BSG, Urteile vom 3.12.2015
Aktenzeichen B 4 AS 43/15 R, B 4 AS 44/15 R, B 4 AS 59/13 R

Stichpunkte

Drei sozialrechtliche Entscheidungen zum Anspruch von EU-Bürgerinnen und -Bürgern auf Sozialleistungen; Ausschluss von Hartz-IV-Leistungen greift nur, wenn nicht auch aus anderen Gründen als zur Arbeitssuche ein Aufenthaltsrecht besteht; Vorbehalt gilt nur für Leistungen nach SGB II und nicht nach SGB XII; bei Ausschluss von Hartz-IV-Leistungen ist Sozialhilfe im Ermessen des zuständigen Trägers; nach über sechs Monaten, in der Regel zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe

Zusammenfassung

Das Bundessozialgericht (BSG) legt in drei Entscheidungen unter Berücksichtigung der Urteile des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum dar, wann EU-Bürgerinnen und -Bürger einen Anspruch auf Hartz-IV-Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II beziehungsweise Sozialhilfe nach SGB XII haben. Die Urteile des BSG erfolgen nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 15.09.2015 Aktenzeichen C 67/14, wonach der ausnahmslose Ausschluss von Unionsbürger*innen mit einem alleinigen Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitssuche von den Hartz-IV-Leistungen europarechtskonform ist. In dem vom EuGH im Vorabentscheidungsverfahren entschiedenen Fall ging es um SGB II-Leistungen für eine Schwedin mit drei Kindern, die in Deutschland nur in kürzeren Beschäftigungen gearbeitet hatte und der mit Verweis auf ihr Aufenthaltsrechts allein zum Zweck der Arbeitssuche Leistungen verweigert worden waren. Das BSG stellt daraufhin in seiner Entscheidung (AZ: B 4 AS 43/15 R) fest, dass  dieser Leistungsausschluss nach der EuGH-Entscheidung als europarechtskonform anzusehen ist. Im Übrigen macht es umfassende Ausführungen zur Wirksamkeit des deutschen Vorbehalts zum Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA). Es sei im vorliegenden Fall jedoch noch zu prüfen, ob die Frau tatsächlich „nur“ als Arbeitsuchende aufenthaltsberechtigt war oder sich auch auf andere Aufenthaltsrechte im Zusammenhang mit der Ausbildung und Integration ihrer Kinder im Bundesgebiet berufen könne.

 

Im zweiten Verfahren (AZ: B 4 AS 44/15 R) ging es im Falle einer rumänischen Familie insbesondere um die Frage, ob der Leistungsausschluss des § 7 I 2 SGB II auch eingreift, wenn Unionsbürger*innen über gar kein materielles Aufenthaltsrecht mehr verfügen. Das Landessozialgericht hatte einen Leistungsausschluss abgelehnt, da die Familie gar kein Aufenthaltsrecht habe. Ein sog. „Erst-Recht-Schluss“, also die Annahme, Unionsbürgerinnen und -Bürger ganz ohne Aufenthaltsrecht seien erst Recht von Leistungen ausgeschlossen, sei nicht zulässig. Das Bundessozialgericht sieht das anders und führt aus, warum der Ausschluss arbeitsuchender Unionsbürger*innen von SGB II-Leistungen auch („Erst-Recht“) für diejenigen Unionsbürger*innen greift, die über gar kein Aufenthaltsrecht nach dem Freizügigkeitsgesetz oder dem Aufenthaltsgesetz verfügen.

Es stellt aber weiter fest, auch bei fehlender Freizügigkeitsberechtigung seien zumindest Sozialhilfeleistungen im Ermessenswege zu erbringen. Im Falle eines verfestigten Aufenthalts, nach über sechs Monaten, ist dieses Ermessen aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG in der Weise reduziert, dass in der Regel zumindest Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu erbringen ist. Wegen ihres verfestigten Aufenthalts in Deutschland sprach das BSG der Familie daher einen solchen Anspruch auf Sozialhilfe zu.

 

Im dritten Fall (AZ: B 4 AS 59/13 R) hatte das Jobcenter den Antrag eines Griechen, der nur einer kurzfristigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland nachgegangen war, auf SGB II-Leistungen abgelehnt.

Das BSG hob das zusprechende Urteil des Landessozialgerichts auf die Revision des Jobcenters auf und verwies an das LSG zurück. Es fehlten Feststellungen zu möglichen weiteren Aufenthaltsrechten, da schon die Möglichkeit des Bestehens eines weiteren Aufenthaltsrechts die Feststellung eines Aufenthaltsrechts allein zum Zweck der Arbeitssuche entfallen lässt. Im Falle des Griechen wären aber eventuell ein Daueraufenthaltsrecht bzw. ein Aufenthaltsrecht als Selbstständiger in Betracht gekommen. Soweit die erneute Prüfung des LSG ergäbe, dass ein Ausschluss von Hartz-IV-Leistungen gegeben sei, seien Sozialhilfeleistungen zu prüfen, denn der deutsche Vorbehalt zum EFA beziehe sich nicht auf Sozialleistungen.

 

Entscheidung im Volltext:

bsg_03_12_2015_1 (PDF, 102 KB, nicht barrierefrei)

bsg_03_12_2015_2 (PDF, 58 KB, nicht barrierefrei)

bsg_03_12_2015_3 (PDF, 27 KB, nicht barrierefrei)

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