EuGH, Urteil vom 25.1.2018
Aktenzeichen AZ C-473/16

Stichpunkte

Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren zur Zulässigkeit des Einsatzes von Psychotests zur Feststellung der Homosexualität von Asylbewerber*innen; Gutachten grundsätzlich nur unter Wahrung der Grundrechte zulässig; Behörden dürfen Entscheidung nicht nur von Gutachten abhängig machen und auch nicht an diese gebunden sein; psychologische Gutachten zur Feststellung der sexuellen Orientierung nicht zulässig

Zusammenfassung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellt auf Anfrage eines ungarischen Gerichts fest, dass die Durchführung von Gutachten zur Feststellung der Homosexualität von Asylbewerber*innen nicht zulässig ist, soweit dadurch in deren Grundrechte eingegriffen wird. Ein ungarisches Gericht hatte den EuGH im Falle eines Nigerianers angerufen, der in Ungarn Asyl beantragt und dabei angegeben hatte, er befürchte in Nigeria Verfolgung, da er homosexuell sei. Obwohl die Behörden keine Widersprüche in seinen Angaben feststellten, gaben sie ein psychologisches Gutachten in Auftrag. Da das Gutachten die behauptete Homosexualität nicht bestätigte, wurde sein Antrag abgelehnt. Der Mann klagte hiergegen.

Das ungarische Gericht legte dem EuGH das Verfahren unter anderem mit der Frage vor, wie in solchen Fällen die Glaubwürdigkeit überprüft werden könne und unter welchen Umständen Gutachten herangezogen werden dürften.

Der Gerichtshof führt aus, dass die Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) Gutachten grundsätzlich erlaube, solange diese mit den sich aus der Grundrechtscharta ergebenden Grundrechten wie der Menschenwürde und dem Recht auf Privatspähre in Einklang stehen.

Außerdem seien die Behörden nicht an das Ergebnis gebunden sondern hätten stets individuell zu entscheiden.

Psychologische Tests zur Feststellung der sexuellen Veranlagung eines Asylbewerbers oder einer Asylbewerberin seien jedoch nicht mit den EU-Grundrechten vereinbar. Die betroffene Person stünde angesichts der Bedeutung des Testergebnisses für das Asylverfahren so unter Druck, dass eine Zustimmung zum Test womöglich keine freiwillige Entscheidung sei. Ein solches psychologisches Gutachten sei auch ein unverhältnismäßiger, da besonders schwerwiegender Eingriff in das Privatleben, da es einen Einblick in die intimsten Lebensbereiche des Asylbewerbers oder der Asylbewerberin geben solle.

Ein Gutachten sei nur zulässig, wenn es sich auf zuverlässige Methode stützen könne. Die Frage der Zuverlässigkeit psychologischer Tests lässt der Gerichtshof offen, weist aber darauf hin, dass die Kommission und einige nationale Regierungen diese bezweifeln.

Ein Gutachten sei auch nicht unverzichtbar, vielmehr müssten die Behörden kompetentes Personal zur Überprüfung der Plausibilität der Angaben der Asylbewerber auf anderem Wege bereit halten. Der EuGH hatte bereits in einer Entscheidung von 2014 festgestellt, dass psychologische Gutachten nur unter engen Voraussetzungen zulässig sind (EuGH, Urteil vom 2.12.2014)

Entscheidung im Volltext:

eugh_25_01_2018 (PDF, 160 KB, nicht barrierefrei)

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