Fallbeispiele

Mit dieser Sammlung von Fallbeispielen soll die Situation, mit der sich Betroffene von Menschenhandel und Ausbeutung konfrontiert sehen, geschildert werden. Wie bereits dargestellt, sind die Problemlagen im Bereich Menschenhandel sehr vielschichtig und unterschiedlich gelagert. Ebenso mannigfaltig sind die Schicksale der betroffenen Menschen.

Die Verwendung von Fallbeispielen ist an sich nicht unproblematisch, da die Fachberatungsstellen immer wieder um möglichst sensationelle Geschichten von Betroffenen gebeten werden. Insbesondere seitens der Medien herrscht hier ein großes Interesse.

Gleichwohl ist die Darstellung von Fallbeispielen zur Verdeutlichung der geschilderten Missstände und ihrer Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen sowie zur Veranschaulichung der Komplexität des Themas Menschenhandel und Ausbeutung hilfreich.
Zur Wahrung der Anonymität sind die hier geschilderten Einzelfälle zum Teil leicht verändert.

Die vorliegende Sammlung stellt lediglich eine Auswahl dar.

Fallbeispiele - Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung

Fallbeispiel Frau A:

Frau A. lebte in einem kleinen Dorf in Weißrussland bei ihren Eltern, die beide alkoholabhängig waren. Nach Abschluss der Berufsschule konnte sie in ihrem Heimatdorf keine Arbeit finden. Als die Auseinandersetzungen und das Leben mit ihren Eltern immer unerträglicher und die finanzielle Not immer drückender wurde, bot ihr eine Freundin Arbeit in Polen in einem Restaurant an. Anfängliches Misstrauen der Frau A. räumte die Freundin aus und da sie nichts zu verlieren hatte, entschloss Frau A. sich zur Ausreise.

In Polen angekommen, wurde ihr eröffnet, dass die Arbeit dort schon vergeben sei, es aber weitere Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland gäbe. Die Visumsfrage werde für sie erledigt und sei kein Problem, die Kosten hierfür, könne sie später von ihrem Lohn bezahlen. Frau A. willigte ein. In Deutschland angekommen, wurde sie zwei Landsmännern übergeben, die ihr den Pass abnahmen und offenbarten, dass sie die in sie investierten Kosten als Prostituierte abzuarbeiten habe. Falls sie sich weigere, wurde ihr Gewalt angedroht. Zu fliehen habe keinen Sinn, da ihre Heimatadresse  bekannt sei und man sie finde. An die Polizei brauche sie sich schon gar nicht zu wenden, da sie als Illegale sowieso gleich abgeschoben würde.

Trotzdem versuchte Frau A. sich zu widersetzen. Durch mehrfache Vergewaltigungen wurde ihr Widerstand gebrochen und sie arbeite in den folgenden Monaten in verschiedenen Bordellen, in die sie geschickt wurde. Mit Hilfe eines Freiers gelang ihr eines Tages die Flucht. Da sie aber nicht wusste, an wen sie sich wenden sollte und wie sie das nötige Geld für die Heimreise zusammen bekommen sollte, suchte sie eine Freundin in einer Bar auf, in der sie früher gearbeitet hatte. Hier wollte sie das Geld für die Heimreise erarbeiten. In der Bar sah sie jedoch einer ihrer früheren Zuhälter, der sofort den Mann informierte, dem Frau A. entkommen war.

Dieser holte sie aus der Bar und es folgte eine grausame Strafaktion. Über mehrere Tage wurde sie in einer Wohnung gefangen gehalten und von verschiedenen Männern vielfach vergewaltigt. Danach  wurde sie wieder ins Bordell gebracht und musste weiter arbeiten. Frau A. sah nun keine Hoffnung für ein Entkommen mehr, zu groß war ihre Angst vor dem Zuhälter.

Eines Tages fand in dem Bordell eine Razzia statt. Da Frau A. keine Papiere hatte, wurde sie mitgenommen. Aufgrund der Drohungen des Zuhälters hatte Frau A. Angst vor der Polizei und erzählte eine falsche Geschichte. Sie wurde in Abschiebehaft gebracht. Da sie keine Papiere hatte, konnte sie nicht gleich abgeschoben werden. So lernte sie Frau M. kennen, die Sozialarbeiterin einer Beratungsstelle für Opfer von Frauenhandel, die wöchentlich zu Gesprächen mit den Frauen in die Haftanstalt kam. Frau A. fasste nach und nach Vertrauen zu Frau M..

Nach einigen Wochen erzählte sie ihr ihre Geschichte. Frau M. sprach mit ihr über die Möglichkeiten, die es in dem Bundesland für Menschenhandelsopfer gab (Duldung für Zeuginnen oder freiwillige Ausreise). Doch Frau A. hatte immer noch große Angst, bei der Polizei auszusagen. Dies wäre aber die Voraussetzung für ihre Entlassung aus der Haft gewesen.

Frau A. war zu diesem Zeitpunkt stark traumatisiert und ihrem Schicksal gegenüber völlig gleichgültig. Sie war sehr depressiv und zugleich aggressiv. Sie hatte Angstzustände und versuchte sich umzubringen. Erst als sie eines Tages von ihrem Freund bei einem Besuch erfuhr, dass dieser von ihrem Zuhälter bedroht wurde, und er ihr riet, sich der Polizei anzuvertrauen, bat sie Frau M., den Kontakt zur Polizei herzustellen.

Es folgten zahlreiche Vernehmungen in der Justizvollzugsanstalt. Obwohl schnell klar war, dass die Polizei ihr glaubte und sie als Opfer von Menschenhandel einstufte, wurde sie erst nach Tagen aus der Haft entlassen. Nach der Entlassung aus der Abschiebehaft wurde Frau A. von Frau M. in einer Unterkunft für Frauen untergebracht.

Frau A. bekam dort ein Zimmer zusammen mit zwei anderen Frauen und deren Kindern. Die nötige Ruhe, um das Erlebte ansatzweise zu verarbeiten, konnte sie in dieser Umgebung nicht finden. Da sie kein Deutsch sprach, konnte sie keinen Kontakt zu den anderen Bewohnerinnen aufbauen. Sie hätte aber ihre Geschichte ohnehin nicht erzählt, da sie befürchtete, sonst als Prostituierte stigmatisiert und ausgegrenzt zu werden. Ihre einzige Ansprechpartnerin, der sie sich in ihrer Muttersprache anvertrauen konnte, war Frau M..

Ihre psychische Situation verschlechterte sich zunehmend. Sie litt an psychosomatischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und massiven Kreislaufstörungen. Die Hektik in ihrer Unterkunft setzte ihr immer mehr zu. Dem zu entgehen war ihr nicht möglich, da sie sich mit  ihren geringen finanziellen Mitteln keine Alternativen leisten konnte. Ohne Ablenkungsmöglichkeiten verbrachte sie die meiste Zeit in ihrem Zimmer. Die Vergangenheit holte sie immer wieder ein, Erinnerungen setzten ihr zu, nachts wurde sie von Alpträumen geplagt.

Die Finanzierung einer Psychotherapie wurde vom Sozialamt abgelehnt, da kein akuter Notfall angenommen wurde.

Mit Heranrücken des Prozesses verstärkten sich die Symptome. Die Vorstellung ihren Peinigern im Gerichtssaal zu begegnen, versetzte Frau A. in Angstzustände. Auch die Ungewissheit, was nach der Verhandlung aus ihr würde, setzte ihr zu. Sie wusste, dass bei ihren Eltern bereits nach ihr gefragt worden war...

Nach 9 Monaten Aufenthalt in Deutschland bekam Frau A. die Ladung zu Gericht. Im Vorfeld litt sie unter Schlaflosigkeit und war am Ende ihrer Kraft. Sie hatte bereits in zwei Prozessen gegen andere Täter ausgesagt, der bevorstehende Prozess betraf nun den schlimmsten Teil ihrer Geschichte, die Vergewaltigungen. Vor den zwei Tätern hatte sie große Angst.

Von ihrem Unterbringungs- bis zum Gerichtsort waren es zwei Stunden Fahrt. Frau A. hatte seit Nächten nicht geschlafen. Im Gericht angekommen wollte sie ihre Aussage so schnell wie möglich hinter sich bringen. Zunächst wurden jedoch die Anklagen verlesen, die Angeklagten gehört, so dass die Zeugin in ein Zeugenzimmer gebracht wurde. Dort wartete sie bis nachmittags, bis ihr mitgeteilt wurde, dass ihre Vernehmung auf den nächsten Tag verschoben wird.

Auch am nächsten Tag wurden erst andere Zeugen vernommen, so dass sie erneut bis nachmittags warten mußte. In dieser Zeit steigerte sich ihre Angst in eine Panik. Als sie in den Gerichtssaal gerufen wurde, war sie völlig zermürbt. Die Verteidiger setzten alles daran, sie weiter zu verunsichern, da sie die einzige Belastungszeugin war. In Anwesenheit der Zeugin kam es zu heftigen Wortgefechten zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Der vorsitzende Richter war mit der Situation offensichtlich überfordert und nicht in der Lage eine ruhige Prozessatmosphäre herzustellen. Es war offensichtlich, wie schwer es Frau A. fiel, das Erlebte zu schildern, überhaupt die Erinnerung daran zuzulassen. Es gab Unsicherheiten in ihrer Aussage bezüglich des Tatzeitpunktes. Die von Frau A. hierfür gelieferten Erklärungsansätze wurden ihr nicht geglaubt. So hatte sie einen Umstand zunächst nicht erzählt, da er nach den Gepflogenheiten in ihrem Heimatland ehrenrührig ist und ihr dies peinlich war. Als sie dies dem Gericht erklärte, sagte der Richter, er könne nicht glauben, dass es in ihrem Heimatland so sei. Die Vernehmung geriet  immer stärker in den Tonfall einer Beschuldigtenvernehmung. Frau A. verschloss sich mehr und mehr und war kaum noch in der Lage, die Fragen zu beantworten. Ihre Vernehmung erstreckte sich über mehrere Verhandlungstage. Am Ende wurde Frau A. für unglaubwürdig erklärt, die Täter freigesprochen. Frau A. war erschüttert und hatte panische Angst den Tätern in ihrer Heimat wieder zu begegnen.

Ihre Revision wurde abgelehnt.

Nach dem Freispruch der Angeklagten baute Frau A. psychisch immer mehr ab. Das Verfahren war über Monate Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens und ihrer Hoffnung auf Gerechtigkeit gewesen. Durch ihre Aussage hatte sie sich einer großen psychischen Belastung und einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt. Zu erleben, dass ihr nicht geglaubt wurde und die staatlichen Stellen nach Abschluss des Verfahrens keinerlei Interesse an ihrem weiteren Schicksal mehr hatten, machte sie fassungslos. Als auch ihre Revision abgelehnt wurde, verlor sie jede Hoffnung und Perspektive. Sie fühlte sich fallen gelassen und missbraucht. Sie wurde zunehmend aggressiv gegen sich und ihre Umwelt und sprach immer mehr dem Alkohol zu. Obwohl klar war, dass Personen aus dem Täterkreis in ihrem Heimatort lebten, konnte für Frau A. keine Aufenthaltsverlängerung erreicht werden.

Mangels Kontakten und finanziellen Möglichkeiten, konnte sie auch nicht auf eine andere Stadt in ihrer Heimat ausweichen. In der Nähe ihres Heimatortes gab es kein Frauenprojekt, das sie hätte auffangen können. Nach ihrer Ausreise brach der Kontakt zu der Beratungsstelle in Deutschland ab. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt.

 

Fallbeispiel Lisha:
 

Ein junges afrikanisches Mädchen, Lisha, lernte bei einer Feier in ihrem Heimatland eine ältere Frau kennen, die Lisha zunächst für ihre handwerklichen Fähigkeiten bewunderte. Später schlug sie ihr vor, nach Deutschland zu gehen. Dort verdiene sie mit ihrer Arbeit viel mehr Geld. Die Reisekosten könne sie nach und nach zurückzahlen.

Lisha sah ihre große Chance. Ihren Verwandten, die sie nach dem gewaltsamen Tod ihrer Eltern aufgenommen hatten, fiel sie zunehmend zur Last. Vor der Abreise brachte die Frau Lisha zu einem Voodoo-Meister. Dort musste sie schwören, die 30.000 Euro Reisekosten so schnell wie möglich zurückzuzahlen. Da Voodoo Alltag in ihrer Heimat ist, war Lisha darüber nur wenig verwundert.

In Deutschland angelangt, verlangte man von Lisha, in einem Bordell zu arbeiten. Sie musste einen hohen Tagesumsatz schaffen. Tat sie das nicht, wurde sie bedroht, geschlagen und vergewaltigt. Einmal lief sie mit einem Freier weg, woraufhin die Täter Lishas Familie in Afrika bedrohten. Einem Onkel brachen sie, sozusagen als Warnung, die Arme der Voodoo-Puppe. Die Familie bat Lisha am Telefon inständig, weiter zu arbeiten, damit sie in Afrika nicht weiterhin in Angst und Schrecken leben müsste. Lisha kehrte daraufhin ins Bordell zurück. Als es für sie immer unerträglicher wurde, ergriff sie trotz ihrer eigenen Todesangst und der Angst um ihre Familie nach einigen Monaten die Flucht. Ein Freier half ihr dabei und ging mit ihr direkt zur Polizei. Dort sagte sie gegen die Täter aus und JADWIGA wurde eingeschaltet.

Die Fachberatungsstelle konnte Lisha durch folgende Angebote unterstützen:

-          JADWIGA besorgte eine sichere Unterkunft in einer Schutzwohnung;

-          begleitete Lisha oft zum Arzt, da die Zeit in den Bordellen körperliche Spuren bei ihr hinterlassen
           hatte;

-          JADWIGA koordinierte die Hilfen mit Ämtern und Behörden;

-          begleitete Lisha zur Polizei und zum Gericht;

-          vermittelte sie in einen Deutschkurs;

-          gab Unterstützung bei der Arbeitssuche;

-          leistete kontinuierlich psycho-soziale Unterstützung durch regelmäßige Treffen.

 

Fallbeispiele - Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung

Arbeitsausbeutung im Privathaushalt

Alina ist alleinstehend und lebt in Rumänien in ärmlichsten Verhältnissen. Die 53- jährige Analphabetin verdient sich ein wenig Geld mit Näharbeiten in Klöstern.  In der Hoffnung, ihre Lage zu verbessern, lässt sie sich über Bekannte als Haushälterin in einen Privathaushalt nach Deutschland vermitteln. Dort muss sie sieben Wochen lang von 6 Uhr früh bis ein Uhr nachts arbeiten. Sie putzt, kocht, bügelt und kümmert sich um die Kinder. Sie hat keinen einzigen freien Tag und bekommt keinen Lohn für ihre Arbeit ausgezahlt. Als ihr dann auch noch physische Gewalt angedroht wird, läuft sie nach sieben Wochen schließlich weg.
Sie verbringt zwei Nächte auf der Straße. Dann landet sie bei der Bahnhofsmission. Durch die Vermittlung der Polizei kommt die stark verängstigte und übermüdete Frau zu einer Fachberatungsstelle (FBS) für Betroffene von Menschenhandel. Sie fürchtet sich sehr vor den Vermittlern, die sie nach Deutschland gebracht haben, empfindet aber auch großes Misstrauen gegenüber der Polizei und jeglichen staatlichen Stellen. In diesem Fall ist die Beraterin der FBS eine erste vertrauenswürdige, muttersprachliche Gesprächspartnerin. Es gelingt, Alina in mehreren Beratungsgesprächen zu stabilisieren. Die Mitarbeiterin der FBS informiert sie über Möglichkeiten und Folgen einer Aussage bei der Polizei und organisiert eine Unterbringung. Trotz der Ermutigungen durch die Beraterin, Informationen an die Polizei weiterzugeben, gelingt es nicht, Alinas Ängste und Vorbehalte aufzulösen. So bleibt der FBS am Ende nur, mit Hilfe der Polizei, die für Alinas Sicherheit gesorgt hat, bei der Organisation der Rückfahrt zu helfen und durch eine kleine finanzielle Unterstützung sicherzustellen, dass Alina nicht ganz mittellos in Rumänien ankommt.

(FIM – Frauenrecht ist Menschenrecht e.V., Frankfurt a. Main)

 

Ausbeutung als billige Arbeitskraft - Notlage gezielt ausgenutzt
 

In einem Fall wurden 5 Männer einer Gruppe von über 20 jungen Männern aus Afghanistan unterstützt, deren Arbeitskraft unter besonders üblen Bedingungen ausgebeutet wurde. Sie  waren in Italien bzw. Un­garn als Flüchtlinge an­er­kannt worden, lebten dort aber obdachlos unter extrem prekären Bedingungen. Diese Situation nutzten die beiden Täter gezielt aus. Sie warben die Männer in Italien und Ungarn an, indem sie ihnen Arbeit in Deutschland versprachen.Die angeworbenen Männer sortierten in Deutschland in einer Lagerhalle Prospekte in Zeitungen ein und verteilten die Zeitungen anschließend in der Umge­bung. Versprochen wurde den Männern ein Tageslohn von 30-35 EUR. Dafür mussten sie an manchen Tagen in Zwölf-Stunden-Schichten und mehr arbeiten. Die meisten Männer wohnten auch in der sehr dreckigen, verschimmelten Lagerhalle; bis zu 22 Per­so­nen waren auf drei Räume verteilt. Sie schliefen auf Pappkartons auf dem Boden oder auf Matratzen vom Sperrmüll. Für diese Unterbringung mussten die Männer 100 bis 150 EUR im Monat bezahlen. Die Verpflegung bestand aus einer minderwertigen Mahlzeit am Tag. Der versprochene Lohn wurde ihnen oft nur auf mehrfache Nachfrage oder auch gar nicht ausgezahlt. Wenn die Männer das versprochene Geld einforderten, kam es auch vor, dass sie geschlagen wurden. Die katastrophalen Zustände, unter denen auch anerkannte Asylbewerber in Italien und Ungarn leben, machte es den Tätern leicht, diese Menschen auszubeuten, die in ihrer Not auf jedes Arbeitsangebot eingingen. Bei einer Polizeikontrolle wurden die Männer verhaftet und fünf Männer erklärten sich zu einer Aussage bereit.

Im Einzelnen hat die FBS folgende Hilfestellungen geleistet:

·         Sicherstellung der Alimentierung nach § 25 Abs. 4b AufenthG für Opfer von Menschenhandel.

·         Vermittlung von geeigneten Nebenklagevertreter*innen

·         Unterstützung und Begleitung bei der Alltagsbewältigung (Kontoeröffnung, Arzt­besuche, Umgang mit
          Be­hör­den, Hilfe bei der Erteilung von Arbeits­er­laub­nissen)

·         Unterstützung bei der Arbeitssuche

·         Vermittlung von Deutschkursen

·         Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft

·         umfassende Beratung zur Situation der Betroffenen, rechtlichen Möglichkeiten und  Entschädigung

(FIM – Frauenrecht ist Menschenrecht e.V. , Frankfurt am Main)

 

Fallbeispiele - Ausbeutung von Bettelei

Fallbeispiel 1:

Mihai und seine Frau und zwei Kinder lebten in ärmlichen Verhältnissen in Rumänien. Mihai hatte von den Großeltern etwas Deutsch gelernt und versuchte in Deutschland Arbeit zu finden. Bei Internetrecherchen stieß er auf ein Jobangebot, in dem Hilfskräfte in Dortmund gesucht wurden.

Das Angebot hörte sich lukrativ an und Mihai nahm Kontakt auf. Er und ein Freund machten sich kurze Zeit später mit dem Bus auf die Reise nach Dortmund. Am Busbahnhof wurden sie abgeholt, in eine Wohnung gebracht und dort festgehalten. Man wollte sie zu Diebstählen und Einbrüchen zwingen. Nachdem sie das ablehnten, wurden sie massiv verprügelt. Hämatome und Platzwunden im Gesicht waren deutlich zu sehen. Die Täter nahmen ihnen ihr Hab und Gut ab; die Ausweise konnten die beiden verstecken. Nach einigen Tagen gelang es Mihai und seinem Freund zu fliehen und sie wandten sich an die Polizei in Duisburg. Diese stellte den Kontakt zu der Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel, Dortmunder Mitternachtsmission, her. Mihai wurde weiter in Dortmund vernommen; die Kosten für die Unterbringung wurden von der Polizei übernommen. Sein Freund wurde an eine Beratungsstelle in Düsseldorf vermittelt.

Mihai konnte sowohl die Tatwohnung als auch einen Täter identifizieren. Er wollte aber so schnell wie möglich zu seiner Familie zurückkehren und auf keinen Fall bis zum Prozess bleiben. Er versicherte, wenn es zum Prozess gegen die Täter kommen sollte, wieder nach Dortmund zu kommen und gegen die Täter vor Gericht auszusagen.

Die FBS organisierte mit Hilfe des „Weißen Rings“ die Ausreise. Mihai war sehr froh, als Mitarbeiterinnen der Dortmunder Mitternachtsmission ihn zum Busbahnhof brachten und er wieder nach Hause zurückkehren konnte.

Ein Prozess hat nicht stattgefunden. Das Verfahren wurde eingestellt.

(Dortmunder Mitternachtsmission)

 

Fallbeispiel 2:

Ein etwa 15-jähriges Mädchen aus Rumänien saß den ganzen Tag über in der Sommerhitze an einer Straße auf dem Boden und bettelte. Es wirkte traurig und hatte den Kopf gesenkt. Mehrmals versuchte eine Kollegin von JADWIGA, das Mädchen anzusprechen und ihm Hilfe anzubieten. Doch in der Nähe waren Personen, die es nicht aus den Augen ließen, angaben, sie seien Verwandte, und ein Gespräch mit dem Mädchen verhinderten. Die Mitarbeiterin bekam den Eindruck, dass das Mädchen nicht freiwillig dort saß. Wenig später trafen wir es erneut an anderer Stelle. In Kooperation mit dem Stadtjugendamt, dem Konsulat und der Regierungsagentur für Kinderschutz im Heimatland wurde nach einer Lösung gesucht. Das Mädchen nahm das Angebot, nach Hause zurückzukehren, an, um dort die Schule weiter zu besuchen.

(Jadwiga München)

Fallbeispiele - Ausnutzung strafbarer Handlungen

Fallbeispiel 1:

Eine Betrügerbande arbeitet europaweit in verschiedenen Großstädten und zwingt Frauen mit gefälschten EC-Karten in teuren Geschäften ganz bestimmte Produkte wie Rolex Uhren, Chanel Taschen u.ä. einzukaufen. Von den Tätern werden sie aus sichtbarer Entfernung überwacht. Li aus Malaysia, deren Familie Schulden hatte und bedroht wurde, war eine der Frauen, die zu dieser Straftat gezwungen wurde. Während des Einkaufs mit der falschen EC-Karte wurde sie verhaftet und wegen bandenmäßigen Betrugs zu vier Jahren Haft verurteilt. Mit der Unterstützung einer Rechtsanwältin versuchte die Fachberatungsstelle JADWIGA eine Revision zu beantragen, einen Antrag auf Strafmilderung sowie auf eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung zu stellen. Alle diese Bemühungen Lis Situation zu verbessern, hatten keinen Erfolg. Es konnte lediglich Lis psychische Verfassung gestärkt und vor der Abschiebung Hilfe für Li und ihre Familie in ihrem Herkunftsland organisiert werden.

(Jadiwga München)

 

Fallbeispiel 2:

Die junge Tschechin Mirka, die in ihrer Entwicklung deutlich verzögert ist, wurde von einem Bekannten nach Deutschland gebracht. Er zwang sie, in einem großen Supermarkt große Mengen an Waren zu stehlen, die er anschließend verkaufen wollte. Er selbst lud den Einkaufswagen mit teuren Produkten voll und wies Mirka an, den Wagen ohne zu bezahlen nach draußen zu schieben. Mirka wurde gefasst und als Täterin verurteilt, während der wahre Täter nicht belangt wurde. Nach der Anrechnung der U-Haft bekam sie eine Bewährungsstrafe. Mithilfe der Fachberatungsstelle JADWIGA, die über den Sozialdienst der Haft kontaktiert wurde, konnte sie später in ihr Heimatland zurückkehren und eine Beratungsstelle vor Ort betreute sie weiter.

(Jadwiga München)

 

Fallbeispiele - Menschenhandel in die Ehe

Fallbeispiel 1:

Frau T., Philipinin, wurde über ein Heiratsinstitut per Touristenvisum nach Deutschland geholt. Offiziell besuchte sie hier ihre Cousine. Bei ihrer Ankunft wurden ihr Pass und Rückflugticket abgenommen und sie wurde einem deutschen Mann „vorgestellt“. Sie geriet dabei an einen Landwirt, der schon einmal angeklagt war, seine eigene Mutter vergewaltigt zu haben. Die Frau wurde von der Polizei in eine Frauenhaus gebracht, nachdem sie knapp ein Jahr verheiratet war. Die Nachbarn konnten nicht mehr mit ansehen, wie sie behandelt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war sie hochschwanger und mußte alle Arbeiten, auch Feldarbeiten in der Landwirtschaft, verrichten. Außerdem wurde sie von ihrem Mann geschlagen. Sie konnte kein deutsch und nur wenig englisch. Nach kurzer Zeit im Frauenhaus kehrte sie zu ihrem Mann zurück. Wenig später war sie wieder im Frauenhaus, diesmal auf Vermittlung des Krankenhauses, in dem sie gerade ihr Kind bekommen hatte. Erst jetzt erzählte sie den Beraterinnen, daß sie deshalb zu ihrem Mann zurückkehrte, weil sie Angst hätte, ohne ihr Kind ins Heimatland zurückgeschickt zu werden. Ihre Schwiegermutter hatte ihr gesagt, daß sie keinerlei Rechte habe, wenn sie nicht mindestens drei Jahre bei ihrem Mann bleibe.

Fallbeispiel 2:

 

Frau G. lernt Herrn S. während eines Urlaubs kennen. Nach seiner Abreise stehen sie über längere Zeit in Briefkontakt. Irgendwann macht Herr S. Frau G. einen Heiratsantrag. Die Ehe wird mit Zustimmung von Frau S. geschlossen. Frau G. gibt ihr kleines Lebensmittelgeschäft auf, nimmt alle Habseligkeiten mit und reist mit Herrn S. nach Deutschland ein. In Deutschland erfährt Frau G. zum ersten Mal, dass Herr S. für die legale Einreise und die Eheschließung nach Deutschland Kosten in Höhe von 7.000 € bezahlt hat. Er legt ihr ein gefälschtes Dokument vor. Herr S. hat einen Bauernhof und setzt Frau G. in Kenntnis, dass er wegen des Kredits vorübergehend sein Personal entlassen müsse. Frau G. arbeitet rund um die Uhr auf dem Bauernhof und hat keinen Kontakt zur Außenwelt. Trotz ihres sich verschlechternden Gesundheitszustandes verlangt Herr S. regelmäßig sexuellen Kontakt von ihr. Einem Arzt wird sie nicht vorgestellt. Jedesmal, wenn sie sich traut, sich zu beschweren, wird er aggressiv und droht ihr, die Ehe aufzulösen, sie zurückzuschicken und ihre Familie für die entstandenen Kosten in Anspruch zu nehmen. Diese Vorstellung allein ist für Frau G. ein Albtraum und so fügt sie sich. Nach einem Jahr und neun Monaten meint Herr G., er hätte nun genug von ihr. Er gibt der Ausländerbehörde bekannt, dass die Ehe nicht fortbesteht. Frau G. muss ausreisen. Sie steht vor dem Nichts. Herr S. reist ein viertel Jahr später wieder in den Urlaub und bahnt neue Kontakte an.

 

Fallbeispiele - Menschenhandel mit Minderjährigen/Kinderhandel

Verschiedene Fallbeispiele kurz dargetstellt:

Blassing aus Nigeria ist als 12-jähriges Kind nach Europa gebracht worden. Der Täter versprach ihr in Europa einen Schulbesuch und eine Ausbildung. Blassing wurde vor ihrer Ausreise aus Nigeria einem Voodoo-Bann unterzogen. In Europa wurde sie vergewaltigt und in die Prostitution gedrängt.

 

Marco, der in einer deutschen Großstadt aufgewachsen ist, kam mit anderen 8-13-jährigen Jungen in Kontakt zu einem Pädosexuellen, der sie zunächst zum Spielen in seine Wohnung eingeladen hatte. Nach kurzer Zeit kam es zu sexuellen Übergriffen und später zur Vermittlung der Jungen an andere Pädosexuelle. Marco erduldete dies, weil der Mann ihm drohte, ansonsten seiner Familie und Freunden zu erzählen, dass Marco schwul sei.

 

Hiwot stammt aus Äthiopien und war 15 Jahre alt, als sie von der deutschen Polizei aufgegriffen wurde, weil sie sich verirrt hatte. Sie musste den behinderten Sohn einer Familie aus Kuwait pflegen und ihn sexuell befriedigen und kam mit der Familie zur medizinischen Behandlung des Sohnes nach Deutschland. Sie war an die Familie „vermittelt“ worden.

 

Kim, zwei Jahre alt, wurde von der Mutter an einen Mann gegen Geld übergeben, damit er „Aufnahmen“ vom Kind machen konnte.

 

Eine Frau bettelte regelmäßig in Kaufhäusern in verschiedenen deutschen Städten. Sie fiel auf, weil sie immer wieder andere ein- bis zweijährige Kinder bei sich hatte. Wer die Kinder waren, wurde nicht geklärt.

 

Der 16-jährige Marokkaner Youssef, der als Flüchtling über Spanien nach Deutschland kam, wurde wegen Diebstahls und Drogenhandel zu einer Jugendstrafe verurteilt. Das zuständige Jugendamt vermutete, dass kriminelle Hintermänner den Jungen gezielt als Drogenkurier und Räuber eingesetzt hatten.

(Fallbeispiele aus "Menschenhandel in Deutschland- eine Bestandsaufnahme aus Sicht der Praxis", KOK 2015, S. 125)