OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 6.5.2021
Aktenzeichen 4 LB 755/20 OVG

Stichpunkte

Nur teilweise positive Entscheidung zur Gewährung internationalen Schutzes für vor häuslicher Gewalt geflohener Ukrainerin; Gericht lehnt Flüchtlingsanerkennung ab, spricht aber subsidiären Schutz zu; Ausführungen zum Begriff `soziale Gruppe und zur Situation der Frauen in der Ukraine'.

Zusammenfassung

Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern (OVG) spricht einer Ukrainerin subsidiären Flüchtlingsschutz zu.

Die Frau war 2018 aus der Ukraine nach Deutschland gekommen und hatte Asyl beantragt. Bei ihrer Anhörung hatte sie angegeben, die Ukraine verlassen zu haben, da ihr Ehemann sie dort seit 10 Jahren seelisch und körperlich misshandelt habe. In der Ukraine habe sie bereits eine Hilfsorganisation aufgesucht, die jedoch ihren Mann verständigt habe, der sie dann abgeholt hätte. Ihr Mann verweigere die Scheidung, zur Polizei könne sie nicht gehen, da ihr Schwiegervater dort arbeite, bzw. gearbeitet habe. Sie befürchte, dass ihr Mann sie töten würde. Ihre Schwiegermutter arbeite bei der Meldebehörde, so dass sie überall in der Ukraine gefunden werden könne.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte den Antrag abgelehnt und die Abschiebung angedroht. Hiergegen erhob die Frau Klage und legte psychologische Stellungnahmen vor, die u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung und die Gefahr von Suizidversuchen im Falle der Rückkehr bescheinigten. Das VG wies die Klage ab. Der Berufung hiergegen gibt das OVG teilweise statt.

Auch das OVG lehnt eine Flüchtlingseigenschaft ab, da es eine geschlechtsspezifische Verfolgung nicht gegeben sieht. Nach Ansicht des Gerichts stellt die Gruppe der Frauen der Ukraine keine `soziale Gruppe´ im flüchtlingsrechtlichen Sinne des § 3b Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) dar. Das VG macht Ausführungen zu den Voraussetzungen und kommt zu dem Ergebnis, es fehle wegen der Größe der Gruppe an der erforderlichen abgrenzbaren Identität. Auf die Gruppe der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen in der Ukraine abzustellen scheitere daran, dass Opfer häuslicher Gewalt geworden zu sein, die Gruppe dann als solche erst konstituieren würde, die Verfolgungshandlung sei aber gesetzessystematisch vom Verfolgungsgrund zu trennen. Auch fehle es einer Gruppe von häuslicher Gewalt betroffener Frauen an einer hinreichend abgrenzbaren Identität.

Das OVG sieht aber die Voraussetzungen für subsidiären Schutz erfüllt. Es hält die Angaben der Frau für glaubhaft und sieht eine Gefährdung für den Fall ihrer Rückkehr in die Ukraine gegeben. Das VG macht umfassende Ausführungen zur Situationen der Frauen in der Ukraine und stellt fest, dass häusliche Gewalt gegen Frauen weit verbreitet sei und sich während der Corona-Pandemie noch verstärkt habe. Schutz durch die Polizei sei kaum üblich, da diese die Gewalt häufig als Privatsache der Eheleute betrachte.

Da die Schwiegereltern der Frau zudem im Bereich der Polizei arbeiteten, habe die Klägerin keine Schutzmöglichkeiten.

 

Positive Entscheidung zu Flüchtlingsanerkennung bei häuslicher Gewalt siehe VG Köln 07.04.2021

Entscheidung im Volltext:

ovg_meck_pomm_06_05_2021 (PDF, 136KB, nicht barrierefrei)