin-Verfahren mit dem alleinigen Haftgrund Fluchtgefahr nicht mehr zulässig ist, da es hierfür an einer gesetzlichen Regelung fehlt. Eine Haft soll nur noch möglich sein, wenn der Betroffene seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne dies der Ausländerbehörde anzuzeigen oder aber am Tag der Überstellung nicht angetroffen wurde. Dies sind die Nr. 2 und 3 des § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, im Beschluss (offenbar versehentlich) als Nr. 3. und 4. bezeichnet.

 

Entscheidung im Volltext:

bgh_26_06_2014 (PDF, 142 KB, nicht barrierefrei)

bgh_26_06_2014_berichtigter_leitsatz.pdf