BGH, Beschluss as of 3/23/2022
Bundesgerichtshof, 1. Strafsenat, Beschluss vom 23.03.2022, Aktenzeichen 1 StR 511/21

Key issues

Beschluss des BGH wegen schweren Menschenhandels; Revision; Ausbeutung der Arbeitskraft; Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt

Summary

Der BGH hat auf die Revision des Angeklagten hin das Urteil des Landgerichts Stuttgart (LG) vom 7. Juli 2021 aufgehoben, soweit er wegen vorsätzlichen Bankrotts in drei Fällen und gemeinsam mit der Mitangeklagten L wegen Vorenthaltens und Veruntreuers von Arbeitsentgelt in 19 Fällen verurteilt worden ist. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe wird daher ebenfalls aufgehoben. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das Urteil des LG verwirft der BGH als unbegründet.

Der Angeklagte und die Mitangeklagte L betrieben sowohl einen Bauernhof, auf dem Kartoffeln angebaut wurden, sowie zur Weiterverarbeitung einen Kartoffelschälbetrieb und eine Großküche. Die finanzielle Schieflage der Betriebe wollten die beiden Angeklagten durch die Beschäftigung erheblich unterbezahlter polnischer Hilfsarbeiter*innen kompensieren. Von 2008 bis Juli 2011 arbeiteten 10 bis 15 polnische Hilfsarbeiter*innen auf ihrem Bauernhof bzw. in den angegliederten Betrieben unter ausbeuterischen Bedingungen.

Die Betroffenen mussten täglich zwischen 11 und 20 Stunden oft 7 Tage die Woche für einen Tageslohn von 25-30 EUR arbeiten. Überstunden wurden nicht bezahlt. Die Löhne wurden jeweils erst am Ende des Aufenthalts ausbezahlt, um sie von der Flucht abzuhalten. Für ihren Lebensunterhalt bekamen sie 25 EUR in der Woche. Untergebracht waren sie unter unwürdigen Umständen in einem abbruchreifen Gebäude.

Durch die eingesetzten Vorarbeiter wurde mittels Beschimpfungen und Einsatz massiver körperlicher Gewalt eine Atmosphäre von Angst und Druck erzeugt.

Einige der Arbeiter*innen versuchten zu fliehen und wurden entweder dabei erwischt und schwer körperlich misshandelt, oder ihnen gelang die Flucht, was aber einen "Verzicht" auf bis zu 20.000 EUR ausstehenden Lohn bedeutete.

 

Da sie kein Deutsch sprachen, baten sie Nachbar*innen nicht um Hilfe.

Der Angeklagte und die Mitangeklagte führten als Arbeitgeber*innen für ihre polnischen Beschäftigten die Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeber*innenbeiträge zur Sozialversicherung im Jahr 2010 in Höhe von insgesamt 185.279,16 EUR und von Januar bis Juli 2011 in Höhe von insgesamt 70.279,16 EUR nicht ab.

Das Landgericht hat den Angeklagten u.a. wegen gewerbsmäßigen Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft in drei Fällen, versuchten gewerbsmäßigen Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft, Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 19 Fällen und vorsätzlichen Bankrotts in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen die Mitangeklagte L verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung.

In Bezug auf die Verurteilung wegen Menschenhandels zum Zweck der Ausbeutung der Arbeitskraft hat die Revision keinen Erfolg.

Die Aufhebung der Verurteilung wegen vorsätzlichen Bankrotts begründet der BGH damit, dass die Urteilsfeststellungen des LG nicht rechtsfehlerfrei belegen, dass der Angeklagte faktischer Geschäftsführer der insolventen Unternehmen war. Es fehle an der Feststellung der überragenden Stellung des Angeklagten gegenüber der formell als Geschäftsführerin bestellten und für die Großküche tätigen Mitangeklagten L, welche nach der Rechtsprechung notwendig wäre.

Die Aufhebung der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt begründet der BGH damit, dass sich aus den Feststellungen des LG nicht ergibt, zu welchem der drei Unternehmen die polnischen Arbeitnehmer*innen in einem inländischen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis standen, d.h. wer Arbeitgeber*in i.S.d. § 266a Abs. 2 und Abs. 2 Strafgesetzbuch (StGB) war. Die faktische Arbeitgebertätigkeit des Angeklagten sei nicht belegt (s.o.). Zudem habe das LG die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge in seiner Schätzung fehlerhaft berechnet.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des LG zurückverwiesen.

 

Entscheidung im Volltext:

BGH _23_03_2022 (PDF, 184 KB, nicht barrierefrei)

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