Sehr umfangreiche Entscheidung im Strafverfahren wegen Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung nach sog. `Loverboy-Methode´; Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten; umfassende Darstellung der Vorgehensweise insbesondere Manipulationsmethodik des Täters; detaillierte Ausführung im Rahmen der Beweiswürdigung zur Glaubwürdigkeit der Nebenklägerinnen; 100.000 Euro Schadenersatz für Nebenklägerin im Adhäsionsverfahren
Das Landgericht (LG) verurteilt den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und anderem zu sieben Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe. Außerdem wird er verurteilt, an eine der drei Nebenklägerinnen rund 100.000 Euro zurück zu zahlen. Das Gericht spricht dieser auch einen Anspruch auf Rückzahlung der von ihr an den Angeklagten gezahlten Prostitutionseinnahmen zu. Der Angeklagte hatte über mehrere Jahre insbesondere eine der drei Nebenklägerinnen, die L.G., durch massive Manipulationen durch ein von ihm entwickeltes `Erziehungssystem´ und Bedrohungsszenarien unter anderem dazu gebracht, sich zu prostituieren und ihm die gesamten Einnahmen zu überlassen.
Das Gericht macht zunächst im Rahmen der Darstellung der Persönlichkeit des Angeklagten (S. 7 ff) als auch später in einer Gesamtschau (S. 179 ff) interessante Ausführungen zu der Frage, warum die Manipulationen des Angeklagten bei den jungen Frauen funktionieren und diese in eine solche Abhängigkeit bringen konnten. So suchte sich der Angeklagte besonders junge Frauen oder Mädchen und legte es darauf an, bei diesen angebliche Schwächen in ihrer Persönlichkeit festzustellen, die er dann zu `therapieren´ vorgab. Er isolierte sie von ihren Freundeskreisen und Familien und brachte sie durch ein ausgefeiltes Psycho-System in emotionale Abhängigkeit zu ihm.
Nebenklägerin C.S. (S. 14 ff)
Die Nebenklägerin C.S. lernte der Angeklagte 2008 im Alter von 14 Jahren kennen. Es kam schnell zu einer sexuellen Beziehung, die mit häufigen Trennungsphasen bis 2013 dauerte. In dieser Zeit brachte der Angeklagte die Nebenklägerin sowohl durch psychische Manipulation aber auch durch körperliche Gewalt dazu, sexuelle Handlungen zu erdulden. Der C.S. gelang es erst nach vier Jahren, sich dem Einfluss des Angeklagten zu entziehen, indem sie auf Handy-Kontakte nicht mehr reagierte, sich verleugnen ließ und in eine andere Stadt zog (S. 184 ff). Sie hat zunächst keine Anzeige erstattet und auch erst im Rahmen ihrer Vernehmung zu den Vorfällen bezogen auf die anderen Nebenklägerinnen verstanden, dass sie vergewaltigt wurde.
Nebenklägerin L.G. (S. 24 ff)
Die L.G. lernte der Angeklagte 2011 kennen, als diese 14 Jahre alt war. Sie hatte zuvor eine Affäre mit dem ehemaligen Zuhälter J. gehabt und befürchtete Probleme, als sie sich von ihm trennte. Dies nutzte der Angeklagte zum Aufbau eines Bedrohungsszenarios (S. 29ff). Zunächst gewann er das Vertrauen der L.G. durch seine Art zuzuhören und mit ihr zu sprechen (S. 25). Dann suggerierte er ihr Schwächen, die er `therapieren´ könne. Ebenso redete er ihr Ängste vor J. ein und manipulierte sie so, dass sie meinte, Schuld zu tragen. Er entwickelte ein Schuldsystem, nach dem sie wegen `Fehlverhaltens´ weitere Schulden anhäufte. Zusätzlich kreierte er eine Bedrohung durch einen fiktiven, mit dem J. zusammen arbeitenden `Ivan´, an den L.G. jetzt Schulden für den in der Trennung liegenden Loyalitätsbruch abzuzahlen habe. Er gab vor, hierfür sei eigentlich die Todesstrafe vorgesehen, aber es sei ihm gelungen, mit Ivan zu verhandeln und diese in eine Geldstrafe umzuwandeln. Der Angeklagte konstruierte über die Jahre ein komplexes Schuldsystem. Danach wuchsen die Schulden der L.G. aufgrund von `Verfehlungen´ auf bis zu 1,8 Mio Euro. Der Angeklagte misshandelte die L.G. auch körperlich und erniedrigte sie. Außerdem vermittelte er ihr, dass ihre gesamte Familie bedroht und von der Polizei keine Hilfe zu erwarten sei, da diese korrupt wäre. Da L.G. nicht genug Geld auftreiben konnte, manipulierte er sie dahin gehend, dass sie von alleine auf den Gedanken kam, die Prostitution aufzunehmen, um mehr Geld für ihre Schulden bei Ivan zu verdienen (S. 35 f). So ging sie rund 1 ½ Jahre der Prostitution nach. Alle Einnahmen gab sie an den Angeklagten zur Abzahlung ihrer vermeintlichen Schulden bei Ivan ab. Darüber hinaus brachte der Angeklagte sie dazu, ihm ca. 100.000 Euro, die ihre Familie für ein Studium für sie angespart hatte und die ihr nach ihrem 18. Geburtstag zur Verfügung standen, von ihren Konten abzuheben und ihm zu übergeben, damit er sie an Ivan weiterleite. Zusätzlich versuchte der Angeklagte an das Familienvermögen zu gelangen, indem er die L.G. instruierte, ihren Großeltern eine Geschichte über eine fiktive Bedrohung der gesamten Familie zu erzählen und diese so dazu zu bringen, ihr 400.000 Euro zu geben (S. 61 ff). Anfang Juli 2013 suchte die L.G. ihre Großeltern zur Umsetzung dieses Vorhabens auf. Der Plan scheiterte jedoch, da die Großeltern die Eltern informierten, die wiederum die Polizei einschalteten. Zunächst hielt die Polizei L.G. für eine Mittäterin und inhaftierte sie vorübergehend. Nach ihrer Entlassung noch am selben Tag zog sie von zuhause aus. Auch der Angeklagte kam in Haft. Die L.G. löst sich auch in dieser Zeit zunächst nicht von ihm, sondern ging auf seine Anweisung weiter der Prostitution nach. Auch erhielt sie genaue Anweisungen von dem Angeklagten mit dem Ziel, die Spuren seiner Täterschaft zu verwischen (S. 73 ff). Die L.G. hatte zwar zwischenzeitlich Zweifel an der Wahrhaftigkeit der ihr vom Angeklagten erzählten Geschichten über den Ivan bekommen, aber erst nachdem sie die Ermittlungsakte der Polizei gelesen hatte, machte sie im März 2014 bei der Polizei eine Aussage und wurde ins Zeug*innenschutzprogramm aufgenommen (S. 77 f).
Nebenklägerin E.R. (S. 43 ff)
Die E.R. war eine Freundin der L.G., zu der der Angeklagte ab März 2013 intensiveren Kontakt hatte. Er fasste den Plan, sie so zu manipulieren, dass sie von selbst die Idee hätte, ebenfalls die Prostitution aufzunehmen, um die L.G. zu unterstützen. Auch ihr gegenüber entwickelte er eine Art `Ausbildungsplan´ zu einem besseren Menschen. Als E.R. sich dem entziehen wollte, drohte der Angeklagte als Konsequenz mit Gefahr für die L.G und deren Familie. Die L.G. geriet daraufhin in Todesangst und setzte die E.R. gemeinsam mit dem Angeklagten unter Druck, sich ebenfalls zu prostituieren, indem sie ihr Horrorgeschichten über Ivan erzählten. Daraufhin nahm die E.R. im Mai 2013 die Prostitution auf. Gegenüber der E.R. und der L.G. kam es auch zu zahlreichen körperlichen Übergriffen seitens des Angeklagten. Anfang Juni 2013 gelang es der Mutter der E.R., die sich aufgrund von Verhaltensänderungen zunehmend Sorgen um ihre Tochter machte, zu erreichen, dass sich die E.R. ihr gegenüber offenbarte (S. 58 ff). Die Mutter erstattete umgehend Anzeige bei der Polizei. Die E.R. sagte bei der Polizei aus und zog sich von dem Angeklagten und der L.G. zurück. Da sie von diesen per SMS unter Druck gesetzt wurde, schickten ihre Eltern sie in eine andere Stadt und der Kontakt brach ab.
Beweiswürdigung (S. 94 ff)
Das Gericht macht sehr umfassende Ausführungen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerinnen (S. 98 ff). Es führt überaus detailreich zahlreiche Kriterien zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit deren Aussagen an. Ebenso ausführlich werden die Aussagen der verschiedenen Zeuginnen und Zeugen analysiert. Auch hierdurch und durch die Übereinstimmung mit den Angaben der jeweils anderen Nebenklägerinnen sieht das Gericht die Aussagen bestätigt. Auch die Auswertung weiterer Beweismittel wie Kontounterlagen, Handynachrichten, Briefe und Telefonüberwachung stützten die Aussagen (S. 138 ff).
Adhäsionsantrag der L.G. (S. 205 ff)
Zum Adhäsionsantrag der L.G. stellt das Gericht fest, dass durch den § 232 Strafgesetzbuch nicht nur die sexuelle Selbstbestimmung sondern auch das Vermögen der Prostituierten geschützt wird. Der L.G. spricht es einen Anspruch auf Rückzahlung der rund 100.000 Euro zu, die sie von ihren Konten abgehoben und an den Angeklagten weiter gegeben hat. Daneben wird ihr dem Grunde nach auch ein Anspruch auf Rückzahlung ihrer Prostitutionseinnahmen zugesprochen, die sie an den Angeklagten abgegeben hat. Hierzu stellt das Gericht fest, dass eine weitere Entscheidung auch über die Höhe der Summe im Strafverfahren aufgrund der dadurch zu erwartenden erheblichen Verfahrensverzögerung nicht möglich war.
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