Entscheidung im Beschwerdeverfahren gegen die Aufhebung eines Haftbefehls; Ausführungen zum dringenden Tatverdacht wegen gemeinschaftlichen Menschenhandels; wenig überzeugende Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal der Ausbeutung bei unter 21jähriger Betroffenen
Das Oberlandesgericht Köln (OLG) verwirft die weitere Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aufhebung des Haftbefehls und damit die Freilassung des Beschuldigten aus dem Beschluss vom 15.10.2020.
Der Beschuldigte lebte mit seiner im Tatzeitraum vom 19.05.2019 bis 21.02.2020 unter 21-jährigen Ehefrau, seinen zwei Kindern, seiner Tante, seiner Mutter und den Großeltern zusammen im Haus der Tante. Das Familieneinkommen bestand aus Erlösen, die sie durch Straftaten, insbesondere Vermögensdelikte (vermehrt Diebstähle) zum Nachteil älterer Menschen und durch Sozialleistungsbetrug erzielten. Für die gesondert verfolgte Ehefrau des Beschuldigten hatte die Familie des Ehemannes ein Brautgeld bezahlt. Sie lieferte im Verfahren Anhaltspunkte dafür, dass sie niedere Tätigkeiten ausgeübt hatte und wenn sie Anweisungen nicht Folge leistete, Drohungen ausgesetzt gewesen war, wie dem Abrasieren der Haare, der Wegnahme ihrer Kinder oder dem Ausschluss aus dem Haus. Sie durfte das Haus nicht allein – ohne Begleitung eines Familienangehörigen – verlassen und auch kein Telefon dauerhaft zur Verfügung haben. Sie sollte von ihrer Herkunftsfamilie abgeschottet werden, ggf. auch, um eine Loslösung vom Ehemann und eine Rückkehr zu ihren Eltern zu unterbinden.
Der Beschuldigte wurde als Heranwachsender der Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung und wegen Menschenhandels zum Nachteil seiner Ehefrau beschuldigt. Er wurde am 24.06.2020 aufgrund eines Haftbefehls vom 08.06.2020 festgenommen. Seine Beschwerde gegen den Haftbefehl blieb zunächst erfolglos, woraufhin das Landgericht Köln (LG) den Haftbefehl mit Beschluss vom 15.10.2020 aufhob. Das OLG Köln beschäftigt sich mit der gegen diesen Beschluss gerichteten weiteren Beschwerde der Staatsanwaltschaft und verneint sowohl die Flucht- als auch die Verdunkelungsgefahr. Es bekräftigt die Vorinstanz, indem es keinen dringenden Tatverdacht wegen gemeinschaftlichen Menschenhandels zum Nachteil der Ehefrau annimmt. Es räumt zwar ein, dass die Ehefrau im Tatzeitraum unter 21 Jahre alt war, so dass es gem. § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB bereits aufgrund ihres Alters auf keine Zwangslage ankäme. Ihm fehlten jedoch dringende Verdachtsmomente, nach welchen die Ehefrau bei der Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen von u.a. dem Beschuldigten „ausgebeutet“ werden sollte. Das OLG Köln zitiert die Definition, die dem Tatbestand der Ausbeutung zugrunde liegt, wonach der Betroffenen kein angemessener, d.h. überwiegender Teil der Einnahmen aus ihrer Tätigkeit hätte verbleiben dürfen. Es stellt fest, dass die Betroffene die Erlöse aus den Tatfahrten ganz oder überwiegend innerhalb der Familie abzugeben hatte. Der überwiegende Erlös soll ihr dem OLG zufolge über Unterkunft und Versorgung zugutegekommen sein. Sie habe gemeinsam mit dem Beschuldigten und ihren Kindern ein Zimmer in einer hochwertigen Immobilie bewohnt. Auch ohne eigene Fahrerlaubnis habe sie durch Transporte von einem hochwertigen Kfz profitiert. Sie habe nicht über die gleichen Luxusgegenstände wie andere Familienmitglieder verfügt, hätte aber auch einmal Kleidung im Wert von 440 EUR eingekauft.
Gegen eine Ausbeutung spreche dem OLG zufolge, dass die Betroffene mit dem Beschuldigten Kinder hat und sie sich in Telefonaten wechselseitig austauschten, sie sich gegenseitig immer wieder beteuerten, wie sehr man sich vermisse. Sie hätten sich auch gegenseitig beruhigt, füreinander Verständnis gezeigt und bestärkt. Die Betroffene habe eine gewisse Souveränität in ihren Äußerungen an den Tag gelegt. Die Zahlung des Brautpreises sei in manchen Kulturkreisen ethnologisch verwurzelt und auch bei der Schwester der Betroffenen geflossen. Einen dringenden Tatverdacht könne der Brautpreis jedenfalls nicht begründen.
Auch die Drohungen reichten dem OLG zufolge dafür nicht aus. Die Äußerungen könnten auch anderweitig erklärbar sein.
Schließlich sprächen auch die Umstände, dass die Betroffene das Haus nicht ohne Begleitung eines Familienangehörigen verlassen hat dürfen und auch kein eigenes Telefon dauerhaft zur Verfügung gehabt habe, allenfalls dafür, dass es Streitereien zwischen den Familien und deshalb eine Abschottung der Betroffenen gegenüber ihrer Herkunftsfamilie gegeben habe.
Warum das OLG im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Ausbeutung überhaupt auf derartige Umstände des Zwanges abstellt, bleibt unklar, da es hier allein auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Betroffenen ankommt. Eine Zwangslage ist bei Betroffenen unter 21 Jahren gerade nicht vorausgesetzt. Damit widerspricht es den Voraussetzungen einer Strafbarkeit gem. § 232 Abs. 1 Satz 1 StGB. Die Argumentation des OLG zum dringenden Tatverdacht, insbesondere zur Ausbeutung ist nicht überzeugend.
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