AG Bernau, Urteil vom 11.10.2010
Aktenzeichen 4 Ls 8/09

Stichpunkte

Bemerkenswerte Entscheidung im Strafverfahren wegen Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft; Pensionsbetreiber lässt Deutschen über ein Jahr lang wie `Haussklaven´ für sich arbeiten; Ausführungen zum Merkmal der `Ausnutzung einer Zwangslage´ bei wirtschaftlicher oder persönlicher Notlage; umfassende Erläuterungen zur Beweiswürdigung; Darstellung der psychischen und physischen Tatfolgen; 10.000 Euro Schmerzensgeld im Adhäsionsverfahren.

Zusammenfassung

Das Amtsgericht (AG) verurteilt den Angeklagten wegen Menschenhandels zum Zwecke der Arbeitsausbeutung sowie Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und im Adhäsionsverfahren zu einer Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro.

Der Angeklagte betrieb eine Pension, in der der Nebenkläger 2006 nach der Trennung von seiner Ehefrau ein Zimmer anmietete. Der Nebenkläger befand sich zu der Zeit in einer akuten Lebenskrise, nachdem seine Ehe gescheitert war, er wegen Spielsucht seine Arbeit verloren hatte und hoch verschuldet war. Da er auch Mietschulden hatte, meinte er auf dem freien Wohnungsmarkt keine Wohnung anmieten zu können. Zu seiner Familie hatte er keinen Kontakt mehr, da er sich für das Scheitern seiner Ehe schämte. Da er auch sonst sozial isoliert war, war er dankbar für den Anschluss an die Familie des Angeklagten. Er übernahm mehr und mehr Tätigkeiten in der Pension. Zu Beginn beruhte dies auf Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft, zunehmend jedoch auf Anweisung und Druck des Angeklagten. Der Angeklagte verlangte außerdem von dem Nebenkläger die monatlichen Sozialleistungen, die dieser erhielt. Der Nebenkläger überließ ihm diese, da er 2006 einige Male Geld in Höhe von insgesamt rund 500 Euro aus der Kasse des Angeklagten genommen hatte, um Schulden bei seinem früheren Vermieter zu begleichen. Als dies entdeckt wurde, musste er dem Angeklagten einen Schuldschein unterschreiben. Zunehmend arbeitete der Nebenkläger von 4:00 Uhr morgens bis Mitternacht als eine Art Mädchen für alles in der Pension. Lohn erhielt er hierfür nicht. Der Angeklagte kaufte ihm lediglich Lebensmittel, die jedoch nicht ausreichten. In der gesamten Zeit seines Pensionsaufenthaltes von zwei Jahren verlor der Nebenkläger 27 Kilo. Der Angeklagte ließ ihn auch harte und gefährliche Arbeiten verrichten. Außerdem kam es immer wieder zu Erniedrigungen des Nebenklägers durch den Angeklagten sowie zu massiven Körperverletzungen.

Das Gericht legt anschaulich dar, wie der Angeklagte, unter anderem auch durch wiederholt erfolgende Zuwendungen an den Nebenkläger, ein `Machtverhältnis nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche´ aufbaute, dem sich der Nebenkläger aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur und sozialer Isolation nicht zu entziehen wusste. Erst im April 2008 floh der Nebenkläger nach erneuter massiver körperlicher Misshandlung durch den Angeklagten zu seinem Bruder. Seitdem ist er wegen posttraumatischer Belastungsstörung fortdauernd erwerbsunfähig. Das Gericht macht unter Auswertung der übrigen Zeugenaussagen umfassende Ausführungen zur Glaubhaftigkeit der Aussage des Nebenklägers. Es legt umfassend dar, in welcher Zwangslage der Nebenkläger sich zu Beginn des Geschehens befand und wie der Angeklagte diese geschickt ausnutzte, um ihn in eine langandauernde und sich zunehmend verschärfende Abhängigkeit zu bringen (S. 22f). Ebenso macht es Ausführungen zum massiven Missverhältnis der Arbeitsbedingungen des Nebenklägers zu den branchenüblichen. Im Rahmen der Strafzumessung (S. 24f) wertet das Gericht strafschärfend neben dem langen Tatzeitraum insbesondere die menschenverachtende Vorgehensweise des Angeklagten, der den Nebenkläger wie einen Haussklaven behandelt und auf perfide Weise in Abhängigkeit gehalten habe.

Das Gericht legt die psychischen und physischen Folgen der Tat für den Nebenkläger dar, die es als massiv einstuft und spricht diesem im Adhäsionsverfahren 10.000 Euro Schmerzensgeld zu (S. 26). Der Angeklagte hat, beschränkt auf den Strafausspruch, Berufung eingelegt. Das Landgericht (LG) Frankfurt hat daraufhin mit Urteil vom 16.04.2012 die dreijährige Freiheitsstrafe in zwei Jahre auf Bewährung umgewandelt.

Entscheidung im Volltext

ag_bernau_11_10_2010 (PDF, 2300 KB, nicht barrierefrei)