OVG Nordrhein-Westfalen, 2 Urteile vom 21.1.2021
Aktenzeichen 11 A 1564/20.A und 11 A 2982/20.A

Stichpunkte

Wichtige Entscheidungen im Asylverfahren über die Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohungen zweier bereits in Griechenland anerkannter Asylbewerber; Erklärung der Zulässigkeit der Asylanträge; umfassende Darstellung der aktuellen Situation für anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland

Zusammenfassung

Das Oberverwaltungsgericht NRW (OVG) stoppt in zwei Asylverfahren die Abschiebung zweier bereits in Griechenland anerkannter Asylbewerber dorthin zurück und erklärt ihre Asylanträge für zulässig.

Die beiden aus Syrien und Eritrea stammenden Kläger hatten vor ihrer Einreise nach Deutschland bereits in Griechenland internationalen Schutz erhalten. Ihre   Asylanträge wurden daher als unzulässig abgelehnt und ihnen die Abschiebung nach Griechenland angedroht.

Die Verwaltungsgerichte hatten ihre Klagen hiergegen jeweils mit der Begründung abgewiesen, es lägen nicht genügend Anhaltspunkte dafür vor, dass die Kläger in Griechenland trotz der dort für international Schutzberechtigte herrschenden schwierigen Verhältnisse in eine menschenunwürdige Situation geraten könnten. Die dagegen gerichteten Berufungen der Kläger hatten Erfolg.

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) erklärt, dass die Rechtsgrundlage für die Unzulässigkeitsentscheidung der Asylanträge gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 Asylgesetz (AsylG) nicht in Betracht kommt. Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz gewährt hat. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Beschluss vom 13.11.2019 – C-540 und 541/17) muss § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dahingehend ausgelegt werden, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, diese Vorschrift anzuwenden, wenn die Lebensverhältnisse, die Geflüchtete in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, sie der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 4 Grundrechtecharta (GRCh) bzw. des diesem entsprechenden Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zu erfahren.

Einen Verstoß gegen Art. 4 (GRCh) nimmt der EuGH an, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische und psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (Vgl. EuGH, Urteil vom 19.03.2019).

Das OVG ist davon überzeugt, dass beiden Klägern im Falle einer Rückkehr nach Griechenland eine solche ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden Behandlung iSd. Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK drohe, weshalb die Asylanträge nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG abgelehnt werden könnten und die Abschiebungsandrohungen nach § 35 AsylG rechtswidrig sei.

Der Senat begründet dies ausführlich. Er erklärt, dass den Klägern im Falle einer Rückkehr nach Griechenland die ernsthafte Gefahr drohe, dass sie keine menschenwürdige Unterkunft fänden, sondern über einen längeren Zeitraum obdachlos sein würden. Weiterhin würden die Kläger mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sein, sich aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern zu versorgen. Sie würden auch keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen haben noch gäbe es Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen. Corona habe große Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes und eine große Anzahl von anerkannten Schutzberechtigten, sei bereits obdachlos.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Seit dem 19 April 2021 gibt es eine weitere wegweisende Entscheidung des OVG Lüneburg, welches eine Gefährdung von anerkannten Schutzberechtigten in Griechenland adressiert. In Griechenland anerkannte Schutzberechtigte dürfen grundsätzlich nicht nach Griechenland zurückgeführt werden, weil für sie die ernsthafte Gefahr besteht, dass sie dort ihre elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht befriedigen können. 

 

Entscheidungen im Volltext:

 

 

 

ovg_nrw_21_01_2021 (PDF, 763 KB, nicht barrierefrei)

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