VG Münster, Entscheidung vom 27.11.2014
Aktenzeichen 4 L 867/14.A

Stichpunkte

Gericht stoppt mit bemerkenswerter Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz die Abschiebung einer Roma-Familie nach Serbien; Kammer stellt aufgrund der serbischen Ausreisebestimmungen die Ablehnung der Asylanträge von serbischen Roma als offensichtlich unbegründet infrage; umfassende Darlegung von Zweifeln auch an der Verfassungsmäßigkeit der deutschen Asylrechtsreform vom November 2014 mit Einstufung Serbiens als sicherem Herkunftsland

Zusammenfassung

Das Verwaltungsgericht Münster (VG) stoppt im einstweiligen Rechtsschutz die Abschiebung einer Roma-Familie aus Serbien. Die Asylanträge der Familie waren vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt worden. Das Gericht sieht ernstliche Zweifel an der Einschätzung des BAMF, dass der Familie als Zugehörige zur Volksgruppe Roma nach ihrer Abschiebung in Serbien `keine relevanten Nachteile´ drohen würden. Ebenso legt es seine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der deutschen Asylrechtsreform vom  6. November 2014 mit der Einstufung Serbiens zum sicheren Herkunftsland im Hinblick auf die Roma dar. Das Gericht macht Ausführungen zu den Prüfkriterien des Grundgesetzes zur Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat. Der Gesetzgeber müsse sich dabei ein Gesamturteil über die für politische Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse in dem jeweiligen Staat bilden. Es sei aber nicht hinreichend erkennbar, welches Gewicht der Gesetzgeber den geänderten serbischen Ausreisebestimmungen und ihrer Auswirkung auf die Roma gegeben habe. An den  Gesetzesmaterialien ließe sich auch nicht erkennen, dass der Gesetzgeber nicht nur die Asylentscheidungen des BAMF, sondern auch die Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte hinreichend berücksichtigt habe. Das Gericht verweist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Stuttgart, das in mehreren Fällen Klagen serbischer Asylsuchender stattgegeben hat. Auch das VG Münster selbst habe in einer Vielzahl von Fällen den Eilanträgen von Roma entsprochen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte bereits im März betont, dass Roma in jüngster Zeit durch den serbischen Staat in ihren elementaren Rechten auf Freizügigkeit beschnitten und kriminalisiert werden, wenn sie von dem Menschenrecht der freien Ausreise Gebrauch machen. Laut dem neu eingeführten Paragrafen 350a des serbischen Strafgesetzbuchs haben Asylbewerber demnach wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland mit strafrechtlicher Verfolgung und Verurteilung zu rechnen. Das VG will nun im Hauptverfahren klären, ob das Gesetz zur Einstufung weiterer Staaten als sichere Herkunftsstaaten dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt werden soll.

 

Entscheidung im Volltext:

vg_muenster_27_11_2014 (PDF, 60 KB, nicht barrierefrei)