KG Berlin, Beschluss as of 11/21/2018
Aktenzeichen 3 Ws 278/18, 3 Ws 278/18-121 AR

Key issues

Positive Entscheidung um Akteneinsicht für Nebenklagevertreterin in Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs; Ausführungen zur Abwägungskriterien in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen

Summary

Das Kammergericht (KG) gibt der Beschwerde des Angeschuldigten wegen Gewährung der Akteneinsicht für die Nebenklage nur bezogen auf einige Aktenteile statt.

Dem Angeschuldigten wird sexueller Missbrauch der minderjährigen Töchter seiner ehemaligen Lebensgefährtin vorgeworfen. Eine der Betroffenen hat Anschluss als Nebenklägerin beantragt, der genehmigt wurde. Ebenfalls hat sie über ihre Anwältin schon im Ermittlungsverfahren Akteneinsicht beantragt. Vor der Entscheidung hierüber hat der Richter dem Verteidiger des Angeschuldigten rechtliches Gehör gewährt.

Die Anklage ist noch nicht zum Hauptverfahren zugelassen worden.

Der Angeschuldigte macht eine Gefährdung des Untersuchungszweckes durch die Akteneinsicht geltend, da die Nebenklagevertreterin ihrer Mandantin und deren Schwester die Protokolle der jeweiligen Zeugenvernehmungen zugänglich machen könne. Gleichwohl erteilte der Strafkammervorsitzende der Nebenklagevertreterin vollumfängliche Akteneinsicht in die Hauptakte und die Beiakte, die ein Strafverfahren gegen den Angeschuldigten betraf, in welchem er rechtskräftig vom Vorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes freigesprochen wurde. Der Beschwerde des Angeschuldigten half das Gericht nicht ab.

Das Kammergericht entschied auf die hiergegen eingelegte Beschwerde, dass zumindest der Akteneinsicht in die Beiakte schutzwürdige Interessen des Angeschuldigten im Sinne des § 406e Abs. 2 S. 1 Strafprozessordnung (StPO) entgegenstünden. Die Akteneinsicht in die Hauptakte sieht das Kammergericht diesbezüglich als rechtmäßig an.

So spreche die Schwere der Tatvorwürfe und der Umstand, dass bereits eine Anklageerhebung erfolgt sei, gegen den Angeschuldigten. Es seien auch keine besonders sensiblen Daten, wie medizinisch oder psychiatrische Gutachten in der Akte enthalten.

Auch eine Verweigerung der Akteneinsicht wegen Gefährdung des Untersuchungszweckes gemäß § 406e Abs. 2 S. 2 StPO lehnte das Kammergericht ab.

Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks sei anzunehmen, wenn zu befürchten sei, dass die Kenntnis des Verletzten vom Akteninhalt dessen wahrheitsgemäße Zeugenaussage beeinträchtige und damit die Sachaufklärung erschweren würde. Es bestehe hierbei ein weiter Entscheidungsspielraum für die Gerichte.

Unter Verweis auf weitere Rechtsprechung (OLG Braunschweig Beschluss vom 03.12.2015, BGH Beschluss vom 15.03.2016, OLG Hamburg Beschluss vom 24.10.2014 und vom 22.07.2015)führt das Gericht aus, dass allein die Rolle der Nebenklägerin als Zeugin und die damit verbundene Möglichkeit einer „Präparierung“ ihrer Aussage nicht für die Versagung der Akteneinsicht ausreiche. Die Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts ginge nicht zwangsläufig einher mit einer Entwertung des Glaubhaftigkeitskriteriums der Aussagekonstanz. Würde dies jedes Mal angenommen, gefährde dies die freie Entscheidung der nebenklageberechtigten Person, Akteneinsicht zu beantragen und entzöge sie damit als Straftatsopfer der Schutzfunktion der §§ 406d ff StPO.

Es sei vielmehr jeweils eine Würdigung des Einzelfalles vorzunehmen.

Das KG sieht durchaus die Problematik einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation, da die beiden Zeuginnen die einzigen Zeugen für die Tatvorwürfe seien und als Schwestern auch im selben „Lager“ stünden. In solchen Fällen sei die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Belastungszeug*innen besonders zu prüfen und es könne Anlass zur Versagung der Akteneinsicht sein.

Anders als die Entscheidungen des OLG Hamburg (aaO.) sieht der Senat vorliegend jedoch keine Ermessensreduzierung auf null, die zu einer Versagung der Akteneinsicht zwinge. Vielmehr habe sich die Nebenklägerin während ihrer polizeilichen Vernehmung sehr selbstreflektierend und ohne Belastungseifer gezeigt, indem sie z.B. angab, vermeintliche Erinnerungen seien als Flashbacks zu bewerten, bei denen sie nicht beurteilen könne, ob „ihr Kopf das dann vermixt“.

Der Senat ginge weiterhin nicht davon aus, dass die erfahrene Nebenklagevertreterin den Beweiswert der Aussage ihrer Mandantin durch deren vorherige Kenntnisnahme von früheren Aussagen herabsetzen wollen würde.

Zudem könne das Gericht die mögliche Aktenkenntnis der Nebenklägerin erfragen und bei der Beweiswürdigung entsprechend werten. Insofern gab das KG zu bedenken, könne es auch einen Vorteil für den Angeklagten darstellen, wenn eine festgestellte Konstanz in der Zeuginnenaussage wegen einer vorherigen Akteneinsicht an Wert verliere.

 

Entscheidung im Volltext:

kg_berlin_21_11_2018 (PDF, 80KB, nicht barrierefrei)

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