LG Landau, Urteil vom 1.12.2017
Aktenzeichen 1 Kls 7129 Js 16104/16

Stichpunkte

Umfangreiche Entscheidung im Strafverfahren wegen schwerer Vergewaltigung und anderem; 25.000 € Schmerzensgeld für die Nebenklägerin; umfangreiche Ausführungen zur Schmerzensgeldbemessung und Verweis auf weitere Rechtsprechung

Zusammenfassung

Das Landgericht (LG) verurteilt den Angeklagten wegen schwerer Vergewaltigung, gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 9 Monaten sowie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 25.000 € an die Neben- und Adhäsionsklägerin. Außerdem stellt es einen Schadenersatzanspruch der Nebenklägerin hinsichtlich aller ihr aus der Tat entstandenen bzw. noch entstehenden Schäden fest.

Der Angeklagte hatte die aus Ungarn stammende Nebenklägerin 2016 über eine Dating-Plattform kennen. Die Nebenklägerin war in der ambulanten Pflege tätig (S. 8ff). Nach kurzer Zeit gingen die beiden eine intime Beziehung ein und der Angeklagte zog bei der Nebenklägerin ein. Schon Ende 2016 kriselte es in der Beziehung, da es der Nebenklägerin nicht gefiel, dass der Angeklagte über soziale Netzwerke Kontakte zu anderen Frauen suchte und unterhielt. In diesbezüglichen Auseinandersetzungen drohte der Angeklagte der Nebenklägerin für den Fall einer Trennung würde er sie schlagen, bis sie ohnmächtig sei oder sie im Keller im Wohnhaus seiner im Ausland lebenden Eltern einsperren.
Die Nebenklägerin versuchte mehrfach, sich von ihm zu trennen, ließ ihn aber immer wieder in ihre Wohnung rein.
Im Herbst 2016 legte der Angeklagte der Nebenklägerin nah für ihn der Prostitution nachzugehen, um seine Schulden bezahlen zu können, was diese jedoch zunächst ablehnte. Nachdem der Angeklagte sie immer wieder dazu gedrängt hatte willigte sie schließlich ein, weil sie die Hoffnung hegte, dadurch die Beziehung zu dem Angeklagten retten zu können.

Ende Oktober 2016 mietete der Angeklagte für die Nebenklägerin für einige Tage eine Unterkunft in einem Laufhaus an und fuhr die Nebenklägerin dorthin. Die Nebenklägerin erzielte durch Prostitution Einnahmen in Höhe von rund 1200 €.
Nach vier Tagen Arbeit holte der Angeklagte sie verabredungsgemäß ab und brachte sie nach Hause.
Den Großteil ihrer Einnahmen gab sie dem Angeklagten.
Im November 2016 arbeitete die Nebenklägerin wieder als Pflegerin.
Der Angeklagte versuchte weiter sie zur Prostitution zu bringen, was sie aber ablehnte. Ende November 2016 brachte der Angeklagte eine weitere Frau, die Z. in ein Laufhaus, wo diese für einige Tage der Prostitution nachging. Auch die Nebenklägerin gab schließlich dem Drängen des Angeklagten nach und willigte ein, mit der Z in einem Privathaus der Prostitution nachzugehen. Im Vorfeld kam es wieder zu Streit zwischen ihr und dem Angeklagten, wegen des Kontaktes des Angeklagten zu anderen Frauen insbesondere der Z. Der Angeklagte reagierte sehr aggressiv und schüchterte die Nebenklägerin so ein, dass sie sich zusammen mit der Z. vom Angeklagten in das Haus bringen ließ, wo sie einige Tage der Prostitution nachgingen, wobei die Z. dem Angeklagten jeweils die Zahl der Freier meldete. Die Nebenklägerin verließ das Haus eines Abends, als der Angeklagte mit der Z. unterwegs war und fuhr mit dem Zug nach Hause.

Der Angeklagte war hierüber erbost und plante eine Bestrafungsaktion. Er besorgte sich Kabelbinder und eine Metallkette drang in die Wohnung der Nebenklägerin ein, schlug und bedrohte diese und vergewaltigte sie mehrfach. Danach zwang er sie unter weiterer Gewaltanwendung, sich für ihr Entfernen zu entschuldigen, was sie auch tat. Er fesselte sie mit den Kabelbindern an ein Heizungsrohr. Weiter knebelte er die durch die Schläge bewusstlose Nebenklägerin und schlug sie zweimal mit voller Kraft mit der Kette. Danach fügte er ihr weitere Misshandlungen zu, bedrohte sie mit einem Messer, was bei ihr oberflächliche Verletzungen hinterließ und zwang sie, sich auch bei anderen Personen telefonisch für ihre `Eigenmächtigkeit´ zu entschuldigen.

Nach weiteren Demütigungen und Drohungen führte der Angeklagte erneut Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin durch. Danach verließen sie die Wohnung und unternahmen mit einem weiteren Mann eine Autofahrt zu verschiedenen Besorgungen, wobei die Nebenklägerin sich, immer noch eingeschüchtert durch die Misshandlungen und Drohungen des Angeklagten, nicht traute, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Erst in der Nacht, als der Angeklagte schlief, floh sie zu einem Polizeirevier. Der Angeklagte wurde festgenommen und die Nebenklägerin in eine Klinik zur Untersuchung gebracht (S.24).

Die Nebenklägerin ging nicht mehr in ihre Wohnung zurück, sondern wohnte danach für eine Zeit im Frauenhaus. Sie leidet seitdem an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) unter anderem begleitet mit Panik- und Angstattacken und befindet sich in therapeutischer Behandlung. Sie arbeitet seitdem nicht mehr ( S. 43ff).

 

Das Gericht macht eine umfassende Auswertung der Aussage der Nebenklägerin und hält diese für glaubhaft (S. 28-58).

Es legt dar, welche Folgen die Tat für die Nebenklägerin hat. (S. 52f)

So sah diese sich aus Angst vor dem Angeklagten und dessen Freunden gezwungen, ihr persönliches Umfeld zu verlassen, wodurch sie ihre Wohnung und auch ihren Arbeitsplatz verlor. Aufgrund der PTBS war sie auch nicht mehr in der Lage, im Bereich der Pflege zu arbeiten. Das Gericht gibt die der Angaben der Therapeuten wieder (S. 69/70)

Im Rahmen der Ausführungen zur Strafbarkeit sieht das Gericht eine schwere Vergewaltigung gem. § 177 Abs. 6 Nr. 1, Abs. 7 Nr.1 Strafgesetzbuch (StGB) gegeben.

Eine Qualifikation nach § 177 Abs. 8 StGB sieht es jedoch durch den Einsatz des Messers, der Kabelbinder oder der Metallkette nicht erfüllt. Das wäre nach Ansicht des Gerichts nur der Fall, wenn die Tatmittel bei der Tat zur Überwindung des Widerstandes des Opfers eingesetzt würden. Der Angeklagte habe aber die Mittel nur zur Bestrafung der Nebenklägerin für ihr Verhalten eingesetzt und nicht in einem Bezug zu der vorangegangenen oder nachfolgenden Vergewaltigung.

Ebenso lehnt es eine Bedrohung oder Geiselnahme ab, bejaht aber eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung und Nötigung (S. 75ff).

Bei der Strafzumessung wertet das Gericht insbesondere die massiven psychischen Folgen der Tat für die Nebenklägerin zuungunsten des Angeklagten und macht hierzu weitere Ausführungen (S.80f)

 

Im Adhäsionsverfahren (S.82ff) hat die Nebenklägerinein Schmerzensgeld von mindestens 25.000 € beantragt sowie die Feststellung, dass der Angeklagte alle weiteren aus der Tat resultierenden materiellen Schäden zu tragen hat.
Das Gerichtlegtbei derBemessung die körperlichen Verletzungen (Hämatome und leichte Schnittverletzungen) und die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung der Nebenklägerin zugrunde (Seite 84ff). Kriterien seien zum einen Stärke, Dauer der Schmerzen, Leiden oder Entstellungen und zum anderen insbesondere die Dauer der Behandlung sowie der Arbeitsunfähigkeit. Maßgeblich seien Dauerschäden, psychische Folgeschäden und Beeinträchtigungen. Hierbei seien jeweils die konkreten Auswirkungen auf die beruflichen sowie privaten Lebensumstände der Betroffenenbei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen.

Bei der konkreten Höhe sei die Orientierung an von der RechtsprechungentschiedenenFällen nicht nur zulässig, sondern geboten, wobei diese jedoch nicht schematisch zu übernehmen seien. Auch ein deutliches Abweichen von der Größenordnung, in der sich die Schmerzensgelder der Gerichte in vergleichbaren Fällen bewegten, sei mit besonderer Begründung gegebenenfalls nicht nur zulässig, sondern sogar geboten.

Im Fall der Nebenklägerin wertete das LG die Tatbegehung, mehrere Vergewaltigungen über einen längeren Zeitraum neben körperlicher Misshandlung, besondere Demütigung der Nebenklägerin als schmerzensgelderhöhend, auch da die Ausführung der Tat allein der Machtdemonstration und Bestrafung der Nebenklägerin diente.

Daneben bezog es die körperlichen und seelischen Folgeschäden der Nebenklägerin in die Bemessung ein. Dazu zähle eine PTBS mit Panikattacken derentwegen sie sich seit der Tat in therapeutischer Behandlung befinde für die ein Ende nicht absehbar sei. Außerdem habe sie durch die Aufgabe der Wohnung und ihrer Arbeit ihren bisherigen Lebensmittelpunkt verloren und lebe weitgehend isoliert in ständiger Angst. 

Insgesamt rechtfertige das Tatgeschehen und die daraus hervorgegangenen Folgen für die Klägerin ein Schmerzensgeld von mindestens 25.000 Euro. Das Gericht verweist auf weitere Entscheidungen (LG Bielefeld 14.09.2005, OLG Saarbrücken 01. 07. 2008, OLG Hamm 29.12.2005, LG Arnsberg 12.09.2005).

Außerdem sei nicht absehbar, wann eine psychische Stabilisierung der Nebenklägerin erreicht werden könne, so dass die der Nebenklägerin durch eine begleitende Psychotherapie entstehenden Kosten als materielle Schäden zu ersetzen seien.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte sind gegen die Entscheidung in Revision gegangen siehe hierzu BGH 4 StR 239/18 - Urteil vom 25. Oktober 2018.

 

Entscheidung im Volltext:

lg_landau_01_12_2017 (PDF, 363 KB, nicht barrierefrei)

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