Daten / Zahlen / Fakten

Zur Problematik gesicherter Zahlen in Deutschland

Die Datenlage zum Ausmaß des Menschenhandels ist sehr lückenhaft, sowohl in Deutschland als auch international.

Für Deutschland werden Fälle von Menschenhandel durch das jährlich erscheinende Bundeslagebild Menschenhandel des BKA abgebildet, das jedoch lediglich die abgeschlossenen polizeilichen Ermittlungsverfahren erfasst. Die Aussagekraft des Lagebildes ist daher begrenzt. Fachleute und auch das BKA selbst gehen von einem großen Dunkelfeld aus. Fachberatungsstellen für Betroffene für Menschenhandel haben viele Fälle, in denen die Betroffenen nicht aussagen können oder wollen oder in denen es trotz Aussage nicht zu einem Ermittlungsverfahren kommt. Dies geschieht z.B., wenn die Betroffenen nicht genug Angaben machen können oder die Ausbeutung nicht in Deutschland stattfand. Hinzu kommen Fälle von Menschenhandel, die gar nicht als solche identifiziert werden und so auch nicht in Statistiken auftauchen.

Seit November 2022 ist das Deutsche Institut für Menschenrechte vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) mit einer kontinuierlichen und unabhängigen innerstaatlichen Berichterstattung zur Umsetzung der Europaratskonvention gegen Menschenhandel und der EU-Menschenhandelsrichtlinie betraut. Die Berichterstattungsstelle Menschenhandel hat das Ziel, eine breite und belastbare Datengrundlage zu schaffen, um Trends und Entwicklungen in Bezug auf Menschenhandel in Deutschland sichtbar zu machen. In einem vom Deutschen Institut für Menschenrechte erarbeiteten Konzept wird die Ausgestaltung und Arbeitsweise der Berichterstattungsstelle dargestellt. Perspektivisch wird die Stelle ihre Erkenntnisse in regelmäßigen Berichten veröffentlichen.

Um ein umfassenderes Bild der Situation in Deutschland zu erhalten, das nicht nur reine Zahlen abbildet, sondern auch Informationen zur tatsächlichen Durchsetzung der Rechte der Betroffenen bietet und die Arbeit der spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel (FBS) verdeutlicht, hat der KOK gemeinsam mit seinen FBS ein Datentool entwickelt. Auf Grundlage von Daten der FBS sollen statistische Erhebungen ergänzt, die zivilgesellschaftliche Arbeit mit Betroffenen von Menschenhandel dokumentiert und eine Bewertung der Maßnahmen gegen Menschenhandel und zum Schutz der Betroffenen aus menschenrechtlicher Perspektive ermöglicht werden. Im Herbst 2020 veröffentlichte der KOK seinen ersten Bericht Datenerhebung zu Menschenhandel und Ausbeutung in Deutschland, der den partizipativen, zivilgesellschaftlichen Ansatz der Datenerhebung des KOK sowie die Entwicklung des KOK-Datentools vorstellt. Seitdem veröffentlicht der KOK jährlich eine Auswertung des KOK-Datentools. Die Datenberichte können ebenfalls kein umfassendes Bild des tatsächlichen Ausmaßes von Menschenhandel in Deutschland liefern, stellen aber eine Ergänzung zu den statistischen Erhebungen der Strafverfolgungsbehörden dar und bilden eine zivilgesellschaftliche und menschenrechtsbasierte Perspektive auf das Thema ab.

 

Internationale Statistiken und Berichte zu Menschenhandel

Die Situationseinschätzung internationaler Organisa­tio­nen variiert stark, je nachdem, wie weit oder eng die Definition von „Menschenhandel“ gefasst wird und welche Methoden der Datenerhebung zugrunde liegen. Beispielsweise veröffentlicht die International Labour Organisation (ILO) eine gemeinsame Schätzung mit der International Organisation for Migration (IOM) und der Walk Free Foundation über „moderne Sklaverei“ weltweit. Der Global Estimates of modern Slavery Bericht von 2022 spricht von rund 50 Millionen von moderner Sklaverei betroffenen Personen im Jahr 2021 global. Darin werden allerdings die verschiedensten Phänomene unter dem Begriff moderne Sklaverei zusammengefasst – neben Zwangsarbeit und sexueller Ausbeutung bspw. auch Zwangsverheiratung oder staatlich auferlegte Zwangsarbeit. Die Berechnungen für den Bericht wurden aus verschiedenen Datenquellen abgeleitet, vor allem aus national repräsentativen Erhebungen durch Befragungen von Personen über eigene Erfahrungen von Zwangsarbeit oder Zwangsverheiratung bzw. auch von Personen aus deren engeren Familie, die gemeinsam von der ILO und Walk Free durchgeführt wurden. Basierend auf diesen Befragungen wurden dann Hochrechnungen erstellt. Die Befragungen fanden in ausgewählten Ländern statt. Schätzungen für Länder, in denen keine Befragungen stattfanden, wurden durch eine spezielle Methodik erstellt. Zusätzlich wurden Daten zu Betroffenen von Menschenhandel aus der Datenbank des Counter Trafficking Data Collaborative (CTDC) herangezogen, das von der IOM verwaltet wird und Daten von IOM, Polaris und Liberty Shared zusammen führt, um die weltweit größte Datenbank über identifizierte Betroffene des Menschenhandels zu erstellen. Die Erhebungsmethodik der Global Estimates of modern Slavery wird im Detail in einer eigenen Publikation beschrieben.

Das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) veröffentlicht ebenfalls regelmäßig Berichte zu Menschenhandel weltweit (Global Report on Trafficking in Persons). Diese basieren, anders als die Schätzungen der ILO, IOM und Walk Free Foundation, auf von den Ländern zugelieferten offiziellen Statistiken zu identifizierten Betroffenen von Menschenhandel, Daten zu Gerichtsverfahren wegen Menschenhandels und Ausbeutung sowie unterstützender Literaturrecherche. Der Bericht 2022 bezieht sich auf die Jahre 2017-2020. In diesem Zeitraum wurden laut UNODC knapp 188.000 Betroffene in 141 Ländern identifiziert.

Erhebungen der Europäische Union zu Menschenhandel werden regelmäßig in der EUROSTAT Statistik veröffentlicht. Demnach wurden im Jahr 2021 in der EU 7.155 Betroffene von Menschenhandel registriert, 10 % mehr als im Jahr 2020. Zwei Drittel der registrierten Betroffenen von Menschenhandel waren Frauen und Mädchen. Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung war auch 2021 mit 56 % die am häufigsten registrierte Ausbeutungsform. Arbeitsausbeutung lag mit einem Anteil von 29 % höher als in den Vorjahren. Andere Ausbeutungszwecke, einschließlich Leistungsbetrug, kriminelle Aktivitäten und erzwungene Bettelei, lagen 2021 bei 15,8 % und damit etwa 5 % höher als im Zeitraum 2019-2020.

Die tatsächlichen Zahlen werden als deutlich höher eingeschätzt, da die Statistik, ähnlich wie das Bundeslagebild des BKA und der UNODC-Bericht, nur die von offiziellen Stellen und Behörden registrierten Fälle von Menschenhandel erfasst. Die erhobenen Zahlen können innerhalb der EU stark schwanken, was auf unterschiedliche Ansätze bei der Meldung von Daten in den Polizei-, Staatsanwaltsschafts- und Gerichtssystemen, auf den unterschiedlichen Stand der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels in den EU-Mitgliedstaaten und auf unterschiedliche strafrechtliche Reaktionen auf den Menschenhandel zurückzuführen ist. Darüber hinaus melden nicht alle EU-Mitgliedstaaten regelmäßig Betroffenenzahlen.

 

Wichtigkeit und Problematik von Zahlen zu Menschenhandelsfällen

Zahlen und Statistiken zum Ausmaß von Menschenhandel in Deutschland und auch international sind wichtig, vor allem, um Strategien zur Bekämpfung des Menschenhandels, zur Unterstützung der Betroffenen und auch, um die Prävention möglichst an tatsächlichen Gegebenheiten orientieren zu können. Die erwähnten internationalen Berichte (sowie weitere Studien oder länderbezogene Berichte und Statistiken) liefern hierzu interessante Informationen. Jedoch ist ihre tatsächliche Aussagekraft aufgrund der genutzten Methodik und/oder der sehr begrenzten Quellenlage eher gering; die dargestellten Zahlen sollten mit Bedacht verwendet werden. Je größer das Ausmaß eines Problems, desto bedenkenloser wird es häufig von Presse, Medien und auch in akademischen Kontexten verbreitet, was viele dazu veranlasst, sich immer auf die höchsten gefundenen Zahlen zu beziehen, ungeachtet der Qualität der Quelle. Andererseits besteht das Risiko, dass fehlende Daten zum Ausmaß des Menschenhandels zu einer Relati­vierung des Pro­blems führen können. Dennoch werden sie häufig unreflektiert in der öffentlichen Diskussion, von Medien und Politik verwendet. Hinzu kommt, dass verschiedene Zahlen willkürlich in Beziehung gesetzt, was auch zu Verzerrungen und falschen Darstellungen führt.

Statistiken und Berichte zu Menschenhandel sind zu finden unter Statistiken/Berichte in der Infothek.

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