Formen der Ausbeutung

Formen der Ausbeutung

Menschenhandel und Ausbeutung können unterschiedliche Formen annehmen. Dazu zählen sexuelle Ausbeutung, Arbeitsausbeutung, Ausbeutung von Betteltätigkeiten und strafbaren Handlungen sowie die erzwungene Organentnahme. Mit der Reform der EU-Menschenhandelsrichtlinie 2024 kamen Ausbeutung durch Leihmutterschaft, Zwangsheirat und illegale Adoption als weitere Formen dazu. 

Ob sexuelle Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Ausnutzen von Bettelei: Ausbeutung kann sehr unterschiedlich aussehen. Im deutschen Recht wurden bisher fünf verschiedene Formen von Ausbeutung im Sinne von Menschenhandel erfasst:

Zusätzlich definiert die reformierte EU-Menschenhandelsrichtlinie seit 2024 noch drei weitere Formen von Ausbeutung:

Die Mitgliedstaaten sind dazu verpflichtet, die Änderungsrichtlinie bis zum Sommer 2026 umzusetzen, in nationale Gesetze zu überführen und die Ausbeutungsformen unter Strafe zu stellen. Im Folgenden werden die einzelnen Formen näher erklärt.

Gemeinsam ist allen Formen von Menschenhandel, dass Personen unter Ausnutzung einer Notlage oder einer auslandsspezifischen Hilflosigkeit ausgebeutet werden. Letzteres meint, dass sich Menschen in einem Land befinden, dessen Sprache sie nicht oder kaum sprechen, dessen Rechtslage sie nicht kennen und wo sie kein soziales Netzwerk haben. Oftmals geht der Menschenhandel mit Zwang, Nötigung, Gewalt oder Täuschung einher.  

Während die Hintergründe und Lebenssituationen von Betroffenen von Menschenhandel sehr unterschiedlich sind, gibt es trotzdem Faktoren, die Ausbeutung begünstigen. Diese werden im Abschnitt Hintergründe und Lebenssituation näher beleuchtet.

 

Sexuelle Ausbeutung bezeichnet jede Form von Zwang, Manipulation oder Missbrauch, bei der eine Person zu sexuellen Handlungen gedrängt oder genötigt wird. Sexuelle Ausbeutung umfasst:

  • Zwangsprostitution: Betroffene werden durch Druck oder Gewalt gezwungen, in der Prostitution tätig zu sein.
  • Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung: Dabei werden Personen rekrutiert, transportiert oder beherbergt, um sie sexuell auszubeuten.

Sexuelle Tätigkeiten sind dabei recht weit gefasst und umfassen auch die Vermarktung und Ausbeutung von Webcam-Shows, pornografischen Materials sowie von Missbrauchsdarstellungen.

Die Betroffenen sind in ihrer Handlungsfreiheit so weit eingeschränkt, dass sie keine freien Entscheidungen bezüglich der Tätigkeit treffen können. Sie werden nicht oder nicht angemessen entlohnt und/oder müssen unter extrem schlechten und gefährlichen Bedingungen arbeiten. Ausbeutung von Prostituierten oder Zuhälterei zeichnen sich z. B. auch durch überhöhte Vermittlungsgebühren und/oder Mietforderungen, gefährliche Arbeitsbedingungen und Vorenthalten der Bezahlung aus. Weitere Merkmale von sexueller Ausbeutung sind in der Indikatorenliste festgehalten.

Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung muss von der Tätigkeit in der Prostitution unterschieden werden. Während Prostitution in Deutschland eine legale Tätigkeit ist, ist Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung strafbar.

Von sexueller Ausbeutung und Menschenhandel können Personen betroffen sein, weil sie durch Täuschung zur Ausübung von Prostitution gebracht wurden. Dazu können sie beispielsweise durch Online-Anzeigen, Kontaktaufnahme über Social Media, Bekannte oder Agenturen angeworben und über die eigentliche Tätigkeit getäuscht werden. Konkret kann das heißen, dass jemand für Reinigungsaufgaben gesucht wird, aber dann durch Gewalt, Drohung oder andere Druckmittel gezwungen wird, sexuelle Dienstleistungen zu erbringen.

Es kann auch sein, dass sich Betroffene freiwillig für Prostitution entscheiden, aber dann mit Arbeitsbedingungen konfrontiert sind, denen sie nicht zugestimmt haben, und gezwungen werden, darin zu verbleiben.

Häufig sind es auch Fälle der sogenannten Loverboy-Methode: Täter*innen täuschen dabei besonders jungen Frauen und Mädchen eine Liebesbeziehung vor, um sie anschließend über emotionale Abhängigkeit in die Prostitution zu drängen und auszubeuten.

 mehr zur Loverboy-Methode

Bei dieser Form von Menschenhandel werden Menschen dazu gebracht, eine Tätigkeit auszuführen, durch die sie ausgebeutet werden. Die Betroffenen können nicht frei über ihre Arbeitskraft verfügen. Sie werden nicht oder nicht angemessen entlohnt und müssen unter schlechten oder sogar gefährlichen Bedingungen arbeiten, sie werden bedroht oder erleben Gewalt.

Arbeitsverhältnisse, die als Ausbeutung von Arbeitskraft erfasst werden, zeichnen sich durch schlechte Bezahlung, überlange Arbeitszeiten, überhöhte Vermittlungsgebühren und/oder Mietzahlungen, gefährliche Arbeitsbedingungen und Vorenthalten von Lohn aus. Die Täter*innen wenden Zwang und Drohungen an, nutzen eine Notlage der Betroffenen aus, täuschen sie über die genauen Umstände der Tätigkeit und bringen sie so dazu, die Tätigkeit aus- oder fortzuführen.

Arbeitsausbeutung kann prinzipiell in jeder Branche vorkommen, einige scheinen aber von Menschenhandel, Zwangsarbeit und Ausbeutung jedoch stärker betroffen zu sein als andere. Besonders anfällig sind Bereiche, die personalintensiv sind und kein hohes Qualifikationsniveau voraussetzen.

Von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung sind in Deutschland häufig Migrant*innen betroffen, vor allem dann, wenn sie keinen regulären Aufenthaltsstatus haben. Da der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für sie (insbesondere, wenn Qualifizierungen nicht nachgewiesen werden können) sehr restriktiv ist, sehen sie sich häufiger gezwungen, sich auf unseriöse Arbeitsvermittlungen einzulassen und in unregulierten und/oder prekären Arbeitsverhältnissen tätig zu sein. Mehr dazu lesen Sie hier.

Die Übergänge zwischen ungünstigen und schlechten Arbeitsbedingungen und Arbeitsausbeutung sind oft fließend. Manchmal verschärft sich ein ungünstiges Arbeitsverhältnis derart, dass Arbeitsausbeutung oder sogar Ausbeutung unter Freiheitsberaubung vorliegt. Die Grafik verdeutlicht die verschiedenen Ausprägungen von ungünstigen Arbeitsverhältnissen bis hin zu Arbeitsausbeutung.

 

Bei dieser Ausbeutungsform werden Personen von Dritten dazu gebracht zu betteln und müssen ihre Einnahmen dann zu großen Teilen oder vollständig abgeben.

Ein Unterschied zwischen Menschenhandel zur Ausbeutung der Bettelei und anderen Formen der Ausbeutung ist, dass Bettelei im öffentlichen Raum stattfindet und die Personen somit für alle sichtbar sind. Die Betroffenen sind darauf angewiesen, sich offensiv an Außenstehende zu wenden.

Eine besondere Schwierigkeit dabei ist, zu unterscheiden, ob Personen zum Betteln gezwungen und dadurch ausgebeutet werden oder ob es sich um „freiwillige“ Bettelei, z. B. aufgrund von Armut handelt, bei der die Einnahmen bei den bettelnden Personen verbleiben. In der Öffentlichkeit Passant*innen um finanzielle Unterstützung zu bitten, ist mit Einschränkungen in Deutschland erlaubt. Dabei kann das Betteln vielerlei Formen annehmen, wie:

  • direkt um Geld zu bitten
  • Gegenstände für eine Summe zu verkaufen, die weit über deren tatsächlichem Wert liegt
  • das Anbieten von nicht erbetener Dienstleistungen, wie das Putzen von Autofenstern, das Aufführen von Kunststücken oder musizieren

Berichte aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass von dieser Ausbeutungsform vermehrt Minderjährige betroffen zu sein scheinen. Für sie bestehen aufgrund der meist sprachlichen und sozialen Abhängigkeit von den Täter*innen, die häufig zum engeren Familien- oder Bekanntenkreis gehören, große Hürden, um die Ausbeutungssituation zu verlassen.

 

Bei dieser Ausbeutungsform werden Betroffene dazu gebracht, Straftaten zu begehen. Bei diesen illegalen Handlungen kann es sich zum Beispiel um Diebstähle, Drogenhandel oder Kreditkartenbetrug handeln. Ziel der Täter*innen ist es, sich zu bereichern, ohne die strafbaren Handlungen selbst zu verüben.

Dass es sich dabei um Straftaten handelt, wird von den Täter*innen häufig als Druckmittel eingesetzt, um die Betroffenen davon abzuhalten, sich Hilfe zu suchen. Dadurch geraten Betroffene in eine besonders schutzlose Lage, da der Kontakt zu staatlichen Behörden oft nur im Zusammenhang mit den begangenen Straftaten erfolgt. In solchen Situationen werden sie vorrangig als Straftäter*innen wahrgenommen, während die dahinterliegenden Ausbeutungsstrukturen möglicherweise übersehen werden.

Minderjährige können ebenfalls von dieser Ausbeutungsform betroffen sein. Sie werden dann zum Beispiel zu Taschen- oder Ladendiebstählen, Raubüberfällen an Geldautomaten oder zum Verkauf von Drogen gezwungen. In solchen Fällen wird oftmals die Strafunmündigkeit von Kindern unter 14 Jahren ausgenutzt, um die strafrechtlichen Konsequenzen der Taten zu vermeiden.

Bei dieser Ausbeutungsform ist für Betroffene das Non-Punishment-Prinzip oder auch das Recht auf Absehen von Strafe zentral. Das bedeutet, dass Menschen nicht für Vergehen verfolgt oder bestraft werden sollen, die sie im Rahmen ihrer Ausbeutungssituation begehen mussten. Dadurch sollen die Rechte der Betroffenen geschützt, ihre weitere Viktimisierung vermieden und sie dazu ermutigt werden, in Strafverfahren als Zeug*innen gegen die Täter*innen auszusagen.
 

Menschenhandel zum Zwecke der rechtswidrigen Organentnahme ist eine weitere Form des Menschenhandels, welcher von der EU-Richtlinie zu Menschenhandel als schwere Verletzung der Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit bezeichnet wird. In Deutschland sind bisher sehr wenige Fälle von Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme bekannt geworden. 

Leihmutterschaft ist ein reproduktives Verfahren, bei dem eine Frau – die sogenannte Leihmutter – eine Schwangerschaft für eine andere Person oder ein Paar austrägt, die als Wunscheltern oder Auftraggeber*innen bezeichnet werden. Nach der Geburt übergibt die Leihmutter das Kind an die Wunscheltern.

Damit es sich um eine Ausbeutung der Leihmutterschaft im Kontext des Menschenhandels handelt, muss eine Person durch den Einsatz verwerflicher Mittel, wie beispielsweise Gewalt oder andere Formen der Nötigung, Entführung oder Täuschung, dazu gebracht werden, eine Leihmutterschaft zu übernehmen. Diese Form von Menschenhandel wurde erst 2024 mit der Reform der EU-Menschenhandelsrichtlinie aufgenommen. Deshalb gibt es bisher noch wenig Erfahrungswerte, auch die Forschung zu den Folgen von Leihmutterschaft ist noch lückenhaft.

Die Regelungen zu Leihmutterschaft sind in den europäischen Staaten sehr unterschiedlich: In Deutschland ist Leihmutterschaft vollständig verboten, aber es gibt Erwägungen, bestimmte Formen davon zu legalisieren. In anderen EU-Ländern wie Belgien oder den Niederlanden ist „altruistische Leihmutterschaft“ erlaubt. In manchen Ländern mit Beitritts- oder Bewerberstatus, wie der Ukraine und Georgien, ist Leihmutterschaft auch in bestimmten kommerziellen Formen erlaubt. 
 

Von Zwangsverheiratung spricht man, wenn eine Eheschließung gegen den Willen einer oder beider heiratenden Personen stattfindet. Mit der Reform der EU-Menschenhandelsrichtlinie wurde Zwangsverheiratung als Form von Menschenhandel anerkannt.

Zwangsverheiratung ist in Deutschland bereits vom Strafrecht gem. § 237 Abs. 1 StGB erfasst. Der Tatbestand wird aber bislang eher unter dem Aspekt der Nötigung zur Eheschließung behandelt und nicht als eine Form von Ausbeutung. Nicht jede Zwangsheirat ist automatisch Menschenhandel. Die deutsche Gesetzgebung muss noch festlegen, unter welchen Voraussetzungen Zwangsheirat zu Menschenhandel wird und in der Praxis muss sich noch zeigen, wie Straftatbestände aus dieser Form von Menschenhandel nachgewiesen werden können.
 

Wenn eine Adoption vorbei an staatlichen Stellen und stattdessen über unseriöse Vermittlungsagenturen oder private Kontakte stattfindet, ist es eine illegale Adoption. Eine Ausbeutung der Adoption liegt dann vor, wenn eine Person mit Gewalt, Drohung oder Täuschung dazu gebracht werden soll, das eigene Kind illegal abzugeben, wodurch Täter*innen einen finanziellen Vorteil erhalten (wollen).

Auch illegale Adoption wurde mit der Reform der EU-Menschenhandelsrichtlinie als Form von Menschenhandel aufgenommen. Die deutsche Gesetzgebung muss noch festlegen, unter welchen Voraussetzungen illegale Adoption zu Menschenhandel wird. In der Praxis muss sich noch zeigen, wie Straftatbestände dieser Form des Menschenhandels nachgewiesen werden können.