AG München, Urteil vom 10.11.2008
Aktenzeichen 1115 OWI 298 Js 43552/07

Stichpunkte

Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Vermittler ungarischer Arbeitskräfte als Haushaltshilfe und in die Altenpflege wegen Beteiligung an rechtswidriger Beschäftigung; umfangreiche Ausführungen zum Ablauf der Vermittlungsorganisation, zur Scheinselbstständigkeit, zum europarechtlichen Arbeitnehmerbegriff; Gericht stellt ordnungswidriges Handeln der Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen fest, nicht jedoch der ungarischen Hilfskräfte, die als Ausländer Zusicherung der Rechtmäßigkeit des Vermittlers vertrauen durften.

Zusammenfassung

Das Amtsgericht München (AG) verurteilt einen Rechtsanwalt wegen Beteiligung an der Beschäftigung von Ausländern ohne die nach § 284 Absatz 1 Drittes Sozialgesetzbuch erforderliche Genehmigung zu einer Geldbuße von rund 40.000 Euro.
Der in München ansässige Anwalt vereinbarte mit einem ungarischen Firmeninhaber die Zusammenarbeit bei der Vermittlung von Pflegekräften und Haushaltshilfen von Ungarn nach Deutschland. Um die Sozialabgaben einzusparen, sollten die Arbeitskräfte als Selbstständige auftreten. Der ungarische Partner übernahm die Anwerbung und Verteilung der Hilfskräfte auf die deutschen Haushalte. Pro Vermittlung erhielt er 150,- Euro von den Arbeitgebern. Der Anwalt erhielt in der Regel 1.200,- Euro von den ungarischen Arbeitskräften für die Erledigung der erforderlichen Formalitäten in Bezug auf Aufenthaltsgenehmigungen, Steuerangelegenheiten, Anmeldungen und Ähnliches. Hierfür ließ er sich diverse Vollmachten sowie eine Honorarvereinbarung unterzeichnen. Er versicherte ihnen, sowie über den ungarischen Vermittler den Arbeitgebern, dass alles legal sei.

Das Gericht macht detaillierte Angaben zur Vorgehensweise. Die Angeklagten vermittelten 26 Arbeitskräfte in deutsche Haushalte. Die Arbeitskräfte wohnten in den jeweiligen Haushalten ihrer Arbeitgeber und hatten freie Unterkunft und Verpflegung. Sie verrichteten in der Regel hauswirtschaftliche oder altenpflegerische Tätigkeiten. Die Arbeitszeiten variierten. Einige Arbeitskräfte arbeiteten 8 bis 12 Stunden täglich, andere mehr. Nach vier Wochen fand ein Wechsel statt und sie reisten nach Ungarn zurück. Der ungarische Partner organisierte die Rückreise. Die Arbeitskräfte meldeten die Dauer ihrer Tätigkeit an den Anwalt, der dann in ihrem Namen die Rechnung an die Arbeitgeber stellte. Das Gehalt lag durchschnittlich bei 1.200,- Euro für einen Monat.

Eine Einweisung in die Arbeit fand zu Beginn durch die für den Haushalt Verantwortlichen statt, danach wussten die Kräfte was zu tun ist. Teilweise gab es Rahmenpflegeverträge zwischen Hilfskraft und Arbeitgeber. In diesen stand, dass die Leistung selbstständig erbracht, Arbeitszeit und -ort selbst bestimmt wird. Dies traf jedoch nicht zu.
Das Gericht verhörte zahlreiche Zeugen und Zeuginnen sowohl auf Seiten der Arbeitskräfte als auch der Arbeitgeberhaushalte.

Das Gericht erläutert die Beteiligung des Rechtsanwaltes an den Verstößen der Arbeitgeber gegen § 404 Absatz 2 Nummer 3 Drittes Sozialgesetzbuch, der Beschäftigung eines Ausländers oder einer Ausländerin ohne die erforderliche Genehmigung. Es macht umfangreiche Ausführungen zur Abgrenzung der selbstständigen von der unselbstständigen Tätigkeit. Zugrunde zu legen sei der Begriff des Arbeitnehmers nicht nach nationalem sondern nach europäischem Recht. Maßstab sei insbesondere die Weisungsgebundenheit und der Grad der Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers und nicht die Bezeichnung durch die Beteiligten.
Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass alle Hilfskräfte in den Arbeitgeberhaushalt eingegliedert waren. Es bestand auch eine Weisungsgebundenheit, selbst wenn nur zu Beginn der Tätigkeit eine einmalige Einweisung erfolgte. Somit lagen unselbstständige, genehmigungspflichtige Tätigkeiten vor. Den Arbeitgebern sei dies als deutschen Staatsangehörigen auch bewusst gewesen. Sie hätten nicht einfach auf die, zumal nur durch den ungarischen Partner vermittelte, Zusicherung des Anwalts, alles sei legal, vertrauen dürfen. Nach Ansicht des Gerichtes hätten sie sich dennoch bei den zuständigen Behörden über die Legalität informieren müssen. Dies taten sie jedoch nicht sondern ließen sich, um Kosten zu sparen, auf dieses Modell ein. Dadurch begingen sie eine Ordnungswidrigkeit. Zu dieser leistete der Anwalt Hilfe, indem er die Rahmenverträge entwarf, Formalitäten erledigte und die Rechnungen erstellte.
Bezogen auf die ungarischen Hilfskräfte stellt das Gericht fest, dass diese sich als Ausländer auf die Aussage eines deutschen Rechtsanwaltes verlassen durften und somit selbst keine Ordnungswidrigkeit begingen.

Entscheidung im Volltext:

AG_München_10_11_2008 (PDF, 2,3 MB, nicht barrierefrei)