LAG Köln, Beschluss vom 25.8.2020
Aktenzeichen 9 Ta 98/20

Stichpunkte

Interessante Entscheidung im Arbeitsgerichtsverfahren um die Frage der Arbeitnehmer*inneneigenschaft von Telefonsexarbeiter*innen und Zuständigkeit der Arbeitsgerichte; umfassende Ausführung zur Abgrenzung von Arbeitnehmer*innen und Selbständigen; abzustellen sind auf die Gesamtumstände; keine Bindungswirkung für die arbeitsrechtliche Beurteilung durch die Pauschalsteuer nach dem `Düsseldorfer Modell´

Zusammenfassung

Das Landesarbeitsgericht (LAG) stellt in seinem Beschluss fest, dass Telefonsexarbeiter*innen, auch wenn sie als Freiberufler*innen geführt werden, dann einen Arbeitnehmer*innenstatus haben, wenn die Selbständigkeit ihrer Arbeit in einem Maß reguliert und kontrolliert ist, die die übliche Möglichkeit der Einflussnahme bei einem freien Dienstverhältnis überschreitet. Für Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis besteht damit die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.

Die Beklagte hatte in ihren Büroräumen Telefonsexarbeiter*innen im Schichtbetrieb sexuelle Dienstleistungen anbieten lassen. Die Klägerin war bei ihr als Telefonsexarbeiterin beschäftigt und als freiberufliche Mitarbeiterin geführt. Die für die Tätigkeit genutzten Einzelräume mitsamt dem nötigen Inventar wurden von einer anderen Firma an die Telefonistinnen für monatlich 50 € vermietet. Aus einem von der Beklagten vorgehaltenem Pool konnte die Klägerin sich ein `Profil´ (Aliasname, Foto) aussuchen, das auf der Internetseite der Beklagten eingestellt wurde. Die Beklagte führte Dienstpläne, in welche die Frauen ihre gewünschten Arbeitszeiten eintragen konnten. Die Klägerin hatte sich in ihrer Arbeit und den Kundenkontakten nach den Vorgaben der Beklagten zu richten. Ihre Arbeit wurde außerdem durch Mitschnitte der Telefonate und Aufzeichnungen einer in dem Raum angebrachten Videokamera kontrolliert.

Die Klägerin wurde monatlich entsprechend der von ihr geführten Telefonate von der Beklagten bezahlt. Die Beklagte führte von dieser Vergütung, nach dem zur vereinfachten Besteuerung der selbständigen Prostitution entwickelten sog. Düsseldorfer Modell, eine Pauschalsteuer in Höhe von 15 % an das Finanzamt ab.

Für Fehlzeiten oder Verspätungen gab es Strafzahlungen.

Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht (AG) darauf geklagt, feststellen zu lassen, dass zwischen ihr und der Beklagten ein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Außerdem begehrt sie neben der Erstattung einbehaltener Strafzahlungen noch einige weitere Zahlungen.

Das Arbeitsgericht verneinte die Arbeitnehmerinneneigenschaft der Klägerin und damit die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit und verwies deswegen an das Landgericht. Auf die Beschwerde der Klägerin bejaht das LAG jedoch die Arbeitnehmerinneneigenschaft der Klägerin und die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte.

Dabei macht das LAG umfassende Ausführungen zur Abgrenzung von Arbeitnehmer*innen und Selbständigen, wobei auf die Gesamtumstände abzustellen sei (Rn 37).

Vorliegend stellten die gesamten Umstände der Beschäftigung, wie die organisatorische und räumliche Einbindung in den Betrieb der Beklagten, Überwachung der Klägerin durch Telefon- und Videoaufzeichnungen und gleichzeitig die Unterbindung eigenständiger Kontakte der Klägerin zu den Kunden, eine große Fremdbestimmung dar und gingen über eine mögliche Einflussnahme bei einem freien Dienstvertrag hinaus. Ebensospräche die fehlende, für Selbständigkeit typische, eigenständige unternehmerische Präsenz am Markt und das fehlende unternehmerische Risiko gegen eine selbständige Tätigkeit.

Auch die steuerrechtliche Praxis der Pauschalbesteuerung nach dem sog. Düsseldorfer Modell ändere dies nicht, da sich hieraus keine Bindungswirkung für die arbeitsrechtliche Beurteilung ergebe.

Die Entscheidung ist unanfechtbar.

 

 

Entscheidung im Volltext:

Lag_25_08_2020 (PDF, 135 KB, nicht barrierefrei)