Forderungen des KOK

Im Umgang mit den Themen Menschenhandel und Ausbeutung ist ein Paradigmenwechsel notwendig, hin zu einem menschenrechtsbasierten Ansatz.

  • Stärkung der Position der Betroffenen und Durchsetzung ihrer Rechte

Betroffene von Menschenhandel sollten das Recht und auch die Möglichkeit haben, sich frei und unabhängig stabilisieren,  informieren und entscheiden zu können, welchen Weg sie einschlagen wollen. Sie benötigen vor allem eine Stärkung ihrer Position durch Sicherheit, Rechte, Unterstützung und Perspektiven.

Eine Abkopplung aufenthaltsrechtlicher Regelungen von einer Mitwirkung im Strafverfahren, also eine unabhängige und unbefristete Aufenthaltserlaubnis, ist daher dringend notwendig. Auch sollte die Bedenk- und Stabilisierungsfrist für Betroffene aus Drittstaaten es ihnen tatsächlich ermöglichen, sich in Ruhe zu stabilisieren und über die bestehenden Möglichkeiten zu informieren. Dazu wäre es aber notwendig, dass die Aussagen von Fachberatungsstellen über das Vorliegen von Hinweisen auf Menschenhandel von den Ausländerbehörden für die Erteilung der Frist als ausreichend angesehen werden. Dies ist in der Praxis meist nicht der Fall, häufig verlangen die Behörden eine Bestätigung der Polizei, was bedeutet, dass die Betroffenen doch in Kontakt mit der Polizei treten müssen, was in der Regel Aussagen beinhaltet und die Idee einer „Bedenkfrist ad absurdum führt.

Neben einer unabhängigen und unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sollten die Betroffenen zudem die Möglichkeit bekommen, neue Perspektiven aufzubauen und langfristige Stabilität zu erlangen. Zugang zu Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, Sprachkursen und zum Arbeitsmarkt sind dafür notwendige Elemente.

  • Minderjährige Betroffene von Menschenhandel - Das Kindeswohl in den Mittelpunkt stellen

Ein Bereich, in dem die bestehenden Regelungen besonders defizitär sind, ist der Umgang mit minderjährigen Betroffenen von Menschenhandel. Entgegen internationalen Vorgaben, nach denen das Kindeswohl im Mittelpunkt der Maßnahmen und Regelungen für minderjährige Betroffene stehen muss, gelten in Deutschland überwiegend die allgemeinen Regelungen für (erwachsene) Betroffene von Menschenhandel. Das bedeutet bspw., dass für minderjährige Betroffene aus Drittstaaten dieselben Voraussetzungen gelten wie für Erwachsene: eine dreimonatige Bedenkfrist und anschließend ein an die Aussage gekoppelter Aufenthaltstitel. Die besondere Situation und Vulnerabilität minderjähriger Betroffener sowie das Kindeswohl werden hierbei nicht berücksichtigt.

Für diese Gruppe sind besondere Regelungen notwendig, die diese Punkte in den Fokus stellen.

  • Recht auf Entschädigung und entgangenen Lohn durchsetzen

Wichtige Rechte der Betroffenen, an deren Durchsetzung es in der Praxis oft noch mangelt, sind bspw. das Recht auf Zahlung entgangener Löhne und Entschädigung. Zwar sind theoretisch die rechtlichen Rahmenbedingungen vorhanden. Aufgrund verschiedenster Hindernisse (bspw. bürokratische Hürden, Rückkehr der Betroffenen ins Herkunftsland, angebliche Zahlungsunfähigkeit der Täter*innen und weitere) werden diese Rechte aber in der Praxis immer noch viel zu selten durchgesetzt. Eine Möglichkeit wäre hier z. B. die Einrichtung eines staatlichen Härtefallfonds.

  • Anerkennung der Komplexität und Vielschichtigkeit des Phänomens Menschenhandel

Es ist wichtig, die Vielschichtigkeit und Komplexität des Phänomens Menschenhandel zu erkennen und entsprechend zu handeln. Gerade in der öffentlichen und medialen Debatte herrscht oft eine vereinfachte Darstellung, indem Menschenhandel lediglich auf den Bereich sexuelle Ausbeutung reduziert bzw. mit Prostitution gleichgesetzt wird. Dies wird den Realitäten nicht gerecht und zieht oft moralisierende und emotionalisierte Debatten und Forderungen nach sich. Auch die automatische Verknüpfung von Menschenhandel mit Migration ist zu einfach und mündet oft in restriktiven migrationspolitischen Forderungen, die zur Bekämpfung oder Verhinderung von Menschenhandel nicht nützlich sind.

Menschenhandel und Ausbeutung treten in vielen Erscheinungsformen auf. Es gibt nicht den klassischen Fall von Menschenhandel. Betroffene können von verschiedenen Formen der Ausbeutung betroffen sein. Diese verschiedenen Formen sind auch nicht immer klar voneinander trennbar, sie können sich überschneiden oder ineinander übergehen. Auch die Übergänge von prekären Situationen und schlechten (Arbeits-)Bedingungen zu Ausbeutung und Menschenhandel (unabhängig davon, in welchem Bereich) können fließend sein.

Dies in den Diskussionen und Strategien zu berücksichtigen, trägt dazu bei, wirklich effektive Maßnahmen zu ergreifen.

Weitere Formen des Menschenhandels neben sexueller Ausbeutung und Arbeitsausbeutung – wie bspw. Handel in die Ehe, die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder erzwungene Betteltätigkeiten –, werden in den verschiedenen Maßnahmen immer noch nicht genug berücksichtigt, obwohl sie in der Praxis längst existieren. Zudem gibt es bei Diskussionen über Menschenhandel immer noch sehr häufig stereotype Zuordnungen: Frauen seien von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung betroffen, Männer von (Menschenhandel zur) Arbeitsausbeutung. Diese Zuordnungen sind nicht zutreffend; auch wenn es gewisse Häufungen gibt, können alle Geschlechter von allen Formen von Menschenhandel und Ausbeutung betroffen sein.

Hier muss ein Umdenken stattfinden.

  • Stärkung der Unterstützungsstruktur für Betroffene – Finanzierung sichern

Die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, also NGOs, wird immer wieder betont. Gerade die Unterstützung der Betroffenen von Menschenhandel durch die spezialisierten Fachberatungsstellen spielt eine entscheidende Rolle. Doch schon jetzt arbeiten viele Beratungsstellen an ihren Kapazitätsgrenzen und in stetiger Unsicherheit bezüglich der weiteren Finanzierung ihrer Arbeit. Um den tatsächlichen täglichen Anforderungen aber gut nachkommen zu können, wären in vielen Fällen mehr Mitarbeiter*innen sowie stetige Fortbildungen wichtig. Dies kann aktuell meist nicht geleistet werden. Aber auch die politische Arbeit für die Rechte der Betroffenen sowie der Auf- und Ausbau von regionalen Vernetzungen mit anderen Akteur*innen sind notwendig, aus Kapazitätsgründen aber häufig neben der Beratungsarbeit kaum möglich.

Das wichtigste Merkmal der Beratungsstellen für die Betroffenen ist aber, dass sie eine niedrigschwellige und anonyme Beratung anbieten.

Eine sichere und angemessene Finanzierung der Unterstützungsstruktur für Betroffene von Menschenhandel ist daher elementar.

  • Gesamtstrategischer Ansatz - Aktionsplan zu allen Formen des Menschenhandels und der Ausbeutung erarbeiten

Auf politischer Ebene mangelt es an einem gesamtstrategischen Ansatz im Umgang mit dem Thema Menschenhandel. Die Verantwortlichkeiten sind momentan aufgeteilt auf das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung) sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung). Eine übergreifende Verantwortung oder Koordinierung der Politik gegen Menschenhandel gibt es nicht. Auch ein Aktionsplan zur Bekämpfung des Menschenhandels und zur Unterstützung Betroffener existiert momentan nicht, wäre aber dringend notwendig. Außerdem sollten die Erweiterung der bestehenden Runden Tische und anderen Gremien auf Länderebene sowie eine Überarbeitung der bestehenden Kooperationsvereinbarungen stattfinden. Es sollte – entsprechend der internationalen Vorgaben bspw. aus der EU-Richtlinie 2011/36/EU – eine unabhängige Berichterstattungsstelle eingerichtet werden, die in enger Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft die Aktivitäten und Maßnahmen gegen Menschenhandel in Deutschland beobachtet, zusammenfasst und analysiert.

Aber auch die Zivilgesellschaft hat den Auftrag, sich stärker zu vernetzen und zu kooperieren. Der Erfahrungsaustausch innerhalb der heterogenen Unterstützungsstruktur in Deutschland muss sich intensivieren und verstärken.

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KOK - Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
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