Die Datenlage zu Menschenhandel ist sehr lückenhaft. Für Deutschland werden die einzig zuverlässigen Zahlen durch ein jährlich erscheinendes Bundeslagebild Menschenhandel des BKA bereitgestellt, das jedoch lediglich die polizeilich abgeschlossenen Ermittlungsverfahren erfasst. Die Aussagekraft des Lagebildes ist daher begrenzt. Fachleute und auch das BKA selbst gehen von einem großen Dunkelfeld aus. Erfahrungen der Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel (FBS) belegen, dass Betroffene häufig keine Aussage bei der Polizei machen. In Fällen, in denen die Ausbeutung nicht in Deutschland stattfand, ist es zudem unwahrscheinlich, dass zu Ermittlungsverfahren kommt. Hinzu kommen Fälle von Menschenhandel, die gar nicht als solche identifiziert werden und so auch nicht in Statistiken auftauchen.
Die Datenlage zum Ausmaß des Menschenhandels ist sehr lückenhaft, sowohl in Deutschland als auch international. Die Situationseinschätzung internationaler Organisationen variiert stark, je nachdem, wie weit oder eng die Definition von „Menschenhandel“ gehandhabt wird. Beispielsweise gibt die International Labour Organisation (ILO) eine gemeinsame Schätzung mit der International Organisation for Migration (IOM) und der Walk Free Foundation über „moderne Sklaverei“ weltweit heraus.
Ausführliche Erläuterungen zu den unterschiedlichen Erhebungen in Deutschland und international finden sich unter Daten / Zahlen/ Fakten.
Um ein umfassenderes Bild der Situation in Deutschland zu erhalten, das nicht nur reine Zahlen abbildet, sondern auch Informationen zur tatsächlichen Durchsetzung der Rechte der Betroffenen bietet und die Arbeit der FBS verdeutlicht, hat der KOK gemeinsam mit seinen Fachberatungsstellen ein Datentool entwickelt. Auf Grundlage von Daten der FBS sollen statistische Erhebungen ergänzt, die zivilgesellschaftliche Arbeit mit Betroffenen von Menschenhandel dokumentiert und eine Bewertung der Maßnahmen gegen Menschenhandel und zum Schutz der Betroffenen aus menschenrechtlicher Perspektive ermöglicht werden.
Im Herbst 2020 veröffentlichte der KOK seinen ersten Bericht Datenerhebung zu Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland. Seitdem veröffentlicht der KOK jährlich eine Auswertung des KOK-Datentools. Die KOK-Datenberichte stellen eine Ergänzung zu den statistischen Erhebungen der Strafverfolgungsbehörden dar und bilden eine zivilgesellschaftliche und menschenrechtsbasierte Perspektive auf das Thema ab.
Der fünfte KOK-Datenbericht ist im Oktober 2024 erschienen, die Datenauswertung bezieht sich auf den Zeitraum 01.01.–31.12.2023.
Im Jahr 2023 wurden 702 neue Fälle von spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel im KOK-Datentool dokumentiert. 597 Fälle wurden für die Auswertung freigegeben. Die Mehrheit der Betroffenen waren Frauen und Mädchen (87 Prozent). 34 Prozent waren zwischen 22 und 29 Jahre alt, 48 Prozent stammten aus westafrikanischen Ländern. Die häufigste Ausbeutungsform war sexuelle Ausbeutung, gefolgt von Arbeitsausbeutung.
Die Daten geben Einblicke in die Beratungspraxis der Fachberatungsstellen und ergänzen bestehende Kriminalstatistiken.
Der Bericht kann online als PDF eingesehen und heruntergeladen werden.
Der vierte KOK-Datenbericht ist im Oktober 2023 erschienen, die Datenauswertung bezieht sich auf den Zeitraum 01.01.-31.12.2022.
Im Jahr 2022 wurden 269 neue Fälle von spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel im KOK-Datentool angelegt. 733 Fälle wurden für die Datenauswertung freigegeben. Die Mehrheit waren Betroffenen Frauen und Mädchen (88 Prozent). Etwa die Hälfte der Betroffenen (52 Prozent) stammten aus westafrikanischen Ländern, während sieben Prozent der Betroffenen aus Deutschland kamen. Zu den häufigsten Leistungen der Fachberatungsstellen zählten psychosoziale Beratung und Begleitung und Unterstützung Betroffener im Asylverfahren, bei behördlichen Angelegenheiten oder bei der Organisation von Leistungen zum Lebensunterhalt.
Der Bericht kann online als PDF eingesehen und heruntergeladen werden.
Der dritte KOK-Datenbericht ist im Oktober 2022 erschienen, die Datenauswertung bezieht sich auf den Zeitraum 01.01.-31.12.2021. Diese zweite menschenrechtsorientierte Auswertung von Daten, die eine wachsende Zahl von Mitgliedsorganisationen in der gemeinsam entwickelten Software bereitstellen, ermöglicht gerade auch mit Blick auf die sozial- und aufenthaltsrechtlichen Situationen Betroffener wichtige Einsichten und verweist damit evidenzbasiert und mittelbar auf politische Handlungsnotwendigkeiten. Im Berichtsjahr konnten verknüpfte Auswertungen vorgenommen werden, wodurch tiefere Einblicke in die Zusammenhänge zwischen den eingegebenen Daten gewonnen werden konnte. Dadurch werden auch tiefergehende Analysen möglich. Z.B. zu den Diskrepanzen der Einschätzung der Straftatbestände aus Sicht der FBS und der Zahl tatsächlich eingeleiteter Ermittlungs- und Strafverfahren.
Wichtige Ergebnisse werden auf einen Blick, übersichtlich und grafisch präsentiert. Der Bericht enthält auch einzelne Fallbeispiele.
Der Bericht kann online als PDF eingesehen und heruntergeladen werden.
Der zweite KOK-Datenbericht beinhaltet eine erste Auswertung des KOK-Datentools mit über 700 Fällen von Menschenhandel und Ausbeutung, die zwischen Januar 2020 und Ende Juni 2021 eingegeben wurden. Im Vergleich zu dem jährlich vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichten Lagebild Menschenhandel zeigen sich deutliche Unterschiede, z.B. bei den Hauptherkunftsländern der Betroffenen. In dieser ersten inhaltlichen Auswertung wurden insbesondere folgende Fragen in den Blick genommen: Inwieweit haben Betroffene in Deutschland tatsächlich Zugang zu den ihnen nach internationalen Vorgaben und auch nach deutschem Recht zustehenden Opferrechten? Welche Unterstützungs-möglichkeiten stehen Betroffenen zur Verfügung und werden in Anspruch genommen? Wie kommen die Betroffenen zu den Fachberatungsstellen? Welche Straftatbestände liegen besonders häufig vor, in welchen Bereichen findet am häufigsten Ausbeutung statt? Es werden die Daten für den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 30.06.2021 herangezogen.
Der Bericht kann online als PDF eingesehen und heruntergeladen werden.
Darin wurde zunächst der partizipative, zivilgesellschaftliche Ansatz der Datenerhebung des KOK vorgestellt, der den Fokus auf die soziale und rechtliche Lage der Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung legt. Insbesondere die internationalen und nationalen Entwicklungen der Menschenhandelspolitiken und die – vielfach problematische – Verstrickung von Datenpolitik, Migration und Menschenhandel werden in dem Bericht ausführlich diskutiert. Zudem stellt er die Entwicklung des KOK-Datentools vor, die von folgender Fragestellung geleitet und begleitet wurde: Wie können Daten erhoben und ausgewertet werden, die den Zugang zu Rechtsansprüchen für Betroffene dokumentieren und kritisch begleiten und gleichzeitig das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen und den Schutz der Vertraulichkeit durch die Berater*innen garantieren?
Der Bericht kann als online als PDF eingesehen und heruntergeladen werden.