Bundesverfassungsgericht, Entscheidung vom 15.1.2015
Aktenzeichen 2 BvR 2055/14

Stichpunkte

Entscheidung über Verfassungsbeschwerde zu Umfang und Bedeutung der Mitteilungspflicht bei Verständigungen im Strafverfahren; Mitteilungspflicht dient der Kontrolle durch die Öffentlichkeit und dem Schutz der Verfahrensbeteiligten vor `Geheimjustiz´; Richter oder Richterin muss auch bei erfolglosen Verständigungsgesprächen über wesentlichen Inhalt in der Hauptverhandlung berichten; umfassende Ausführungen zu den Transparenzvorschriften des Verständigungsgesetzes sowie dem strafprozessualen Öffentlichkeitsgrundsatz

Zusammenfassung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gibt der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers statt und hebt eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) auf. Der Beschwerdeführer war vom Landgericht strafrechtlich verurteilt worden. In dem Strafverfahren hatten Verständigungsgespräche zwischen den Richtern, dem Staatsanwalt und der Strafverteidigung stattgefunden. Diese verliefen jedoch ergebnislos, da der Beschuldigte kein Geständnis ablegen wollte. Der vorsitzende Richter teilte in der Hauptverhandlung zwar mit, dass es erfolglose Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben hatte, den wesentlichen Inhalt der Gespräche erwähnte er jedoch nicht. Der Angeklagte legte daraufhin wegen Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Absatz 4 Strafprozessordnung (StPO) Revision beim BGH ein. Der BGH sah zwar einen Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des Richters gegeben, lehnte die Revision gleichwohl ab. Da der Angeklagte von vorneherein deutlich gemacht habe, kein Geständnis ablegen zu wollen, beruhe das Urteil nicht auf diesem Verstoß. Das BVerfG sieht das anders. Der BGH verkenne die Bedeutung der Mitteilungspflicht des § 243 StPO und der Transparenzpflichten des Verständigungsgesetzes. Die Pflicht des oder der Vorsitzenden, den wesentlichen Inhalt von Verständigungsgesprächen mitzuteilen, diene nicht nur der Information des oder der Angeklagten, sondern auch der Öffentlichkeit. Die sich hierdurch ergebende Kontrollmöglichkeit der Öffentlichkeit fungiere zum Schutz des oder der Angeklagten und anderer Verfahrensbeteiligter vor einer im Verborgenen handelnden `Geheimjustiz´. Es komme vorliegend also nicht allein auf eine mögliche Einwirkung auf das Aussageverhalten des Angeklagten an. Das Bundesverfassungsgericht hob daher den BGH-Beschluss auf und verwies das Verfahren zur erneuten Entscheidung zurück. Ausführlich zu den Transparenz- und Dokumentationspflichten bei Verständigungen im Strafprozess siehe auch die Entscheidung des BVerfG vom 19.03.2013.

bverfg_15_01_2015 (PDF, 50 KB, nicht barrierefrei)