VG Berlin, Urteil as of 6/5/2024
Aktenzeichen VG 4 K 255/23 A

Key issues

Positive Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren um Flüchtlingsanerkennung für Frau aus Burkina Faso; umfassende Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts und der Situation in Burkina Faso; VG spricht subsidiären Schutz zu

Summary

Das Verwaltungsgericht (VG) spricht einer Frau aus Burkina Faso subsidiären Schutz zu. Die Frau war 2022 über Frankreich nach Deutschland eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt. Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hatte sie angegeben, in ihrer Heimat nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrem Vater gewohnt zu haben. Dieser habe sie zur Begleichung von Schulden an einen Mann gegeben, der bereits 2 weitere Frauen gehabt habe. Sie sei von ihm vergewaltigt und geschlagen worden. Zweimal sei sie von ihm geschwängert geworden, einmal sei das Kind aufgrund ihrer Unterernährung gestorben, einmal habe sie abgetrieben. Später sei sie vor dem Mann geflohen, aber von ihrem Vater zurückgebracht worden. Das Geld für ihre Reise nach Europa (ca. 3000 EUR) habe sie von diesem Mann gestohlen. Im Alter von 4 Jahren sei sie gegen den Willen ihrer Mutter von ihrer Großmutter beschnitten worden. Die Mutter habe dies bei der Polizei angezeigt, die habe aber nichts unternommen.

Das BAMF hatte den Antrag abgelehnt und sie zur Ausreise aufgefordert, andernfalls die Abschiebung angedroht. Für die Klägerin gäbe es Schutzmöglichkeiten in anderen Teilen Ihres Heimatlandes. Ihr sei auch zuzumuten, den Lebensunterhalt für sich und ihren zwischenzeitlich geborenen Sohn als Haushaltshilfe zu erarbeiten. Als solche habe sie bereits vor ihrer Ausreise gearbeitet. Auch bestünde die Möglichkeit der Unterstützung durch in Deutschland lebende Familienangehörige und den Kindsvater. Dem stünde auch nicht das nach der EuGH-Rechtsprechung zu berücksichtigende Kindeswohl entgegen, da der Sohn weder von der Mutter noch dem Vater ein Bleiberecht ableiten könne.

Das VG widerspricht dem und sieht die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes aufgrund einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts gem. § 4 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 3 Asylgesetz (AsylG) gegeben.

Der Tatbestand des innerstaatlichen Konfliktes sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) weit auszulegen und in einem nächsten Schritt durch das Erfordernis einer individuellen Bedrohung einzuschränken.

Das VG stellt die Situation in Burkina Faso umfassend, insbesondere in der Herkunftsregion (Sahel-Zone) der Klägerin, dar. Aufgrund der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Terroristen sei ein innerstaatlicher Konflikt in der Region, in der die Klägerin vor ihrer Ausreise gelebt hatte und auf die abzustellen sei, gegeben. Da sie voraussichtlich hierhin zurückkehre, sei auch eine hohe Gefahr und ernste individuelle Bedrohung für die Klägerin gegeben.

Eine Rückkehr in andere Landesteile sei ihr nicht zumutbar, da sie dort ohne Unterstützung keine Lebensgrundlage habe. Diesbezüglich sei nicht zu erwarten, dass sie sich in der Stadt, die sie nicht kenne, ohne Ausbildung und sozialem Netzwerk gegen eine hohe Zahl von Binnenflüchtlingen durchsetzen könne und eine Arbeit fände.

Davon, dass der Kindsvater sie in Burkina Faso unterstützen könne, sei nicht auszugehen.

Nach alledem sei der Klage stattzugeben.

Main issues

Voraussetzung des Tatbestandsmerkmals innerstaatlicher Konflikt; Situation in Burkina Faso

 

Entscheidung im Volltext:

vg_berlin_05_06_2024.pdf

Supported by
Logo BMFSFJ
KOK is a member of

Contact

KOK - Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
Lützowstr.102-104
Hof 1, Aufgang A
10785 Berlin

Tel.: 030 / 263 911 76
E-Mail: info@kok-buero.de

KOK auf bluesky