Bemerkenswerte Entscheidung im Verwaltungsverfahren zu Asyl für Roma aus Serbien; Gericht sieht Voraussetzungen für Flüchtlingsanerkennung gegeben; sehr umfassende Darstellung der Situation der Roma in Serbien; Strafandrohung für Asylantragstellung im Ausland in serbischem Strafgesetzbuch nach Auffassung des Gerichts Menschenrechtsverletzung und gezielte Diskriminierung von Roma
Das Verwaltungsgericht Stuttgart (VG) verpflichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), zwei serbische Roma als Flüchtlinge anzuerkennen. Das VG hatte eine Sachverständige zur Lage der Roma in Serbien angehört. Das Gericht folgt der Einschätzung der Sachverständigen, nach der Roma in Serbien ohne staatlichen Schutz zunehmend Übergriffen von Seiten Dritter ausgeliefert sind. Entscheidend war für das VG aber, dass Angehörige der Roma durch den serbischen Staat in ihrem Freizügigkeitsrecht beschnitten und kriminalisiert werden, wenn sie ausreisen. Hier stellte das Gericht auf den neu eingeführten § 350a des serbischen Strafgesetzbuchs ab, der vor dem Hintergrund der Debatte über die Visumsfreiheit zu sehen und zu würdigen sei. Nach Absatz 1 dieser Regelung haben Asylbewerber*innen allein wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland mit strafrechtlicher Verfolgung und Verurteilung zu rechnen. Darin sah das Gericht sowohl einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention als auch gegen die in der serbischen Verfassung gewährte Ausreisefreiheit. Daher liege eine Verfolgungshandlung vor. Diese knüpfe auch an ein asylrelevantes Merkmal an, da die Ausreise- und Grenzkontrollbestimmungen dazu bestimmt seien und auch eingesetzt werden, insbesondere auf die Minderheit der Roma zu zielen und ihnen die Ausreise aus Serbien zu erschweren oder unmöglich zu machen. Das Gericht stellt die Bedeutung der Ausreisefreiheit als Menschenrecht und als Möglichkeit für Menschen dar, Herrschaftsverhältnissen zu entgehen, mit denen sie aufgrund politischer oder religiöser Überzeugung nicht übereinstimmen, oder sich aus sozial oder wirtschaftlich desolater Lage zu befreien. Das VG macht konkrete und umfassende Ausführungen zu den Lebensverhältnissen für Roma in Serbien, die es für kaum erträglich erachtet. Ebenso seien Möglichkeiten zur Selbsthilfe stark eingeschränkt, weil für diesen Personenkreis kaum Zugang zur Arbeitswelt und zu Bildungsmöglichkeiten bestehe und Roma von Sozialleistungen weitgehend ausgeschlossen seien. Sie können aus Armut oft das Gesundheitssystem nicht in Anspruch nehmen, daher sei die Kindersterblichkeit extrem hoch und die Lebenserwartung niedrig. Das BAMF ist gegen diese Entscheidung in Berufung gegangen.
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