Entschädigung für Betroffene von Menschenhandel

Betroffene von Menschenhandel erleiden häufig sowohl physische Schäden, z.B. als Folge von Gewalt durch die Täter*innen, mangelnde Gesundheitsversorgung oder schlechte Verpflegung als auch psychische Schäden wie z.B. Traumatisierungen. 

Vielen Betroffenen von Menschenhandel und von Arbeitsausbeutung wird ein Teil des Lohns oder häufig auch der gesamte Lohn für die von ihnen ausgeübten Tätigkeiten (sei es in der Sexindustrie oder in auch in anderen Bereichen) nicht ausgezahlt.
Gleichzeitig erzielen die Täter*innen durch die Tätigkeiten, die Betroffene von Menschenhandel für sie ausüben, einen hohen Gewinn.

Unter Entschädigung wird der Ausgleich für einen entstandenen oder erlittenen Schaden verstanden. Entschädigungsleistungen können in Form von Schadensersatzleistungen, Schmerzensgeld oder durch Auszahlung von entgangenem Lohn erfolgen. Da die Betroffenen durch den Menschenhandel sowohl in materieller als auch in immaterieller Hinsicht großen Schaden erleiden, ist es wichtig, ihnen geeignete Rechtsbehelfe zu ermöglichen, damit sie nicht nur ihren Anspruch auf Lohn, sondern auch auf eine angemessene Entschädigung effektiv durchsetzen können. Obwohl in der Bundesrepublik die rechtlichen Grundlagen für die Entschädigung und die Auszahlung vorenthaltener Löhne gegeben sind, gibt es für die Betroffenen in der Praxis eine Reihe von Gründen, die sie an der Durchsetzung ihrer Rechte hindern. Mit diesen Themen hat sich die Machbarkeitsstudie  "Menschenhandel in Deutschland-Die Menschenrechte der Betroffenen stärken"  des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) und der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) (Autorinnen sind Dr. Petra Follmar- Otto und Heike Rabe) auseinandergesetzt, die im Juni 2009 veröffentlicht wurde. Sie kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass trotz bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen nur eine kleine Zahl der Betroffenen ihre Rechte auch tatsächlich durchsetzen kann.

Um diese Situation für die Betroffenen zu verbessern, führte das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) in Kooperation mit der Stiftung EVZ  das Projekt  "Zwangsarbeit heute - Betroffene von Menschenhandel stärken" durch. Es startete am 2. Juni 2009 und lief drei Jahre. Ziel dieses Projektes stellte in erster Linie die Stärkung der Betroffenen dar, damit diese ihre Rechte eigenständig wahrnehmen können, sowie die (auch finanzielle) Unterstützung der Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche.

EU-Projekt COMP.ACT

Auf europäischer Ebene setzte sich das Projekt "COMP.ACT (European Action for Compensation for Trafficked Persons)"  koordiniert von La Strada International und Anti-Slavery International gemeinsam mit ihren 14 Projektpartner*innen dafür ein, dass Betroffene von Menschenhandel ihre Ansprüche auf Entschädigung und Lohnzahlungen geltend machen können. Dieses Projekt begann im Januar 2010 und wurde im Dezember 2012 erfolgreich abgeschlossen. Alle Projektpartner*innen führten in den eigenen Ländern Forschungen zu den vorhandenen rechtlichen Rahmenbedingungen zur Durchsetzung von Lohn- und Entschädigungsansprüchen für die Betroffenen von Menschenhandel sowie die Hindernisse zur Durchsetzung dieser Ansprüche durch. Die Ergebnisse können im Abschlussbericht "Findings and Resultsof the European Action for Compensation for Trafficked Persons" nachgelesen werden. Daneben erarbeitete das Projekt ein "Research template for collecting and analysing data on the access of trafficked persons to compensation" sowie die "Guidance on representing trafficked persons in compensation claims" als nützliche Dokumente für Rechtsanwält*innen, Fachberatungsstellen und unterschiedliche Dienstleistende.

Auch auf internationaler Ebene wurde Lobbyarbeit geleistet, um dem Thema Entschädigung mehr Bedeutung zu verleihen, beispielsweise durch ein PR-Video.

Video: COMP.ACT - ensuring compensation for trafficked persons

Handlungsleitfaden zum Thema Entschädigung

Der KOK und das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) haben in Kooperation mit dem europäischen Projekt Comp.Act. ein Handlungsleitfaden zum Thema Entschädigung im Posterformat erstellt. Finanziell unterstützt wurde die Erstellung des Posters von KOK-Seite aus über zweckgebundene Drittmittel einer privaten Spendergruppe sowie von DIMR-Seite aus von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" im Rahmen des Projektes "Zwangsarbeit heute" und von der Europäischen Kommission im Rahmen des Programms "Prevention of and Fight against Crime". Es stellt die finanziellen Ansprüche der Betroffenen von Menschenhandel, Gewalt und Arbeitsausbeutung im Überblick dar. Das Poster kann als PDF-Dokument heruntergeladen oder in Papierform unter info(at)kok-buero.de kostenlos bestellt werden. PDF. Zudem ist das Poster auch in den Sprachen Englisch und Russisch als Download verfügbar.

Infomationsfaltblatt zum Thema Entschädigung

Der KOK e.V. hat im Rahmen des Projekts COMP.ACT einen Info-Flyer erstellt. Darin werden die existierenden Möglichkeiten der Entschädigung in Deutschland für Betroffene von Menschenhandel beschrieben. Mitgliedsorganisationen des KOK e.V. können das Faltblatt zur Information an potenziell Betroffene verteilen. Es kann im PDF-Format in den Sprachen Deutsch, Englisch, Bulgarisch, Ungarisch, Französisch, Polnisch und Rumänisch heruntergeladen werden. Bitte beachten Sie vorher auch die Gebrauchsanweisung zum Einfügen Ihres Logos und den Kontaktdaten Ihrer Beratungsstelle.

Entschädigung durch die Täter*innen im Strafverfahren

Adhäsionsverfahren

Da Menschenhandel eine Straftat ist, haben die Betroffen die Möglichkeit, ihre Ansprüche auf Lohn und Schadensersatz vor einem Strafgericht im Rahmen eines Strafverfahrens durchzusetzen. Im Adhäsionsverfahren (geregelt in §§ 403 ff. StPO) kann ein Strafgericht auf Antrag des/der Klägers/der Klägerin über zivilrechtliche Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche entscheiden. Voraussetzungen hierfür sind, dass ein Strafverfahren eingeleitet, eine Anklage erhoben und die Täter*innen verurteilt wurden. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass während des Strafverfahrens schon die zivilrechtlichen Ansprüche der Betroffenen geprüft und Beweis erhoben wird, ob beispielsweise eine Körperverletzung vorliegt. 

Entschädigung durch die Täter*innen im Arbeitsrecht

Arbeitsrechtliche Ansprüche auf Bezahlung des Lohnes

Lohnansprüche können gemäß § 611 BGB geltend gemacht werden. Hierfür muss ein Arbeitsvertrag bestanden haben. Unerheblich ist hierbei, ob dieser schriftlich oder mündlich geschlossen wurde. Unerheblich ist auch die aufenthalts- oder arbeitsrechtliche Legalität der Betroffenen. Auch ohne Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis haben sie Zugang zur deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit. Allerdings ist zu beachten, dass die Ausländerbehörde oder das Finanzamt - im Rahmen der bestehenden Übermittlungspflicht gemäß § 87 AufenthG - Kenntnis von der aufenthaltsrechtlichen Situation der Betroffenen erhalten kann. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn die Betroffenen nicht im Besitz eines rechtmäßigen Aufenthaltstitels sind. Daher besteht für die Betroffenen die Gefahr, dass sie abgeschoben werden könnten oder andere Konsequenzen ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation fürchten müssen.  

Die Zuständigkeit der deutschen Arbeitsgerichte besteht, wenn der Sitz des/der Arbeitgebers/in in Deutschland liegt oder wenn der Einsatzort in Deutschland liegt bzw. die Arbeitsleistung in Deutschland zu erbringen ist. 

Bei Zivilverfahren ist grundsätzlich die klagende Partei, in diesem Fall die Arbeitnehmer*innen, für die Erbringung der Beweise zur Untermauerung ihrer Ansprüche verantwortlich. Für ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht reicht der Anscheinsbeweis, d.h. wenn die Betroffenen ihre Anklage überzeugend darlegen, muss der/die ArbeitgeberIn das Nichtbestehen des Arbeitsvertrages beweisen. 

Die Höhe des einzuklagenden Lohnanspruchs richtet sich nach der Bezahlung anderer Arbeitnehmer*innen für vergleichbare Tätigkeiten, beispielsweise gemäß Tarifvertrag. Bei Arbeiten, die keine bestimmten Qualifikationen verlangen, kann sich die Festlegung auf einen Lohnanspruch äußerst schwierig erweisen, da dieser zum Beispiel auch von den Arbeitszeiten und –bedingungen abhängt. (Würdinger; Frauenhandeln in Deutschland, S. 57)

Arbeitsrechtliche Ansprüche aus einer Vertragsverletzung des Arbeitgebers

Wenn aufgrund einer Vertragsverletzung den Arbeitnehmer*innen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses ein weiterer Schaden entstanden ist, können diese nach §§ 280, 249ff. BGB Anspruch auf finanzielle Entschädigung haben. Die Entschädigungsleistungen umfassen u.a. den entgangenen Lohn und eine Entschädigung für die entgangenen Urlaubstage, Beschädigtenrente sowie Kosten für eine Heil- und Krankenbehandlung. Sie können gemäß § 2 Absatz 1 Arbeitsgerichtsgesetz auch beim Arbeitsgericht geltend gemacht werden. 

Zivilrechtliche Ansprüche aus unerlaubter Handlung

Zivilrechtliche Ansprüche können aus § 823 I BGB geltend gemacht werden. Gemäß § 823 I BGB ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Da es sich bei diesen genannten Gütern um besonders geschützte Güter handelt, ist bei § 823 I BGB nicht das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses erforderlich.  

Darüber hinaus können gemäß § 823 II BGB Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. § 823 II BGB verpflichtet denjenigen zum Schadensersatz, der gegen ein Gesetz verstößt, das den Schutz anderer Personen bezweckt.  

Gemäߧ 253 II BGB kann bei Körperverletzung, Gesundheitsbeschädigung, Freiheitsberaubung und Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung Schmerzensgeld gefordert werden.

Entschädigungansprüche gegenüber dem Staat: Opferentschädigungsgesetz (OEG)

Nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes (Az.: 9 RVg 2/78) hat der Staat seinen Bürger*innen gegenüber die Pflicht, sie vor Gewalttaten und kriminellen Handlungen zu schützen. Versagt der Staat in dieser Aufgabe, so ist er den Betroffenen zur Entschädigung verpflichtet. Geregelt wird diese Art von Entschädigung im Opferentschädigungsgesetz OEG.

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