Menschenhandel – Arbeitsausbeutung – Zwangslage – Auslandsspezifische Hilflosigkeit– Arbeitszeitgesetz – Veruntreuung von Arbeitsentgelt – Mindestlohn – Arbeitsrecht
Das Landgericht (LG) Hamburg verurteilt zwei Angeklagte wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 17 Fällen sowie des vorsätzlichen Verstoßes gegen das Arbeitszeitgesetz. Die Anklage umfasste ferner den Vorwurf des gemeinschaftlichen schweren Menschenhandels in Form der gewerbsmäßigen ausbeuterischen Beschäftigung, der sich für das Gericht in der Hauptverhandlung nicht ausreichend bestätigen konnte.
Die Angeklagten betrieben als Gesellschafter und Geschäftsführer einer Restaurantkette ein Franchise-Restaurant (GmbH), in dem sie von Februar 2022 bis Juni 2023 u.a. die drei aus Südindien stammenden Nebenkläger als Köche beschäftigten. Entgegen der Vereinbarungen aus dem schriftlichen Arbeitsvertrags – 40 Stunden/Woche, 2.500 EUR brutto – mussten die Nebenkläger knapp 93 Stunden wöchentlich arbeiten, ohne dass ihnen ein freier Tag in der Woche oder gar Urlaub gewährt wurde. Für ihre Arbeit erhielten die Nebenkläger monatlich 1.000 bis 1.200 EUR, was einem Stundenlohn von höchstens 3 EUR entspricht. Zudem wurden die Sozialversicherungsbeiträge für die Nebenkläger nicht in der gebotenen Höhe abgeführt.
Das Gericht bejahte das Vorliegen einer ausbeuterischen Beschäftigung und stellte u.a. wegen Nachforschung hinsichtlich des Menschenhandelsvorwurfes weitere Umstände fest:
Die Nebenkläger nahmen die Beschäftigung teils aus dem Ausland heraus ohne Kenntnis des Ziellandes an. Noch vor der Abreise wurde von mindestens zwei Nebenklägern als Druckmittel und als Sicherheit für die von der GmbH getätigten Auslagen, z.B. für Reisekosten, verlangt, dass diese Blankoschecks und Blankovollmachten unterschreiben, damit sie sich vor Ort keine andere Beschäftigung suchen. Bei der Ankunft in Deutschland wurde organisiert, dass alle Nebenkläger Reisepass, Arbeitsvisum und ein inländisches Konto erhalten, wobei weder die Reisepässe noch die anderen Unterlagen oder EC-Karten diesen überlassen wurden. Lediglich, wenn die Nebenkläger angaben, Geld nach Indien schicken zu wollen, bekamen sie zu diesem Zwecke – dann aber ohne Überwachung – ihren Reisepass kurzweilig ausgehändigt. Zum Schein überwiesen die Angeklagten den im Arbeitsvertrag vereinbarten Nettolohn auf die Konten der Nebenkläger, wovon aber nur ein Teil durch die Angeklagten abgehoben und den Nebenklägern in bar ausgehändigt wurde. Die Nebenkläger teilten sich zusammen mit einem weiteren Angestellten ein Zimmer mit mehreren Matratzen in einer gestellten Unterkunft. Der Kontakt zu Außenstehenden wurde durch die Angeklagten versucht zu unterbinden.
Die Nebenkläger nahmen die Arbeitsbedingungen hin, da sie durch die Beschäftigung ihre Familien in Indien besser finanziell unterstützen konnten und fürchteten, dass sie ansonsten nach Indien zurückgeschickt werden würden.
Das Gericht verneint eine Auslandsspezifische Hilfslosigkeit, da es keine Anhaltspunkte dafür sah, dass die Nebenkläger nicht dazu in der Lage gewesen seien, eine Rückreise zu organisieren und anzutreten. Ihre Englischkenntnisse hätten für jedenfalls einfache Kommunikation genügt und die Barmittel ebenfalls ausgereicht. Daneben bestand keine Überwachung, die für sich oder zusammen mit den weiteren Umständen dazu geführt habe, dass die Nebenkläger sich der ausbeuterischen Beschäftigung nicht aus eigener Kraft hätten entziehen können. Auch die Reisepässe konnten die Nebenkläger – auch wenn unter der Vorgabe anderer Gründe – in einem für eine Ausreise ausreichenden Zeitraum an sich nehmen. Vielmehr wurde eine Rückreise aufgrund ihrer Unerwünschtheit als Druckmittel gegen die Nebenkläger eingesetzt, die somit aufgrund einer autonomen Entscheidung in ihrer Situation verweilten.
Daneben sah das Gericht weder eine wirtschaftliche oder persönliche Zwangslage, noch einen entsprechenden Vorsatz der Angeklagten, eine solche auszunutzen, als gegeben an. Die Situation sei durch keine ernste Bedrängnis der Nebenkläger gekennzeichnet. Eine solche sei zwar gegeben, wenn das Opfer sich in seinem Heimatland in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen befand und die damit verbundene Einschränkung der Möglichkeiten geeignet war, den Widerstand gegen Angriffe auf die Entscheidungsfreiheit herabzusetzen. Dies sei vorliegend nicht gegeben, da die Nebenkläger angaben, dass sie als Alternative zur ausbeuterischen Beschäftigung einen Bankkredit in Indien hätten aufnehmen können. Der zum Ausdruck kommende finanzielle Bedarf sei nach Ansicht des Gerichts noch keine wirtschaftliche Bedrängnis.
Ein Vorsatz zur Ausnutzung einer Zwangslage durch die Angeklagten sei indes nicht feststellbar, da keine Gespräche zwischen Angeklagten und Nebenklägern über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse stattgefunden haben und die Angeklagten vorliegend auch nicht ohne Weiteres mit der Möglichkeit rechnen mussten, dass solche Arbeitsbedingungen stets nur aus einer Zwangslage heraus akzeptiert werden würden.
Die Angeklagten wurden zu Gesamtfreiheitsstrafen von einem Jahr und vier Monaten bzw. einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. Daneben wurden gegen die Angeklagten aufgrund des vorsätzlichen Unterschreitens des gesetzlichen Mindestlohns Geldbußen jeweils in Höhe von 1.500 bis 2.500 EUR für jeden Nebenkläger festgesetzt. Dazu wurde eine Einziehung in Höhe von ca. 200.000 EUR gegen die nebenbeteiligte GmbH angeordnet.
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