VG Hannover, Urteil vom 22.9.2022
Aktenzeichen 10 A 2897/20

Stichpunkte

Positive Entscheidung im Asylverfahren um Flüchtlingsanerkennung für in Italien von Menschenhandel betroffene Nigerianerin; umfassende Ausführungen zu den Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen; Darstellung der Vorgehensweise der Menschenhändlerringe und der (erfolglosen) Maßnahmen des nigerianischen Staates, dagegen vorzugehen

Zusammenfassung

Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), einer Nigerianerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Bei ihrer Anhörung vor dem BAMF hatte die Frau angegeben, aufgrund schwieriger Lebensumstände aus Nigeria ausgereist und acht Jahre in Italien gewesen zu sein.

Dort sei sie zur Prostitution gezwungen worden. Die Täter*innen hätten auch ihre Familie in Nigeria aufgesucht und bedroht, wenn sie sich geweigert habe zu arbeiten. Sie befürchte daher im Falle einer Rückkehr von diesen in Nigeria gefunden zu werden. Die Frau ist schwanger und alleinerziehende Mutter eines Sohnes.

Das BAMF lehnte den Asylantrag ab und drohte die Abschiebung an. Die Klägerin sei nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen. Eine Gefahr der Verfolgung durch die Menschenhändler*innen gäbe es nicht.

Auf ihre Klage hiergegen, erklärt das VG die Voraussetzungen für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft für gegeben. Das Gericht hatte die Frau in der Verhandlung umfassend angehört. Unter Verweis auf den typischen Beweisnotstand von Asylbewerber*innen hinsichtlich der verfolgungsrelevanten Umstände im Heimatland, reiche es, wenn die Betroffenen diese glaubhaft darstellten. Dies sieht das Gericht im Falle der Klägerin bezogen auf die Geschehnisse in Nigeria und Italien, die die Frau detailreich und widerspruchsfrei geschildert habe, gegeben. Bestätigt sieht das VG ihre Angaben außerdem durch den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22.02.2022 zum organisierten Menschenhandel in Nigeria.  

Unter Verweis auf weitere Rechtsprechung (z.B.VG Würzburg, 21. Dezember 2018) stellt das VG heraus, dass nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und sich daraus befreit haben, eine soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 Asylgesetz (AsylG) darstellten.

Die Klägerin sei des Weiteren auch von Stigmatisierung bedroht, da ihre Familie in Nigeria von den Menschenhändler*innen mehrfach aufgesucht worden und die Zwangsprostitution der Frau dadurch bekannt geworden sei.

Aus diesem Grunde sei auch zu befürchten, dass sie im Falle einer Rückkehr von den Menschenhändler*innen gefunden werde.

Staatlichen Schutz habe sie nicht zu erwarten, da der Bundesstaat Edo State, aus dem die Frau stammt, zwar Maßnahmen gegen Menschenhandel eingeleitet habe, diese seien aber bislang noch erfolglos.

Auch innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten gäbe es für sie nicht, da sie als Schwangere und Alleinerziehende mit einem Kleinkind keine Möglichkeit hätte, ein Existenzminimum zu erwirtschaften.

 

Entscheidung im Volltext:

vg_hannover_22_09_2022 (PDF, 654 KB, nicht barrierefrei)

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