Erstattung der Kosten für Unterbringung und Betreuung in einem Frauenhaus – § 36a SGB II – § 17 Abs. 2 SGB II – Betretungsrecht von Frauenhäusern durch Jobcenter – Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung)
Im vorliegenden Fall stritten die Beteiligten, zwei Jobcenter (die zuständige Kommune und der Herkunftslandkreis), über die Erstattung der Kosten für die Unterbringung und Betreuung einer Frau und ihrer zwei minderjährigen Kinder in einem Frauenhaus.
§ 36a SGB II
Die Frau hatte aufgrund von häuslicher Gewalt mit ihren Kindern Zuflucht im Frauenhaus gefunden. Das Jobcenter der zuständigen Kommune übernahm die Kosten für den Aufenthalt und forderte eine Erstattung dieser Kosten von dem Jobcenter des Herkunftslandkreises. Das Jobcenter des Herkunftslandkreises lehnte die Erstattung ab und führte unter anderem an, dass die Vereinbarung zwischen der Kommune und dem Frauenhaus nicht ausreichend die Qualität und den Umfang der erbrachten Leistungen regle. Darüber hinaus wollte das Jobcenter des Herkunftslandkreises das Frauenhaus betreten, um die erbrachten Leistungen vor Ort zu überprüfen. Es argumentierte, dass es seine Pflicht zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität nur durch eine Begehung des Frauenhauses wahrnehmen könne.
Das Sozialgericht Karlsruhe entschied zugunsten des Jobcenters der zuständigen Kommune und stellt fest, dass ein Erstattungsanspruch nach § 36a SGB II besteht. Die Leistungserbringung im Frauenhaus, einschließlich der Unterbringung und psychosozialen Betreuung, war erforderlich, und die Vereinbarung zwischen dem Jobcenter der zuständigen Kommune und dem Frauenhaus entsprach den gesetzlichen Anforderungen. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen waren hinreichend geregelt, und die Wirtschaftlichkeit konnte durch andere Mittel als eine physische Begehung geprüft werden.
Das Gericht führt grundsätzlich aus, dass ein Zutrittsrecht für Jobcenter-Mitarbeiter zu den Wohnräumen eines Frauenhauses gegen Art. 13 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Wohnung) verstoßen würde. Frauenhäuser sind als besonders schutzbedürftige Räume anerkannt uns das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung umfasst auch den Schutzraum der Frauen und Kinder, die vor häuslicher Gewalt fliehen. Ein Betreten der Wohnräume eines Frauenhauses durch Jobcenter-Mitarbeiter ohne richterlichen Beschluss wäre daher verfassungswidrig.
Etwaige zuvor richterrechtlich entwickelte (LSG NRW, Urteil vom 16.02.2017 - L 7 AS 1299/15) Inhaltsanforderungen an Vereinbarungen nach § 17 Abs. 2 SGB II über ein Betretungsrecht zwischen Jobcenter und Frauenhaus sind nach Auffassung des SG Karlsruhe unbeachtlich, da offensichtlich verfassungswidrig.
Das Gericht betont, dass gerade Frauen, die vor häuslicher Gewalt in einer fremden Umgebung Zuflucht nehmen, besonders schutzbedürftig in Bezug auf Ihr Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG sind. Das Betreten von Wohnräumen durch Personal des Jobcenters zu Inspektionszwecken stellt verfassungsrechtlich eine „Durchsuchung“ im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG dar. Wohnungsdurchsuchungen dürfen verfassungsrechtlich aber grundsätzlich nur aufgrund richterlichen Beschlusses und nur in der vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.
Selbstverständlich dürfte ein Jobcentermitarbeiter daher ohne einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss nicht die Wohnräume eines Frauenhauses betreten.
Das Gericht weist zudem darauf hin, dass § 17 Abs. 2 SGB II keine Ermächtigungsgrundlage darstellt, um den Zutritt zu Wohnräumen in Frauenhäusern zur Qualitätsprüfung zu erzwingen. Eine derart extensive Auslegung der Norm wäre verfassungsrechtlich unhaltbar, da sie gegen das Demokratieprinzip, den Parlamentsvorbehalt und das Bestimmtheitsgebot verstoßen würde.
Das Jobcenter des Herkunftslandkreises wurde zur Erstattung der Kosten in Höhe von 1.753,20 EUR an das Jobcenter der zuständigen Kommune verurteilt.
Entscheidung im Volltext: