Positive Entscheidung im Strafverfahren u.a. wegen Vergewaltigung zur Frage des Rechts auf Akteneinsicht der Nebenklage insbesondere in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen; Auswertung der Rechtsprechung diesbezüglich; Recht auf vollumfängliche Akteneinsicht bejaht
Das Oberlandesgericht (OLG) verwirft die Beschwerde eines u.a. wegen Vergewaltigung Angeklagten gegen die Gewährung von Akteneinsicht an die Nebenklagevertreterin. Ihr Akteneinsichtsantrag war zunächst von der Staatsanwaltschaft wegen Gefährdung des Untersuchungszecks gem. § 406 Abs. 2 S.2 Strafprozessordnung (StPO) abgelehnt worden. Auch die Verteidigerin des Angeklagten hatte diesem widersprochen. Nach Eröffnung des Verfahrens hat das Landgericht (LG) die Nebenklage zugelassen und der Nebenklagevertreterin Akteneinsicht mit der Maßgabe gewährt, diese nicht der Nebenklägerin vor ihrer Vernehmung zugänglich zu machen. Hiergegen hat der Angeklagte Beschwerde eingelegt, die das OLG mit vorliegendem Beschluss verwirft.
Das OLG macht Ausführungen zu den Voraussetzungen der Gefährdung des Untersuchungszweckes und stellt unter Verweis auf u.a. OLG Braunschweig 03.12.2015, OLG Hamburg 21.03.2016, KG Berlin 21.11.2018 fest, dass danach allein die Gefahr einer präparierten Zeugenaussage nicht ausreiche. Dem erkennenden Gericht sei ein weiter Entscheidungsspielraum eingeräumt und es habe jeweils die Situation des Einzelfalls zu würdigen.
Das OLG stellt sich dabei einer, in der Rechtsprechung teilweise vertretenen, Ansicht entgegen, nach der insbesondere in Verfahren mit, wie vorliegend, Aussage gegen Aussage-Konstellation, das Ermessen des Gerichts auf Null reduziert und eine Akteneinsicht vor einer Vernehmung des*der Opferzeugen*in wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks stets zu verweigern sei.
Eine solche schematische Herangehensweise lehnt das OLG unter Verweis auf weitere Rechtsprechung wie u.a. OLG Brandenburg vom 06.07.2020 und OLG Braunschweig 03.12.2015 ab. Auch in solchen Fällen könne Akteneinsicht gewährt und einer Gefährdung des Untersuchungszweckes durch die Zusicherung der Nebenklagevertretung begegnet werden, der oder dem Verletzten die Akten nicht zugänglich zu machen. Eine solche Zusicherung sei hier erfolgt und es lägen keine Hinweise darauf vor, die Anwältin könne sich hieran nicht halten.
Das OLG räumt ein, dass eine solche Selbstverpflichtung rechtlich nicht bindend sei und eine anwaltliche Informationspflicht gegenüber der*dem Mandant*in bestünde. Jedoch fände diese ihre Grenzen, wenn sie den Interessen der*des Mandant*in zuwiderliefen. Dies könne z.B. der Fall sein, wenn parallel ein Adhäsionsverfahren zur Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen geführt würde.
Unter Bezug auf einen Beschluss des OLG Brandenburg vom 06.07.2020 sei davon auszugehen, dass Nebenklagevertreter*innen, die mit den besonderen Anforderungen des Bundesgerichtshofs an die Beweiswürdigung in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen vertraut seien, bestrebt seien, die Aussagequalität und den Beweiswert nicht zu beeinträchtigen. Dieses Bestreben, den Beweiswert der Aussage nicht zu schmälern, zeige sich auch darin, dass die Nebenkläger*innen überwiegend dem Rat des Gerichts folgten, auf ihr Anwesenheitsrecht während der Einlassung der Angeklagten zu verzichten, was sie eventuell nicht täten, wenn sie nicht darauf vertrauen könnten, dass ihr anwaltlicher Beistand im Vorfeld der Verhandlung durch Akteneinsicht hinreichend die Möglichkeit hatte, ausreichend Kenntnis vom Verfahrensstoff zu erhalten.
Das OLG sieht daher auch keinen Grund dafür, die Akteneinsicht nur auf einen Teil zu beschränken, denn das Recht zur Akteneinsicht erstrecke sich grundsätzlich auf den gesamten Akteninhalt.
Akteneinsichtsrecht der Nebenklage
Entscheidung im Volltext: