VG Karlsruhe, Beschluss vom 1.4.2019
Aktenzeichen A 5 K 1416/19

Stichpunkte

Interessanter Beschluss im einstweiligen Rechtsschutz im Asylverfahren gegen Dublin-Überstellung nach Italien; Gericht ordnet wegen verschlechtertem Gesundheitszustand aufschiebende Wirkung der Klage gegen Abschiebung an; Ausführungen zu Reiseunfähigkeit aufgrund von Krankheit und zu den Anforderungen an die Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung einer unumkehrbaren Verschlechterung der Gesundheit

Zusammenfassung

Das Verwaltungsgericht (VG) ordnet die aufschiebende Wirkung der Klage gegen eine Dublin-Abschiebung nach Italien an. Die Antragstellerin ist an AIDS erkrankt. Sie sollte zur Durchführung des Asylverfahrens nach Italien überstellt werden. Diese Überstellung ist nach Ansicht des VG ohne individuelle Garantieerklärung seitens Italiens unzulässig, da die Antragstellerin Atteste beigebracht hatte, die eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes belegten. Das Gericht legt dar, dass gemäß § 34a Abs. 1 Asylgesetz allein das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beim Erlass von Abschiebeandrohungen für die Prüfung nationaler und zielstaatsbezogener Abschiebehindernisse zuständig ist. Zu berücksichtigen seien hierbei auch nachträglich auftretende Abschiebehindernisse. Bei konkreter Gefahr einer erheblichen oder lebensbedrohenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes, die nicht durch Vorkehrungen verhindert werden könnte, bestünde gemäß § 60a, Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung.

Das Gericht macht in diesem Zusammenhang Ausführungen zur Reiseunfähigkeit im engeren und weiteren Sinne. Letztere liegt vor, wenn eine Abschiebung eine erhebliche, konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer oder die Ausländerin bewirke.
Solche Gefahren müsse das Bundesamt entweder durch vorübergehendes Absehen von der Abschiebung oder durch entsprechende Vorkehrungen im Rahmen der Abschiebung abwenden, hierzu verweist das VG auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.9.2014. Das Gericht macht Ausführungen zum Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Gesundheitsgefahren und der erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen sowie der Überprüfung der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen durch die Behörden des Zielstaates.

Mit Verweis auf ein sehr lesenswertes Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 16.02.2017 stellt das VG fest, dass eine Überstellung solange auszusetzen sei, wie sich die Gefahr einer unumkehrbaren Verschlechterung der Gesundheit nicht ausschließen ließe. Das VG verweist in seinen Ausführungen auch auf die sog. Tarakhel Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (4.11.2014) sowie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (29.8.2017), nach denen bei besonders schutzbedürftige Personen wegen belastbarer Berichte internationaler Organisationen zu Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung in Italien konkrete und einzelfallbezogene Zusicherungen der italienischen Behörden einzuholen sind, dass die überstellte Person sowohl eine sichere Unterkunft als auch die erforderliche Gesundheitsversorgung erhält.

Vor diesem Hintergrund hält das Gericht vorliegend ein Abschiebeverbot zugunsten der Frau für gegeben, da sich ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechter habe und eine entsprechende Garantieerklärung der italienischen Behörden nicht eingeholt wurde. Selbst wenn Dublin-Rückkehrer*innen in Italien theoretisch Zugang zum Gesundheitssystem hätten, begegne dieser in der Praxis erheblichen Hürden, so dass es für die Antragstellerin zu lebensbedrohlichen Versorgungslücken kommen könnte, die ihr nicht zuzumuten seien.

 

Entscheidung im Volltext:

vg_karlsruhe_01_04_2019 (PDF, 2,1 MB, nicht barrierefrei)