VG Göttingen erste Kammer, Urteil as of 6/28/2017
Aktenzeichen 1A241/ 16

Key issues

Interessante Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren um Familiennachzug der ausländischen Mutter zu deutschem Kind bei missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennung; entgegen überwiegender Meinung in Rechtsprechung sieht Gericht in diesen Fällen den Anwendungsbereich des Ausschlusstatbestand des § 27 Absatz 1a Nr. 1 AufenthG nicht eröffnet

Summary

Das Verwaltungsgericht (VG) sieht die Ablehnung einer Aufenthaltserlaubnis für die Klägerin durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als rechtsfehlerhaft und weist zur Neubescheidung zurück. Die Klägerin, eine mazedonische Staatsangehörige, kam 2004 mit ihrem Lebensgefährten und einem Sohn nach Deutschland. Sie gab an, Roma aus dem Kosovo zu sein und wurde wegen des von 2001-2009 geltenden Abschiebestopps geduldet. 2009 beantragte sie ein Abschiebeverbot wegen physischer und psychischer Erkrankungen, unter anderem einer posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Der Antrag wurde abgelehnt. Eine geplante Abschiebung fand wegen einer erneuten Schwangerschaft im Jahre 2010 nicht statt. Die Klägerin bekam eine Tochter.

2012 wurde durch polizeiliche Ermittlung festgestellt, dass es sich bei der Klägerin und ihrem Lebensgefährten um Mazedonier handelt. Im Jahr 2014 sollten sie erneut abgeschoben werden. Die Klägerin beantragte wieder die Zuerkennung eines Abschiebeverbot gemäß § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), da sie an einer PTBS leide. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte dies als unglaubhaft ab. Eine endgültige Entscheidung über diesen Antrag wurde nicht gefällt, da in der Zwischenzeit die Klägerin einen neuen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Mutterschaft zu einem deutschen Kind stellte. Sie hatte 2014 einen Sohn geboren, dem die deutsche Staatszugehörigkeit zuerkannt worden war, weil ein deutscher Staatsangehöriger schon vor der Geburt beim Jugendamt die Vaterschaft anerkannt hatte.

Das BAMF lehnte den Antrag mit Verweis auf den Ausschlusstatbestand des § 27 Absatz 1a Nummer 1. AufenthG ab, da das Verwandtschaftsverhältnis ausschließlich zu dem Zweck begründet worden sei, dem Nachziehenden die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen. Das Bundesamt ging davon aus, dass die Vaterschaftsanerkennung bewusst wahrheitswidrig sei, da der dringende Verdacht bestünde, dass in Wirklichkeit der langjährige Lebensgefährte der Frau der Vater des Kindes sei. Außerdem stehe einer Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nummer 1 AufenthG entgegen, da die Klägerin illegal und nicht nicht mit dem erforderlichen Visum eingereist sei. Daneben verweist das BAMF auf fehlende Integration und Straffälligkeit der Klägerin.

Das Gericht sieht jedoch die Voraussetzungen für eine Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu ihrem minderjährigen deutschen Kind nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nummer 3 AufenthG für die Klägerin erfüllt. Ihr Sohn habe durch die Vaterschaftsanerkennung durch einen Deutschen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Staatsangehörigkeitsgesetz i.V.m. § 1592 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch durch Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt. Die Klägerin übe als seine Mutter die Personensorge aus. Anders als das BAMF sieht das VG auch keinen Versagungsgrund wegen möglicher `Scheinvaterschaftsanerkennung´ gegeben. Dabei erklärt das Gericht, ob eine solche tatsächlich vorläge, sei unerheblich, da diese ausländerrechtlich nicht zu verwerten sei, da nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.12.2013 zur Verfassungswidrigkeit der Anfechtungsmöglichkeit für Behörden diese eben nicht mehr zum Kreis der Anfechtungsberechtigten gehörten. Das Gericht weist darauf hin, dass für derartige Fälle in Zukunft durch das neue `Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht´ (in Kraft seit 29.07.2017 ) missbräuchliche Vaterschaftsanerkennungen schon im Verwaltungsverfahren unterbunden werden sollen, indem keine Beurkundung stattfindet. Dies gelte aber nicht für Fälle, in denen das Kind bereits die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt hat. Das Gericht habe auch nicht aufzuklären, ob hier eine Scheinvaterschaft vorläge, deren ausschließlicher Grund die Verschaffung eines Aufenthaltstitels für die Klägerin sei. Das Gericht führt sehr umfangreich unter Verweis auf die europarechtliche Entstehung der Vorschrift und weitere Rechtsprechung aus, dass es entgegen der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht der Ansicht ist, dass Fälle mit der Konstellation, in der die ausländische Mutter Familiennachzug zu ihrem (durch `Scheinvaterschaftsanerkennung´) deutschen Kind beantragt, unter den Anwendungsbereich des § 27 Absatz 1a Nr. 1 AufenthG fallen. Dies ergebe sich auch aus dem Wortlaut, da das Verwandtschaftsverhältnis zwischen leiblicher Mutter und Kind nicht `begründet´wird, sondern von Gesetzes wegen entsteht § 1591 BGB.

Da die Klägerin aber die Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG aufgrund der illegalen Einreise nur zum Teil erfüllt, hat sie nur einen Anspruch auf Neubescheidung durch das BAMF, das dabei jedoch die Rechtsauffassung des VG beachten muss.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob in Fällen, in denen die Vaterschaftsanerkennung nur dem Zweck dient, der ausländischen Mutter ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen, § 27 Absatz 1a AufenthG Anwendung finden soll, lässt das Gericht die Berufung ausdrücklich zu.

Entscheidung im Volltext:

vg_goettingen_28_06_2017 (PDF, 60 KB, nicht barrierefrei)

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