Positive Entscheidung im Asylverfahren um Flüchtlingsanerkennung für von Menschenhandel betroffener Sambierin; Betroffene von Menschenhandel als asylrelevante soziale Gruppe (bejaht); zur Situation der Frauen in Sambia; HIV-Infektion
Das Verwaltungsgericht (VG) verpflichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einer Sambierin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Frau hatte zur Begründung ihres Asylantrags angegeben, nach dem Tod ihres Vaters habe ein Onkel, in dessen Haus sie mit ihrer Familie wohnte, sie mit 13 Jahren verheiraten und beschneiden lassen wollen. Um das zu verhindern und damit sie weiter zur Schule gehen könnte, habe ihre Mutter sie zu einer Cousine gegeben, als sie 16 Jahre alt war. Die Schule habe sie nicht abschließen können und so habe sie vom Obstverkauf gelebt. Sie habe ein Kind von einem Freund, zu dem sie keinen Kontakt mehr habe. Das Kind lebe bei ihrer Schwester.
Nach dem Tod ihrer Mutter habe sie aus wirtschaftlichen Gründen ein Arbeitsangebot angenommen und sei unter falschen Versprechungen ins Ausland und zur Prostitution gebracht worden.
Für den Fall ihrer Rückkehr fürchte sie sowohl Verfolgung und Gewalt seitens der Menschenhändler*innen als auch Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung.
Außerdem reichte sie eine ärztliche Bescheinigung über eine therapiebedürftige HIV-Infektion ein.
Das BAMF hatte den Antrag der Frau abgelehnt und die Abschiebung angedroht.
Asylrelevante Verfolgungsgründe seien nicht gegeben. Opfer von Menschenhandel könnten zwar eine asylrelevante bestimmte soziale Gruppe sein, wenn ein identitätsstiftendes unveränderliches Merkmal vorliege. Dies sei bei Menschenhandel in der Regel – so auch im Fall der Klägerin – nicht gegeben.
Dem widerspricht das VG. Es glaubt den Angaben der Frau zu der ihr in Sambia drohenden Zwangsverheiratung und erlittenen Zwangsprostitution. Unter umfassendem Bezug auf die klarstellende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 16.01.2024, die erst nach der hier im Streit stehenden Entscheidung des BAMF ergangen war, stellt das VG fest, die Klägerin sei danach, weil sie sich der Zwangsehe und dem Menschenhandel entzogen habe, als Angehörige einer sozialen Gruppe asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt. Der EuGH habe klargestellt, dass Frauen insgesamt als einer bestimmten sozialen Gruppe zugehörig angesehen werden können, wenn sie in ihrem Land aufgrund ihres Geschlechts von physischer oder psychischer sowie sexueller und häuslicher Gewalt betroffen sind.
Dies sei bei der Klägerin der Fall. Unter Verweis auf Länderberichte zur Situation der Frauen in Sambia führt das Gericht aus, dass die Regierung Sambias zwar versuche, gegen Zwangsehen und Menschenhandel vorzugehen, den zur Verfügung stehenden Quellen sei aber zu entnehmen, dass Erfolge nicht erkennbar seien. Zwangsehen seien immer noch in weiten Kreisen gesellschaftlich akzeptiert.
Vom Staat Sambia habe die Klägerin keinen Schutz zu erwarten.
Auch innerhalb des Landes bestünden keine Fluchtmöglichkeiten für die Klägerin. Sie könne auch nicht auf ihre Schwester verwiesen werden, bei der ihr Sohn lebe, da sie bei einer Rückkehr zu dieser offenbaren müsse, dass sie Opfer von Menschenhandel wurde. Dies führe wahrscheinlich dazu, dass die Schwester sie nicht weiter unterstützen würde. Die alleinstehende und durch ihre HIV-Infektion sowohl körperlich als auch psychisch geschwächte Klägerin könne ohne familiäre Unterstützung ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten und würde in eine menschenrechtswidrige Zwangslage geraten.
Sambia, Frauen als bestimmte soziale Gruppe; HIV-Infektion
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