Pushbacks – Schutz vor unmenschlicher Behandlung – Verfahrensrechte im Asylverfahren – Freiheitsentziehung – Verstoß gegen Art. 2, 3, 5 und 13 EMRK – Non-Refoulement
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am 07. Januar 2025, dass Griechenland durch die Abschiebung einer türkischen Schutzsuchenden gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoßen hat. Die griechischen Behörden hätten die Beschwerdeführerin rechtswidrig inhaftiert und sie anschließend ohne rechtliche Grundlage und ohne Überprüfung ihres Falls in ihr Herkunftsland abgeschoben.
Die Beschwerdeführerin wurde in der Türkei der mutmaßlichen Zugehörigkeit zu einer als terroristisch eingestuften Organisation beschuldigt. Im Mai 2019 floh sie nach Griechenland, um dort Asyl zu beantragen. Dort wurden sie allerdings unmittelbar von der griechischen Polizei aufgegriffen und in einer Grenzschutzstation festgehalten, ohne dass sie die Möglichkeit hatte, einen Asylantrag zu stellen oder rechtliche Mittel gegen das behördliche Handeln einzulegen. Die Beschwerdeführerin berichtete gemeinsam mit anderen Schutzsuchenden in die Nähe eines Flusses gebracht und dort unter Anwendung von Gewalt auf ein Boot gezwungen worden zu sein, mit dem sie dann in die Türkei zurückgeführt wurde („Pushback“). Dort wurde sie festgenommen und zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Die griechische Regierung bestritt den Sachverhalt vollständig und argumentierte, dass es keine Beweise für die angebliche Festnahme oder Rückführung gebe. Sie stellte in Frage, dass die Beschwerdeführerin überhaupt nach Griechenland eingereist sei. Die Beschwerdeführerin legte hingegen Foto- und Videoaufnahmen vor, die ihre Anwesenheit in Griechenland belegen sollten. Sie argumentierte, dass sie kein rechtmäßiges Asylverfahren erhalten habe und dass ihre Abschiebung gegen das Non-Refoulement-Gebot verstoße. Das Non-Refoulement-Gebot ist ein verbindliches Prinzip des Völkerrechts, das den Staaten verbietet, Personen in ein Land zurückzuweisen, in dem ihnen Folter, unmenschliche Behandlung oder Verfolgung drohen. Es ist in der EMRK verankert und soll den absoluten Schutz vor illegalen Abschiebungen und Pushbacks gewährleisten.
Der EGMR stellte fest, dass Griechenland systematisch Schutzsuchende ohne Registrierung inhaftiert und ohne Zugang zu Rechtsmitteln abgeschoben habe. Die Pushbacks seien einem festen Muster gefolgt: Festnahme ohne Dokumentation, informelle Freiheitsentziehung und gewaltsame Rückführung unter Missachtung des Asylrechts. Obwohl die Beschwerdeführerin nicht alle Details beweisen konnte, wertete der EGMR ihre Angaben als glaubhaft, da sie mit unabhängigen Berichten zu systematischen Pushbacks übereinstimmen und die griechische Regierung die Vorwürfe nicht widerlegen konnte.
Der EGMR stellte mehrere schwerwiegende Verstöße gegen die EMRK fest:
Mit dem Urteil verdeutlicht der EGMR die menschenrechtlichen Grenzen für Abschiebungen von Schutzsuchenden an den europäischen Außengrenzen. Der Gerichtshof unterstreicht die völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Schutzsuchenden, insbesondere das Verbot der Abschiebung ohne Einzelfallprüfung (Non-Refoulement). Er bekräftigt zudem, dass informelle Freiheitsentziehungen und rechtswidrige Abschiebungen als schwerwiegende Verstöße gegen die EMRK gelten. Die Entscheidung sieht zudem eine systematische Verletzung der Rechte schutzsuchender Personen durch Griechenland, was Auswirkungen auf die Beweislast im Verfahren hat. Wenn überzeugende Anhaltspunkte für systematische Pushbacks ohne Prüfung des Asylantrags vorgetragen werden, müssen nicht alle rechtlich relevanten Tatsachen vollumfänglich bewiesen werden. Vorliegend hatte Griechenland bereits bestritten, dass die Beschwerdeführerin überhaupt die griechische Grenze überquert hatte. Die Beschwerdeführerin war nicht in der Lage, objektive Beweise hierfür zu liefern. Ebenso wenig konnte sie ihre Inhaftierung beweisen. Der EGMR befand jedoch ihre detaillierte Schilderung in Kombination mit den vorgetragenen Anhaltspunkten für das Bestehen systematischer und rechtswidriger Pushback-Praktiken als hinreichend plausibel. In diesem Fall hätte Griechenland die Annahme entkräften müssen, dass derartigen und systematischen Pushbacks stattfinden oder beweisen müssen, dass die Beschwerdeführerin nicht hiervon betroffen war. Entscheidend war, dass die Beschwerdeführerin detaillierte und glaubhafte Angaben machen konnte und die von ihr geschilderten Erfahrungen mit u.a. den Berichten über systematische Pushback-Praktiken übereinstimmten.
Entscheidung im Volltext: