EuGH, Urteil vom 19.3.2019
Aktenzeichen C-163/17

Stichpunkte

Bedeutende Entscheidung im Vorabentscheidungsverfahren um Dublin-Abschiebung nach Italien; Gericht erklärt Verbot der Überstellung in unmenschliche oder erniedrigende Situation aus Art. 4 Grundrechtscharta gelte nicht nur während sondern auch nach dem Asylverfahren; Erläuterung der Kriterien für Annahme einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung und `Schwelle der Erheblichkeit´

Zusammenfassung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erklärt in seiner Entscheidung, dass ein Asylbewerber in den, nach der Dublin-III-Verordnung für die Bearbeitung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat, überstellt werden darf, es sei denn, er würde dort aufgrund der Lebensumstände für Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in eine Lage versetzt, die gegen Art. 3 (Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlung) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) verstößt.

Der Entscheidung lag das Verfahren eines Asylbewerbers, Herrn Jawo, aus Gambia zugrunde. Herr Jawo war über Italien nach Deutschland eingereist. Da er bereits in Italien registriert war, wurde sein Asylantrag in Deutschland als unzulässig abgelehnt und seine Überstellung nach Italien angeordnet. Hiergegen klagte Herr Jawo vor Gericht und gab an, dass ihm in Italien auch als anerkannt Schutzberechtigter kein menschenwürdiges Leben möglich sei.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg legte das Verfahren deswegen dem EuGH unter anderem mit der Frage vor, ob bei Prüfung der Überstellungsvoraussetzungen auch die Situation für Geflüchtete nach einer Anerkennung berücksichtigt werden müsse.

Der EuGH weist zunächst ausdrücklich darauf hin, dass bei Dublin-Überstellungen stets die durch die GRCh gewährten Grundrechte, insbesondere das in Art. 4 ausnahmslos manifestierte Verbot der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung zu beachten seien. Grundsätzlich könnten die Mitgliedstaaten sich dabei darauf verlassen, dass die anderen Mitgliedstaaten ebenfalls die Grundrechte beachteten. Hierbei handele es sich aber nicht um eine unwiderlegbare Vermutung. Sofern eine asylantragstellende Person nachgewiesen habe, dass ihr die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung nach der Anerkennung drohe, müsse das Gericht dies entsprechend auf Grundlage objektiver und aktueller Informationen prüfen. Der EuGH stellt klar, dass das Folter-Verbot aus Art. 4 der GRCh bzw. Art. 3 der EMRK nicht nur das Asylverfahren, sondern auch die Situation der Schutzberechtigten nach einer Anerkennung umfasse. Für die Annahme eines solchen Risikos müsse aber eine `besondere Schwelle der Erheblichkeit´ überschritten werden.

Unter Verweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR vom 21. Januar 2011reichten große Armut und verschlechterte Lebensbedingungen alleine nicht, sondern es müsse eine extreme materielle Not vorliegen, aufgrund derer eine Person nicht mehr in der Lage sei, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtige oder zu einer Verelendung führe, die unvereinbar mit der Menschenwürde sei.

Eugh_19_03_2019 (PDF, 142 KB, nicht barrierefrei)

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