BGH, Entscheidung vom 14.4.2015
Aktenzeichen 5 StR 20/15

Stichpunkte

Bemerkenswerte Revisionsentscheidung im Strafverfahren u.a. wegen Formverstößen im Rahmen von Verständigungen im Strafverfahren; Darlegung des ausnahmsweisen Ausschlusses des Beruhens eines Urteils auf einem Verstoß gegen die Mitteilungs- und Dokumentationspflichten unter Verweis auf weitere Rechtsprechung; Ausführungen zur Zulässigkeit, eine Verständigung von der Zustimmung aller Angeklagten abhängig zu machen

Zusammenfassung

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) verwirft die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung wegen ausbeuterischer Zuhälterei und schwerer Körperverletzung. Der Angeklagte hatte zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter fünf bulgarische Prostituierte mehrere Jahre für sich arbeiten lassen. Entgegen vorherigen Absprachen, die Prostitutionseinkünfte anteilig aufzuteilen, erhielten die Bulgarinnen, die im Verfahren als Nebenklägerinnen auftraten, im Wesentlichen nur Kost und Logis, während der Angeklagte und seine Familie von den Prostitutionseinnahmen lebten. Eine der Nebenklägerinnen hatte der Angeklagte geschlagen und ihr eine bleibende Narbe zugefügt. Er wurde zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Urteil war im Rahmen einer sogenannten Verständigung im Strafverfahren zustande gekommen. Am 33. Verhandlungstag hatte der Vorsitzende in der öffentlichen Hauptverhandlung nach dem Interesse an einer Verständigung gefragt. Als dies bejaht wurde, fand in Unterbrechung der Hauptverhandlung und in Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligter außer den Angeklagten ein Gespräch statt. Dabei stellten die Verteidiger die Inhaftierung in den Fokus, die Staatsanwältin eine mögliche Strafbarkeit wegen Menschenhandels und die Nebenklagevertreterinnen Entschädigungszahlungen an die Frauen. Der Verteidiger teilte  dem Angeklagten im Anschluss lediglich mit, dass das Gespräch ergebnislos verlaufen sei. Am 34. Verhandlungstag machte der Vorsitzende einen Verständigungsvorschlag, falls die Angeklagten ein Geständnis ablegten und sich durch Schuldanerkenntnis gesamtschuldnerisch zur Zahlung von je 7.500,- Euro an die Nebenklägerinnen verpflichteten. Für den Angeklagten wurde eine Freiheitsstrafe von maximal 4 Jahren in Aussicht gestellt. Voraussetzung sei jedoch die Zustimmung aller Angeklagten. Das am 33. Verhandlungstag statt gefundene Gespräch wurde vom Vorsitzenden während der gesamten Hauptverhandlung nicht erwähnt und folglich auch nicht protokolliert. Auf Rüge des Verteidigers nahm das Gericht, nicht jedoch die Staatsanwaltschaft Abstand von der Bedingung der Zustimmung aller Angeklagten für das Zustandekommen der Verständigung. Der Angeklagte lehnte den Vorschlag zunächst ab. Nachdem der Verteidiger in einer Sitzungsunterbrechung ergebnislos versucht hatte, den Strafrahmen nach unten zu verhandeln, erklärte der Angeklagte sich zur Zustimmung bereit, legte ein Geständnis ab und alle Angeklagten gaben, wie vorgeschlagen, ein Schuldanerkenntnis zugunsten der Nebenklägerinnen ab. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte eine Verletzung der Mitteilungspflicht, da der Vorsitzende das am 33. Verhandlungstag statt gefundene Vorgespräch zur Verständigung im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung nicht erwähnt hatte und es entsprechend nicht protokolliert wurde. Auch der BGH sieht hierin einen Verstoß gegen die Mitteilungspflicht. Der Vorsitzende habe gemäß § 243 Absatz 4 Strafprozessordnung mitzuteilen, ob im Verlauf der Hauptverhandlung Erörterungen stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung war und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Dies sei bei dem  Gespräch, das während der Unterbrechung der Hauptverhandlung auf die ausdrückliche Frage des Gerichts nach etwaigem Verständigungsinteresse hin erfolgte, der Fall gewesen, so dass hierüber zu unterrichten gewesen sei. Der Senat legt jedoch unter Verweis auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs jeweils vom 15.01.2015 dar, dass im Fall des Angeklagten ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf dem Formverstoß ausgeschlossen werden kann. Der Senat macht umfassende Ausführungen dazu, warum vorliegend trotz Verstoßes gegen das Schutzkonzept der strafprozessualen Verständigungsregelungen eine wertende Gesamtschau des Geschehens den Formverstoß weniger gravierend erscheinen lassen. Die Gebote der Transparenz und eines fairen Verfahrens seien hier insbesondere durch die Tatsache gewahrt, dass der Vorsitzende in der öffentlichen Hauptverhandlung die Initiative für eine Verständigung ergriffen habe. Dies habe die Möglichkeit von Verständigungsgesprächen sowohl für die Öffentlichkeit als auch die Verfahrensbeteiligten transparent gemacht. Der Senat legt außerdem detailliert dar, warum der Angeklagte durch die fehlende Mitteilung nicht in seinen Rechten verletzt wurde. In dem Umstand, dass die fehlende Mitteilung des Vorsitzenden nicht protokolliert wurde, sieht der Senat keinen Rechtsfehler, da das Protokoll so ja gerade den Gang der Hauptverhandlung wiedergäbe. Der Angeklagte hatte außerdem gerügt, die Staatsanwaltschaft habe unzulässig ein Zustandekommen der Verständigung von der Zustimmung aller Angeklagten abhängig gemacht und ihn damit unter Druck gesetzt. Hierzu führt der Senat aus, dass kein Verbot für Gericht oder Staatsanwalt ersichtlich sei, bei Verfahren mit mehreren Angeklagten nur auf eine alle Angeklagten einbeziehende Verständigung hinzuwirken. Dies ergebe sich im Übrigen auch aus dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie sowie im Hinblick auf die Bestandskraft der Urteile.

 

Entscheidung im Volltext:

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