Interessante Entscheidung im Verwaltungsgerichtsverfahren um Flüchtlingsanerkennung für Somalierin und ihre Kinder wegen der Gefahr der Zwangsverheiratung nach Tod des Ehemannes und erneuter Genitalverstümmelung nach plastischen Operation in Deutschland; Ausführungen zur Feststellung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung; Bedeutung der Schwere des drohenden Eingriffs; zur Situation von Frauen in Somalia
Das Verwaltungsgericht (VG) spricht einer Somalierin und ihren drei Töchtern die Flüchtlingsanerkennung zu.
Die Frau war 2014 mit ihren Töchtern von Spanien nach Deutschland eingereist, nachdem sie bereits dort internationalen Schutz zugesprochen bekommen hatten.
Ihr Ehemann war in Somalia in kriegerischen Auseinandersetzungen getötet worden, woraufhin die Brüder des Mannes verlangten, dass die Frau, der islamischen Tradition entsprechend, einen von ihnen heirate. Da sie sich weigerte, wurde ihr gedroht, ihr ihre Kinder wegzunehmen. Die Klägerin floh mit ihren Töchtern zunächst nach Spanien und von dort nach Deutschland.
In Deutschland wurde der Asylantrag der Klägerinnen abgelehnt und die Abschiebung nach Spanien angedroht, aus gesundheitlichen Gründen jedoch nicht durchgeführt.
Später wurde die Abschiebungsandrohung aufgehoben und subsidiärer Schutz zugesprochen. Die Klägerinnen erhoben Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung in Form von drohender Beschneidung und Zwangsverheiratung.
Das VG gibt dem statt. Es macht umfassende Ausführungen insbesondere zur Feststellung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung und legt dar, dass es neben dem Grad der Wahrscheinlichkeit auch auf die Schwere des befürchteten Eingriffes ankomme.
Bereits erlittener Schaden spricht zudem für berechtigte Furcht vor erneuter Verfolgung.
Die Klägerin war bereits in Somalia beschnitten worden und hatte dies in Deutschland rückgängig machen lassen. Das Gericht sieht, unter Verweis auf einen Bericht des Auswärtigen Amtes von 2017 zur Lage von Frauen und Mädchen in Somalia, eine konkrete Gefahr für die Klägerin im Falle einer Rückkehr und der Konfrontation mit der Familie ihres Mannes, Opfer von Zwangsverheiratung und erneut beschnitten zu werden.
Den minderjährigen Töchtern der Klägerin spricht das Gericht unter der aufschiebenden Bedingung der Rechtskraft des Urteils ebenfalls Flüchtlingsanerkennung zu.
Entscheidung im Volltext: