Bedeutende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungswidrigkeit des Ausschlusses ausländischer Staatsangehöriger mit humanitären Aufenthaltstiteln vom Erziehungs- und Elterngeld; gesetzliche Regelungen, die die Leistungsgewährung an Integration in den Arbeitsmarkt knüpfen, verstoßen gegen Gleichheitsgebot und Diskriminierungsverbot und sind daher nichtig.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erklärt Regelungen des seit 2007 geltenden Bundeselterngeldgesetzes (BEEG) und des vorher geltenden Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) für nichtig, die die Gewährung von Leistungen an Ausländerinnen und Ausländer mit humanitären Aufenthaltstiteln an eine Integration der Betroffenen in den Arbeitsmarkt knüpfen. Die Regelungen verstießen gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes und verletzten das Verbot geschlechtsbezogener Diskriminierung.
In den drei vorliegenden Fällen hatten Klägerinnen und Kläger aus Kamerun, dem Kosovo und dem Kongo, deren Asylanträge abgelehnt worden waren, aus humanitären Gründen eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Nach der Geburt ihrer Kinder wurde ihnen das beantragte Erziehungsgeld verweigert, weil sie die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllten. Einen generellen Anspruch auf Elterngeld haben laut Gesetz nur Ausländerinnen und Ausländer mit einer Niederlassungserlaubnis, die uneingeschränkt in Deutschland arbeiten dürfen. Ausländerinnen und Ausländer, die sich wegen politischer Verfolgung oder aus humanitären Gründen in Deutschland aufhalten, können einen solchen Anspruch dagegen erst nach dreijährigem Aufenthalt haben. Zudem müssen sie nach § 1 Abs. 6 Nr. 3b BErzGG beziehungsweise § 1 Abs. 7 Nr. 3b BEEG bestimmte Merkmale der Arbeitsmarktintegration erfüllen: Sie müssen in den 12 Monaten vor der Geburt des Kindes entweder gearbeitet oder Arbeitslosengeld bezogen haben oder nach einer vorausgegangenen Geburt in Elternzeit gewesen sein.
Die Klägerinnen und Kläger des Ausgangsverfahrens verfügten im beantragten Zeitraum über humanitäre Aufenthaltstitel und waren zur Erwerbstätigkeit berechtigt. Sie erfüllten auch das Aufenthaltserfordernis, nicht jedoch die im Gesetz geforderten Merkmale der Integration am Arbeitsmarkt. Das Bundessozialgericht hielt diese Regelungen für nicht mit dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz vereinbar und hatte die Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied nun, dass diese zusätzlichen Voraussetzungen die betroffenen ausländischen Eltern unzulässig benachteiligen, da sie Eltern mit humanitären Aufenthaltstiteln ohne die im Gesetz geforderten Merkmale der Arbeitsmarktintegration gegenüber anderen Eltern mit identischen Aufenthaltstiteln verfassungswidrig benachteiligen. Das Gericht hat dabei zwar grundsätzlich gebilligt, dass das Elterngeld auf jene Ausländerinnen und Ausländer beschränkt wird, die voraussichtlich dauerhaft in Deutschland bleiben. Die Integration in den Arbeitsmarkt sei dafür aber kein sinnvolles Unterscheidungsmerkmal, da Bürgerkriegsflüchtlinge nicht nach Deutschland kämen, weil sie hier arbeiten wollen, sondern wegen der Situation in ihren Heimatländern. Die Bestimmungen seien daher nicht sachgemäß und verstoßen gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes.
Das Bundesverfassungsgericht stellte außerdem fest, dass die Regelungen Frauen im Vergleich zu Männern benachteiligen. Denn darin werde der Anspruch auf Elterngeld von arbeitsmarktbezogenen Voraussetzungen abhängig gemacht, die für Frauen schon aufgrund des gesetzlichen Mutterschutzes schwerer zu erfüllen seien als für Männer.
Entscheidung im Volltext: